Das Modell Tirana

Ryanair-Journalismus Der Privatfernsehsender Agon Channel hat ein neues Geschäftsmodell im Journalismus ins Leben gerufen: Sparen durch Standortverlagerung
Ausgabe 36/2014

Die gedruckten Zeitungen verlieren Leser. Die Onlinezeitungen haben zwar so viele Nutzer wie nie zuvor, aber die Werbeeinnahmen bleiben niedrig. Und das Fernsehen hat sich zum reinen Unterhaltungsmedium entwickelt. Was ist nur los mit dem Journalismus? Eines ist sicher: Es geht ihm nicht gut. Deswegen sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die den Trend umkehren und den Journalismus auch ökonomisch attraktiv machen. Ein neues Modell kommt nun aus Italien, und es verspricht wirtschaftlichen Erfolg. Doch enthält es die richtige Lösung?

Die Fakten: Francesco Becchetti ist ein italienischer Unternehmer, aktiv vor allem auf dem Balkan. In Tirana besitzt er den Privatfernsehsender Agon Channel, der vor eineinhalb Jahren gegründet wurde und auf Albanisch überträgt. Nun soll daneben auch ein TV-Kanal in italienischer Sprache eröffnet werden. Die Idee ist einfach, sie heißt Standortverlagerung: Alle Sendungen werden in Tirana produziert, doch die albanische Gesellschaft und Kultur werden kaum eine Rolle spielen. Agon Channel hat keine internationalen Ansprüche und richtet sich an ein italienisches Publikum, das digital zu erreichen ist. Das Ziel: Sparen, so wie das üblich ist in der modernen Wirtschaft, wo Kleidung und Elektrogeräte auf der anderen Seite der Welt hergestellt werden. Warum also nicht die gleiche Geschäftsstrategie bei der Entertainmentindustrie und beim Journalismus umsetzen?

Das „Ryanair des italienischen Fernsehers“, wie der Journalist Alessio Vinci (zukünftiger Nachrichtenchef bei Agon Channel) erläuterte, ist schon auf der Suche nach neuen Talenten. In diesem Sommer wurden Komiker, Schauspieler oder Models durch Castings in ganz Italien rekrutiert. Obwohl der Schwerpunkt des Senders Reality- und Talentshows für Zuschauer zwischen 18 und 55 Jahren sein sollten, sind für die News auch Journalisten gefragt, die „allein einen ganzen Videobericht – vom Dreh bis zur Montage – herstellen können“. Und die natürlich bereit sind, nach Tirana umzuziehen.

Am Ende, erklärt Vinci, soll „ein Produkt erschaffen werden, das zehnmal weniger als in Italien kostet“. Geräte, Gebäude und Personal sind in Albanien viel preiswerter. Detaillierte Informationen über den Vertrag für Journalisten will Agon Channel, wenig überraschend, nicht geben. Unklar ist außerdem, wann genau der Sender im Herbst zum ersten Mal ausstrahlen wird. Auch wenn das Modell bisher nicht zu einer bahnbrechenden Abwanderung der italienischen Medien ins Ausland führte, sind die Befürchtungen mehr als legitim. Denn die Qualität im Journalismus scheint heute oft den Kosten untergeordnet zu sein und der Weg zum Profit kennt nur wenige Einschränkungen – auch in Deutschland.

Weltweit übertragen Sender ihre Programme über die Landesgrenzen hinweg, doch ihre Standorte richten sich auch nach den lokalen Gegebenheiten; die Berliner Zeitung sitzt auch in Berlin. Nicht in diesem Fall. Kann man also von einem neuen Modell sprechen? Die Verlagerung ins Ausland wird von Unternehmen seit Jahren umgesetzt, doch hier geht es nicht um Warenproduktion, sondern um geistige Arbeit. Und die lässt sich nicht so einfach transportieren, sie braucht bestimmte Bedingungen, um gut zu gedeihen. Es sei denn, Qualität ist letztendlich nicht so bedeutsam.

Francesca Polistina bloggt auf freitag.de

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