Weltbekannt sind die Mütter der Plaza de Mayo und ihre Suche nach den während der Militärdiktatur (1976 – 1983) in Argentinien Verschwundenen. Eine ähnliche Arbeit leistet das Kollektiv Madres de los Falsos Positivos (MAFAPO/wörtlich: Mütter der falschen positiven Resultate), das sich mit einem perfiden Kapitel des kolumbianischen Bürgerkriegs beschäftigt. Überwiegend junge Menschen aus armen Familien wurden von der Armee verschleppt und tauchten bald darauf als in Guerilla-Kleidung Erschossene wieder auf. Die Armee präsentierte sie stolz als getötete Aufständische. Bis heute blieben viele der Verantwortlichen für diese verbrecherische Praxis straflos und die Opfer ohne Entschädigung.
Diego Armando (21) verließ
rließ an einem Februarmorgen 2008 sein Haus in Soacha, einem Vorort von Bogotá. Am Abend kam er nicht zurück, auch nicht am nächsten Tag. Seine Mutter und der ältere Bruder suchten ihn. Dann ein Anruf, er habe einen Job gefunden, aber weit weg von zu Hause. Danach gab es über Monate keinen Kontakt mehr. „Wir waren verzweifelt, wussten nicht, wo wir ihn suchen sollten“, erinnert sich die Mutter Rubiela Giraldo. „Im September dann wurde im Fernsehen über Massengräber in Ocaña berichtet, in denen man die Leichen junger Männer fand. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mein Junge dabei sein könnte. Doch Diego war unter den identifizierten Toten. Als mein ältester Sohn seine sterblichen Überreste abholen fuhr, sagte man ihm: ‚Dein Bruder war ein Guerillero und ist im Kampf getötet worden.‘“ Rubiela schüttelt den Kopf. „Mein Sohn hatte mit der Guerilla nie etwas zu tun, kurz vor seinem Verschwinden leistete er den Wehrdienst ab.“Tausende solcher Geschichten ließen sich erzählen. Mindestens 6.402 Menschen sollen zwischen 2002 und 2008 als „falsos positivos“ von den kolumbianischen Streitkräften ermordet worden sein – einzig zu dem Zweck, schnell Erfolge melden zu können. Über 6.400, das ist die doppelte Zahl aller unter der Pinochet-Diktatur in Chile Ermordeten. „Vermutlich sind die Angaben über die ‚falsos positivos‘ zu niedrig gegriffen. Die Opfer wurden nicht durchweg dokumentiert mit Namen und Nummer des Personalausweises. Nach 2008 gab es weitere Fälle, wenn auch nicht mehr so viele“, so Jacqueline Castillo Peña von MAFAPO, deren Bruder Jaime im August 2008 auf einer Straße in Bogotá gekidnappt wurde und zwei Tage später als „toter Guerillero“ wieder auftauchte.Anklage gegen Mario Montoya im Fall der „falsos positivos“ könnte Wende bedeutenZwischen 2000 und 2010 waren „im Kampf Gefallene“ zentraler Indikator für den militärischen Erfolg und Anlass für Sonderurlaub oder Beförderung. Letztlich war das auch ein Resultat des „Plan Colombia“ der US-Regierung zur Drogen- und Aufstandsbekämpfung, bei dem von 1999 bis 2005 3,78 Milliarden Dollar geflossen sind, inklusive der Folgeprogramme zwölf Milliarden, was zu einer enormen Militarisierung des Landes führte. Einer der wichtigsten Militärs jener Epoche und bisher ranghöchster Angeklagter im Fall der „falsos positivos“ ist der pensionierte General Mario Montoya. Ihm wird zur Last gelegt, als Kommandeur der 4. Brigade 2002/2003 in Medellín für 130 Morde an Zivilisten verantwortlich gewesen zu sein. Zeugen sagten aus, Montoya hätte von seinen Untergebenen „nicht Liter, sondern Ströme voll Blut“ gefordert. Der in Fort Knox/USA ausgebildete General stand im Kampf gegen die FARC-Guerilla, hatte enge Kontakte mit Paramilitärs und war 2006 bis 2008 Armeeoberbefehlshaber. Wie der damalige Präsident Alvaro Uribe bestreitet Montoya, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein oder auch nur davon gewusst zu haben.Ende August wurde er von der Sonderjustiz JEP angeklagt, ein nach dem Friedensvertrag zwischen der FARC und der Regierung von 2016 geschaffenes juristisches Forum, das mehr aufklären als sanktionieren will. Dennoch hat die JEP Anklagen auf den Weg gebracht, doch zugleich für andere Effekte gesorgt. „Verurteilte Militärs saßen schon im Gefängnis, unterwarfen sich dann der Sonderjustiz und kamen frei. Warum griff die JEP nicht andere, noch nicht behandelte Fälle auf?“, fragt sich Rubiela Giraldo. Im Fall ihres Sohnes kam es noch nicht einmal zu einer Anhörung. Die JEP habe vorwiegend untere Ränge vor Gericht gebracht. Der Fall Montoya könne eine Wende bedeuten.Präsident Gustavo Petro hat Anfang Oktober im Namen des Staates um Verzeihung gebeten. „Sie sind die Mütter von ganz Kolumbien, Sie sind das Mutterland. Wir hoffen, dass das Blut Ihrer Söhne ein besseres Kolumbien von morgen hervorbringt“, sagte er öffentlich. Das sei ein wichtiger Schritt im Kampf, den MAFOPO seit 15 Jahren führt, meint Jacqueline Castillo. „Wir sehen, dass diese Regierung einen Wandel will. Der Präsident fordert uns zur Versöhnung auf, doch müssen wir zuvor wissen, wer die Befehle für diese Verbrechen gegeben hat. Versöhnung verlangt, dass Täter die Wahrheit sagen. Sie müssen uns anschauen, ihre Verbrechen gestehen und um Verzeihung bitten, dann können wir einen Pfad zum Frieden suchen. Dann können wir uns versöhnen.“ Diese Haltung habe es bei MAFOPO nicht immer gegeben.