Koka-Anbau in Kolumbien: Sprengfallen in Bäumen und Toiletten
Drogenhandel In die Departamentos Nariño und Putumayo haben sich nicht nur Dissidenten der FARC-Guerilla zurückgezogen: Sie verlegen zusätzliche Minen zu ihrem Schutz. Gleiches geschieht rings um den Koka-Anbau und die Transportrouten der Drogengangs
„Wir verlangen Sicherheitsgarantien von der Regierung“, erklärt einer der „Cuaiquer Integrado“ an der Straßenblockade zwischen Pasto und Tumaco
Foto: Knut Henkel
Dunkelblaue Westen mit dem Aufdruck „Cuaiquer Integrado“ (Integrierter Cuaiquer, ein indigenes Volk Kolumbiens) tragen zwei Dutzend Männer und Frauen. Sie blockieren die Straße von Pasto nach Tumaco im Süden auf halber Strecke. „Gestern ist einer unserer Anführer von einer der bewaffneten Banden ermordet worden. Wir verlangen deshalb Sicherheitsgarantien von der Regierung. Schließlich sitzen wir zwischen allen Stühlen“, erklärt ein junger Mann. Sein Gesicht hat er mit dem grün-rot gemusterten Tuch einer indigenen Organisation verdeckt. Die gepresste Stimme lässt Verzweiflung erahnen, wie sie unter den Protestierenden umzugehen scheint.
„Dass Aktivisten die Straße zwischen Pasto und Tumaco sperren, ist in den ver
in den vergangenen Monaten häufiger vorgekommen“, bestätigt Jandro Marínez von der Caritas in Tumaco. Dort ist der 32-Jährige für Prävention zuständig und regelmäßig in den abgelegenen Gemeinden rund um die Stadt im Einsatz. In der 250.000-Einwohner-Stadt betreut er die durch Antipersonenminen oft schwer Verletzten. „Deren Zahl steigt, aber die Hilfe für die Betroffenen nimmt ab“, kritisiert der Afro-Kolumbianer, der in Tumaco aufgewachsen ist. „Nach dem Friedensabkommen mit der größten Guerilla des Landes, der FARC, vom November 2016 ging die Zahl der Minenopfer zunächst zurück, doch seit 2019 steigt sie wieder.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Departamento Nariño ist genauso wie das benachbarte Putumayo Anbauregion für Koka und Grenzzone zugleich. Die Demobilisierung der FARC-Guerilla ab Ende 2016 hat in dieser Gegend ein Vakuum hinterlassen, in das neue bewaffnete Akteure sowie Dissidenten der FARC-Guerilla gestoßen sind, die den Friedensprozess mit dem Staat ablehnen.„Für die lokale Bevölkerung ist die Situation unübersichtlich, weil es nun eine größere Zahl von Bewaffneten gibt als zuvor. Der Konflikt um Schmuggelrouten, um den Koka-Anbau und die territoriale Kontrolle über das Gebiet hat an Schärfe zugenommen“, urteilt Jandro Marínez. Das linke Bein zerfetzt Davon ist auch die Protestgruppe auf der Straße von Tumaco nach Pasto betroffen. Durch diese Gegend läuft eine der neuen Routen für den Schmuggel von Kokain, Waffen und einigem mehr. Polizisten oder Militärs sind trotzdem kaum präsent. Genau das müsse sich ändern, fordern die indigenen Sprecher. „Wir wollen Sicherheitsgarantien vom Staat, wollen nicht zwischen zwielichtigen Gestalten zerrieben werden. Unsere Felder sind teilweise vermint, weil sie auf dem Weg zu den Camps der Schmuggler oder auch zu versteckten Koka-Feldern liegen“, klagt ein Mann, der an der Straßensperre steht. Lebensmittel seien wegen der Gefahren für den Anbau von Feldfrüchten in den Dörfern der indigenen Gemeinschaft knapp. Es werde dringend Beistand gebraucht. Das bestätigen auch die kirchlichen Hilfsdienste in Tumaco und Pasto, zwei der wenigen Organisationen, die es noch wagen, Präsenz zu zeigen. Sie veranstalten Seminare zur Prävention und arbeiten mit der lokalen Bevölkerung zusammen, aber natürlich auch mit Jandro Marínez, der gerade in zwei Gemeinden unterwegs war. Mit der Caritas im Rücken schult er die Anführer kleiner indigener Gemeinden, um sie über heimtückische Sprengfallen ins Bild zu setzen. Die sind nicht allein im Boden versteckt – Bomben werden auch in das Geäst hoher Bäume gehängt, erzählt die Sozialarbeiterin Rosa Palacios. „Wir wissen, dass bei Detonationen 39 Prozent der Opfer mittlerweile indigener Herkunft sind.“ Sie kümmere sich seit Jahren um Menschen, die zu Schaden kämen, und wisse, wovon sie rede.„Bis Anfang Juli wurden in diesem Jahr für das Departamento Nariño 46 Minenopfer registriert, allesamt Zivilisten, keiner aus einer der Drogengangs. Das ist deutlich mehr als die 24 Betroffenen 2022“, so Palacios in ihrem Büro in Pasto. „Wir brauchen mehr Hilfe, aber die Unterstützung beispielsweise durch die deutsche Caritas ist zurückgegangen. Wir haben weniger Mittel zur Verfügung, obwohl unsere Bedürftigkeit eher steigt.“ Der Süden des Landes hat dadurch eine schwere Bürde zu tragen, ohne dass es in anderen Regionen merklich besser wäre. In Vorjahr wurden auf dem gesamten Staatsgebiet 139 Verletzte gezählt, denen eine Mine zum Verhängnis wurde. Dabei handelt es sich um offizielle Angaben der staatlichen „Aktion gegen Minen“, deren Seriosität über jeden Zweifel erhaben ist. Die Organisation weist außerdem darauf hin, dass Tumaco und der Verwaltungsbezirk Nariño zu den riskantesten Gegenden Kolumbiens gehören. „Was allerdings nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, ist der Umstand, dass dort gegenwärtig an Minenräumung im Gegensatz zum benachbarten Putumayo nicht zu denken ist“, meint Rosa Palacios. Das bestätigt die Kolumbianische Kampagne gegen Minen (CCCM), deren Zentrale in Bogotá liegt, die aber in Putomayo ein Camp zur Minenräumung unterhält. „In einigen Regionen dieses Gebietes sind wir aktiv, können dort Minen auf Bitten von Dorfgemeinschaften oder Einzelpersonen räumen, jedoch längst nicht überall“, so Francisco Moreno, Direktor der Nichtregierungsorganisation, die sich über Spenden aus Geberländern wie den Vereinigten Staaten, Norwegen, Deutschland und der Schweiz finanziert. Neben der CCCM gibt es in Kolumbien fünf weitere zivile Zusammenschlüsse, von denen Minen entschärft werden. „Nur sehen wir uns leider der Tatsache ausgesetzt, dass weiterhin Sprengfallen angelegt werden“, bedauert Francisco Moreno. Das bestätigt auch Luz Dary Landázury. Sie engagiert sich als Freiwillige für die kolumbianische Kampagne gegen Minen, lebt in Candelillas, einem Ort in der gefährlichen Grenzzone, etwa 30 Minuten von Tumaco entfernt. In ihrem Dorf mit rund 4.000 Einwohnern geht ein Riss durch die Bevölkerung. Zwei Banden, die in und um Candelillas präsent sind, zeichnen dafür verantwortlich. „Expediente 30“ (übersetzt: Amtliche 30) und „Los Contadores“ (Die Buchhalter) nennen sie sich. In Candelillas haben die Wände Ohren, weil viele für eine der beiden Gangs, die sich aus ehemaligen FARC-Guerilleros rekrutieren, Augen und Ohren aufhalten. Luz Dary Landázury versucht sich – so gut es geht – aus diesen kriminellen Netzwerken rauszuhalten, engagiert sich im Dorf, gleichfalls in einigen Schulen gegen die Minengefahr, die ihr selbst zum Verhängnis geworden ist. Der 10. Oktober 2012 wurde zu einem Wendepunkt in ihrem Leben, als ihr ein Sprengkörper das linke Bein zerfetzte. „Als das Sammeltaxi die Einfahrt von Candelillas passiert hatte, gab es plötzlich einen Knall“, erinnert sie sich, „das Fahrzeug machte einen Satz, und mir schoss der Schmerz ins linke Bein“.Dieser Augenblick hat ihr Leben verändert. Heute gibt Landázury Präventionsunterricht, um anderen zu ersparen, was ihr geschehen ist. Die Splitter der Mine zerstörten nicht nur ihren linken Unterschenkel, sie verletzten zugleich den linken Arm. „Ich hatte Glück, weil sich in Pasto Rosa Palacios um mich gekümmert und mir wieder Lebensmut gegeben hat“, sagt die hübsche junge Frau. Sie sei gut vernetzt mit der Caritas, in Kolumbien „Pastoral Social“ genannt, desgleichen mit der CCCM. Die entschärft Sprengfallen in der Nachbarprovinz Putumayo, was sich Luz Dary Landázury auch für ihren Heimatort wünschen würde. Noch ist Minenräumung dort nicht möglich, da es an der nötigen Sicherheit fehlt, um Wege, Felder und die Flächen rings um Schulen von versteckten Bomben zu befreien. „Auf CCCM-Fotos sind Sprengkörper in der Toilettenspülung oder in Fußbällen zu sehen. Das ist so perfide, dass mir die Worte fehlen“, sagt Landázury. Sie sei regelmäßig mit dem „Pastoral Social“ unterwegs und wisse genau, wie schwierig es sein könne, Minen zu räumen, und wie leicht sie andererseits zu installieren seien. Daran sind nicht nur Versprengte aus einstigen FARC-Kommandos beteiligt, gleichsam trifft das bei anderen Verwaltungsbezirken auf teils noch aktive Guerilleros der Ejército de Liberación Nacional (ELN) zu sowie mehrere Drogenbanden.„Die Produktion kostet zwischen drei und fünf Dollar, das Räumen eines solchen Sprengkörpers 21 Dollar“, erklärt Francisco Moreno von der CCCM. Niemand wisse auch nur annähernd, wie viele Minen in kolumbianischem Boden verlegt worden seien. Mit ziemlicher Sicherheit müsse man aber davon ausgehen, dass es nicht weniger würden. „Sie werden weiter platziert – zum Schutz der eigenen Camps und der Koka-Plantagen.“ Für seine Räumungsteams, deren Mitglieder fast immer aus der jeweiligen Region stammen, sei es motivierend, den Farmern und ihren kleinen Gemeinden geräumte Latifundien zu übergeben, damit die wieder bebaut werden können. Das wünschen sich auch die Menschen in und um Candelillas sowie in den indigenen Ortschaften, die den Weg von Tumaco nach Pasto säumen.
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