Missbrauchsvorwürfe gegen Comedian Russel Brand: Alle wussten es
Essay Wie notwendig die MeToo-Bewegung ist, zeigt sich immer wieder: Mutmaßliche Täter wie der englische Comedian Russel Brand können über Jahre hinweg mit toxischem Verhalten ihr Image pflegen
Montage: Der Freitag; Material: Imago Images, Istock, Getty Images
Gwen Stefani fragt sich im No-Doubt-Song Bathwater, der 1994 veröffentlicht wurde, „Why do the good girls always want the bad boys?“
Diese Dichotomie von bösen Jungs und braven Mädchen – agierenden Boys und passiven, verdinglichten Mädchen – als komplementäre Wesen mit vermeintlich natürlichen Eigenschaften zieht große, toxische Kreise und beeinflusst jede unserer Beziehungen. Wir schreiben der Männlichkeit nämlich gewisse Eigenschaften zu, die negativ sind, und fordern diese nicht nur ein, sondern belohnen sie auch.
Jungs werden bis heute häufig zu toxischen, verantwortungslosen Männern herangezogen, die keinen Zugang zu sich, ihren Gefühlen und den Menschen um sich herum entwickeln können. So werden si
können. So werden sie auf eine sehr spezifische Art kollektiv traumatisiert und müssen große Kraft aufbringen, um das Gelernte abzulegen – vorausgesetzt, sie reflektieren ihr Problem, was noch eine Seltenheit ist. Die Mehrheit in dieser Gesellschaft erwartet zudem gar nicht, dass sie sich hinterfragen.Die Last, die dadurch unvermeidbar entsteht, soll stattdessen von allen anderen getragen werden. Diese Art Männlichkeit wird dadurch ungehindert weitergegeben, dazu noch als Stärke wahrgenommen – weil es selbstverständlich eine Machtausübung ist, die eigene Last von anderen tragen zu lassen – und führt in jeder Hinsicht zum Erfolg, wie es auch im Fall Russell Brand gewesen sein soll.Mehrere Frauen werfen dem ehemaligen BBC-Moderator Brand sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung vor. So soll er zwischen 2005 und 2013 unter anderem eine Frau, die zu der Zeit 16 Jahre alt war, sexuell misshandelt haben. Eine weitere Frau wirft ihm Vergewaltigung auf seinem Anwesen in Los Angeles vor.Die wollen doch nur spielenAm gleichen Tag habe sie sich in einer Klinik untersuchen und behandeln lassen. Zwei weitere Frauen erzählen ebenfalls von sexuellen Übergriffen durch Brand. Diese Angaben basieren auf gemeinsamen Recherchen der Times of London, Sunday Times und der Doku-Sendung Dispatches des britischen Senders Channel 4, die im September veröffentlicht wurden.Einen Tag vor der Veröffentlichung der Recherche meldet sich Brand mit einem Video auf seinem Youtube-Kanal, in welchem er die Vorwürfe von sich weist und von einem „organisierten Angriff der Mainstream-Medien“ spricht. In einem zweiten Video, das er eine Woche später veröffentlicht, erzählt er von einer Verschwörung der britischen Regierung und der traditionellen Medien gegen ihn und ruft seine Follower*innen auf, ihm auf der Plattform Rumble zu folgen.Rumble hostet unter anderem Donald Trumps Plattform „Truth Social“ und ist eine beliebte Adresse unter Rechtsextremen. Youtube sperrt die Monetarisierung seiner Videos, nachdem die Vorwürfe sexueller Übergriffe bekannt werden. Die Londoner Polizei ermittelt derzeit zu den Vorwürfen. Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen ist es bittere Realität, dass Männer für Grenzüberschreitungen belohnt werden – wirtschaftlich wie romantisch.Doch die Aussagen der Frauen wiegen schwer. Auch weil Betroffene von einem Arbeitsklima erzählen, das Brand zu Grenzüberschreitungen ermächtigt habe. Ehemalige Mitarbeiter*innen erzählen, dass sie für ihn „junge und schöne“ Zuschauerinnen zum Set bringen mussten, denen Zettel mit seiner Telefonnummer oder seiner Hotelzimmernummer gereicht worden seien – mit dem Ziel, dass sie sich auf Sex mit Brand einlassen.Russel Brands Fehltritte machten den Fans nichts ausAlex Marshall erinnert in einem Artikel in der New York Times an einen Telefonstreich Brands im Jahr 2008, den er gemeinsam mit dem Comedian Jonathan Ross durchführte. Ross war bei Brand zu Gast in seiner Show bei BBC Radio 2. In der Live-Sendung rief Jonathan Ross den Schauspieler Andrew Sachs, dessen Enkelin Georgina Baillie Russel Brand eine Weile datete, an. Ross sprach auf Sachs’ Anrufbeantworter, dass Brand seine Enkelin „gef*ckt“ habe. Nach etlichen Protesten verhängte die Medienaufsichtsbehörde eine Geldstrafe in Höhe von 150.000 Pfund wegen der Verletzung der Privatsphäre des Angerufenen und seiner Enkeltochter und wegen Verstößen gegen den Rundfunkkodex. Brand bat Sachs um Entschuldigung und kündigte seinen BBC-Job als Radiomoderator und Comedian.Im Gespräch mit Marshall schätzt der Journalist Roy Greenslade ein, dass der Vorfall kaum Einfluss auf Brands Beliebtheit bei den Fans hatte, da er zu seinem Image als „Bad Boy“ beigetragen habe. Ein ehemaliger Mitarbeiter behauptet, Brands sexuelles Verhalten in Bezug auf die Zuschauerinnen sei den Produktionsleitern damals gemeldet worden. Ein Patentmanager soll daraufhin gesagt haben: „Boys will be boys.“In Bezug auf romantische Beziehungen lässt sich vielleicht sagen: Dann sollen Frauen einfach bessere Entscheidungen treffen und aufhören, solche Männer zu belohnen und dann auch noch ihre Söhne so zu erziehen. Vermutlich ist das nicht so einfach. Frauen leben nicht im luftleeren Raum, sondern mit den Werten und Normen der Gesellschaften, in denen sie sozialisiert werden. Das bedeutet, dass auch Frauen Werte unreflektiert übernehmen, wenn sie in einer Gesellschaft vorhanden sind, und zwar bereits im jungen Alter.Auch sie kodieren gewisse negative Eigenschaften als männlich, lernen diese als positiv und wünschenswert zu betrachten und orientieren sich nach dem Wertekompass unserer Gesellschaft. Sie lernen – sollten sie auf Männer stehen –, sich zu Arschlöchern hingezogen zu fühlen: Nicht umsonst ist es ein so weit verbreiteter Gag in Comedys, dass der sensible Mann nie die erste Wahl ist, oft sogar nicht einmal als sexuelles Wesen wahrgenommen wird.Raus aus dem HamsterradEr wird – manchmal für immer – in der „Friendzone“ eingesperrt und als Witzfigur ins Lächerliche gezogen. Wie es die Logik erfordert, sind ebenjene Frauen, die „Lederjacken tragende, Motorrad fahrende Arschlöcher“ daten, nie glücklich. Wie auch – wie kann ein Mensch in einer Beziehung, in der er/sie kontinuierlich schlecht behandelt und ausgebeutet wird, glücklich sein? Die Metoo-Bewegung ist offensichtlich eine Notwendigkeit – jeder neue Fall, der ans Tageslicht gebracht wird, beweist das erneut. So wie unser Leben heute organisiert ist – dass Unrecht geschieht und manchmal auch bestraft wird, dem aber keine Grenzen gesetzt werden und keine gesellschaftliche Veränderung folgt – bleibt diese Bewegung ein Hamsterrad.Also, was tun?Schluss damit, bestimmten Menschen gewisse Verhaltensweisen über Dekaden hinweg zu erlauben, zu verzeihen, zu belohnen und so auch selbst zu Mittäter*innen des Systems zu werden und zu viktimisieren. Schluss damit, hinter dem gewaltvollen Verhalten bestimmter Menschen verständliche Gründe zu suchen und Ungerechtigkeiten zu legitimieren.Solange keine fundamentalen, nachhaltigen, positiven Veränderungen geschaffen werden – und solange die Gleichberechtigung keine Voraussetzung, sondern vermeintliches Ziel ist – erzielen wir als Gesellschaft keine Fortschritte.Placeholder authorbio-1
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