Intouchable. Unantastbar. Ein lebendes Denkmal, Teil des kulturellen Erbes, unzertrennbar mit dem französischen Kino verbunden. Lange schien es, als stehe Gérard Depardieu, trotz seiner Skandale, seiner Nähe zu Russland, trotz Steuerflucht nach Belgien und trotz 2018 erhobener Anklage wegen Vergewaltigungsvorwürfen einfach über den Dingen. Als gäbe es für ihn, den Unantastbaren, andere Anstandsregeln, andere Moralansprüche, andere Gesetze. In den letzten Jahren hatten sich Freunde von ihm abgewandt und die Presse ergötzte sich an seinen „gewichtigen Aussetzern“, an seiner „Trunkenfahrt auf dem Moped“, an einer „Pinkel-Szene“ im Flugzeug, an einem vier Jahre andauernden Doppelleben mit einer Zweitfrau oder an W
rt auf dem Moped“, an einer „Pinkel-Szene“ im Flugzeug, an einem vier Jahre andauernden Doppelleben mit einer Zweitfrau oder an Wutausbrüchen. Über die Jahre hatte man sich derart an die Rüpelei gewöhnt, dass man auf jede Dreistigkeit nur noch mit Kopfschütteln oder Mitleid reagierte. Depardieu war unten durch, aber obenauf. Nun aber, nach 60 Jahren auf der Leinwand und nach mehr als 200 Filmen, ist es damit vorbei. „Eine Schande für Frankreich“, so das Urteil der Kulturministerin Rima Abdul Malak. Der angekündigten Aberkennung des Ordens der Ehrenlegion kam das „Monster des französischen Kinos“, wie die Presse ihn gerne nennt, selbst zuvor, indem er ihn „zur Verfügung“ stellte. Anlass war die Welle der Empörung nach Ausstrahlung einer viel beachteten Reportage im öffentlich-rechtlichen Senders France 2, die unter anderem Aufnahmen während einer Drehreise nach Nordkorea zeigt. Wüsste man es nicht besser, man würde sich in einem Spielfilm über einen Frauenverächter glauben: Die herablassenden Kommentare und schamlosen ausfallenden Anspielungen nehmen kein Ende.Von „Schlampen“ ist da die Rede, von „Muschis“ und der Freude daran, den Schlüpfer einer Übersetzerin blitzen zu sehen. Während eines Besuchs in einer Reithalle, konstatiert der Schauspieler, wie sehr die Sportart Frauen gefalle, weil dabei die „clito“ so außerordentlich gut gerieben werde. Die damals entstandene Dokumentation wurde wegen seines verstörenden Verhaltens nie ausgestrahlt. Heute bedauert der Regisseur die mangelnde Courage seinerzeit und hat im Zusammenhang mit den Vorwürfen sexueller und sexualisierter Gewalt gegen Dépardieu – mittlerweile wurden über ein Dutzend erhoben –, die Aufnahmen wieder ans Licht geholt.In Frankreich blickte man mit Argwohn und Spott auf das prüde AmerikaNeben diesen bislang unveröffentlichten Bildern beschreiben mehrere Frauen in der Reportage ihre traumatisierenden Erfahrungen mit Depardieu an Filmsets. Von verbaler Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen. Viele der Betroffenen trauten sich auch an die Öffentlichkeit, weil es bei seiner letzten Konzerttournee vor einigen Monaten erstmals wiederholt zu feministischen Protesten kam. Die Schlinge zog sich also enger und enger. Nun muss sich die gesamte Filmbranche die Frage stellen, wieso jahrzehntelang eine Omerta um den heute 74-Jährigen herrschte, wieso niemand aus seiner Entourage es wagte, sich offen gegen den Schauspieler zu stellen. So erlebt Frankreichs Kinowelt sechs Jahre nach der Weinstein-Affäre und drei Jahre nach der harschen Polemik um den Regisseur Roman Polański einen neuen großen #metoo-Moment. So groß, dass auch der letzte Fan des zugegeben begnadeten Schauspielers und Sängers sich die Frage stellen muss, wo Loyalität und Bewunderung endet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man in Frankreich lange Zeit mit Argwohn und Spott aufs vermeintlich so prüde Amerika blickte und auf die eben etwas libertäre „Flirtkultur“ im eigenen Land pochte. Als gehöre sie zu der viel beschworenen „exception culturelle française“, die politisch forcierte herausragende Stellung der Kultur in der V. Republik. So spielte nicht nur die Angst und Scham der Betroffenen Depardieu in die Hände, sondern wohl auch die Befürchtung, der Ruf der französischen Filmwelt insgesamt könnte Schaden nehmen, wenn man sein Urgestein zu Fall bringt. Es ähnelt dem Mechanismus, der lange auch Til Schweiger vor Konsequenzen schütze, nach dem Motto: Einer Cash-Cow schaut man nicht ins Maul.Ob Depardieu, der seinen Wohnsitz bereits teilweise nach Belgien und Russland verlegt hat, weiter in Frankreich leben wird oder gar wirklich hinter Gittern landet, ist mehr als ungewiss. Ebenso die Frage, ob ausreichend Beweise zu den teils lange zurückliegenden Taten zusammengetragen werden können. Zweifellos ist jedoch, dass die Karriere von „Gégé“, wie Depardieu in Frankreich genannt wird, vor dem Aus steht und dass man von nun an jeden seiner Filme, jedes seiner Konzerte mit anderen Augen und Ohren sehen und hören wird. Der Titan ist gestürzt, das Monster erlegt. Der Film endet hier.