Die Normalität Berlusconis

Italien Im März 1994 wurde Berlusconi zum ersten Mal Ministerpräsident. Eine ganze Generation ist mit ihm aufgewachsen und dachte, Politik sei eben so

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Alles begann 1994. Als Silvio Berlusconi sein politisches Engagement ankündigte, schickte er den größten Sendern Italiens ein 9-Minuten-Video. Eine Art Vorstellungsgespräch, wo er gemütlich - strategisch? - vor Bücherschrank und Familienfotos saß und seine Rede mit den Worten „Italien ist das Land, das ich liebe“ anfing. Das war noch Ende Januar. Am 28. März gewann er die Wahl und wurde zum ersten Mal Ministerpräsident.

Das Video habe ich auf youtube erst später gesehen, denn damals war ich noch in der Grundschule. Ich gehöre nämlich zu denen, die mit Berlusconi groß geworden sind. Wann ich das erste Mal seinen Name gehört habe, ist mir nicht mehr bekannt. Ich habe es einfach immer gewusst, wie ich immer gewusst habe, wie er aussieht und wie er spricht. Sogar einige Details seines Privatlebens habe ich immer gewusst, als sei es für einen Politiker vollkommen normal. Oder wie das Lied seiner Partei „Forza Italia“ klingt - zumindest die Melodie, denn das war schon eingängig und für kindliche Ohren geeignet. Ich habe auch immer gewusst, dass er die Kommunisten hasst: wer aber die Kommunisten sind, habe ich erst einige Jahre später in der Schule gelernt.

Als ich neulich einen Verwandten fragte, der 1994 schon wahlberechtigt war, bekam ich die Antwort: „Seit dem Anfang hat Berlusconi das Land getrennt“. Die, die ihn lieben, die, die ihn hassen. Das kann banal klingeln, aber so einfach ist es nicht. Denn diejenigen, die unter Berlusconi und was man „Berlusconismo“ nennt groß geworden sind, kennen nämlich nur eine Politik der Trennung, wo das Parlament kein Konfrontationsort ist und der politische Gegner zerstört werden muss, egal durch welches Mittel. Für sie - für uns - ist es einfach normal, dass die Beschimpfung zur politischen Waffe geworden ist. Aber das ist natürlich nicht die einzige "Normalität".

Als Berlusconi sagte, es sein nicht unmoralisch, Steuern zu hinterziehen, wenn sie zu hoch sind, habe ich mich, als junge Italienerin, zum Teil empört und zum Teil gedacht „Alles normal“. Als herauskam, dass Berlusconi eine minderjährige Prostituierte bezahlte, habe ich mich geärgert aber dann auch gedacht „Alles normal“. Dass er falsche Versprechen gemacht hat oder wegen Beziehungen zur Mafia unter Verdacht stand, fand ich weder schön noch legitim, aber auch „normal“. Aufpassen: „Normal“ im Sinne von erwartungsgemäß, denn diese 20 Jahre haben nur eines gezeigt: dass die Talsohle noch nicht erreicht war, dass das Schlimmste noch nicht vorbei war. „Was wird das nächste sein?“, hat man sich gefragt. So hat jede Episode ganz eingehend die Weichen für die nächste gestellt. Erst später habe ich verstanden, was diese Normalität bedeutet hat: man hat es einfach akzeptiert, man hat mitgemacht.

Die Geschichte Italiens der letzten 20 Jahren ist keine Geschichte von Aufstand und Rebellion, sondern eher eine von Geduld und Schläfrigkeit. Natürlich gab es die, die laut „Nein“ gesagt haben: das sind aber Individualgeschichten, schön aber ungenügend. Hat die "Opposition" Fehler gemacht und sich mit den falschen Problemen beschäftigt? Ja. Haben sich die Italiener angepasst? Vielleicht. Haben die Jungen auf ihre Rebellionsinstikte verzichtet? Auch, für sie war es normal so.

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