Das Ende der modernen türkischen Republik?

Türkei An der Grenze Europas entsteht ein neuer Konfliktherd. Die Türkei versinkt immer tiefer im Chaos aus Unterdrückung und Krieg

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Hält die Fäden der Macht in der Hand: Erdoğan
Hält die Fäden der Macht in der Hand: Erdoğan

Bild: Yuri Cortez/AFP/Getty Images

Zugegeben, im Umfeld der türkischen Regierungspartei AKP ist man Satire gegenüber momentan eher nicht besonders positiv eingestellt. Generell scheint Humor und Gelassenheit in den höchsten Ebenen der politischen Macht der Türkei nicht weit verbreitet zu sein. Über Humor kann man bekanntlich streiten, über die Freiheit von Presse- und Kunst kann man es eigentlich nicht. Nüchtern betrachtet wäre es momentan in der Türkei allerdings schon ein großer Fortschritt, wenn man über die Freiheit der Presse überhaupt noch „streiten“ könnte. Davon ist das Land weit entfernt, grundlegende Freiheitsrechte – die Pressefreiheit eingeschlossen – existierten schlicht nicht mehr. Journalisten wie Can Dündar und Erdem Gül können ein Lied davon singen. Ihnen wird wegen „Spionage“ der Prozess gemacht, weil sie über verdeckte Waffenlieferung von der Türkei aus nach Syrien berichtet haben. Sie sind bei weitem nicht die einzigen Journalisten, die wegen ihrer Berichterstattung in Haft sitzen, lediglich die bekanntesten.

Hinter den Ermittlungen gegen die Journalisten steht maßgeblich der türkische Präsident Erdoğan. Sollten die Richter nicht nach seiner Meinung handeln, spricht er ihnen entweder die Legitimation ab, oder erverlässt sich auf die wütenden Mobs, die in seinem Namen Fakten schaffen. Vergangenes Jahr waren es wohl nur glückliche Umstände, die den Mitarbeitern der Zeitung „Hürriyet“ das Leben gerettet haben, als Erdoğans Schlägerbanden das Redaktionsgebäude stürmten. Die Strategie, alle politischen Gegner als „Terroristen“ zu brandmarken, zeigt Wirkung. Der Präsident schürt einen ohnehin starken türkischen Nationalismus und reichert ihn mit islamistischen Phrasen an. Wer seinen Lebensentwurf nicht teilt, ist sein Feind. Hierzu zählt insbesondere die pro-kurdische und linke „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) und deren Unterstützer. Journalisten, Oppositionelle und Justiz leiden also gleichermaßen unter der Herrschaft Erdoğans und seiner AKP.

Die Realität zeigt, dass Präsident Erdoğan bis heute die Fäden der Macht in der Hand hält, obwohl die Rollen- und Machtverteilung in der türkischen Verfassung anders vorgesehen ist. Erdoğan überschreitet durchweg seine verfassungsrechtlichen Befugnisse, daran hat auch die klare Ablehnung des von ihm favorisierten Präsidialsystems durch die Bevölkerungsmehrheit nichts geändert. Die eigentliche Regierung um Ministerpräsident Davutoğlu verkommt so zur Marionette des Präsidenten. Die Türkei ist auf bestem Weg in eine Diktatur, vielleicht ist sie heute schon eine. Diese Entwicklung trat nicht über Nacht ein. Erdoğan und seine AKP wurden in den vergangenen Jahren immer autoritärer, brutaler und rücksichtsloser. Die Niederschlagung der Proteste vom Istanbuler Taksim-Platz im Jahr 2013 zeugen davon, die zahlreichen Korruptionsskandale rund um die Regierungspartei und die Eliminierung bürgerlicher Freiheiten ebenso.

Über den Umgang der türkischen Führung mit der Presse und der Justiz ist in Deutschland viel geschrieben worden, auch Kritisches. Etwas, das in den großen deutschen Medien allerdings weitestgehend unter den Tisch gefallen ist oder nur als Randnotiz wahrnehmbar war und heute kaum noch Erwähnung findet, ist der Krieg im Südosten der Türkei. Die Bilder leidender Menschen und zerstörter Städte aus Syrien kennt beinahe jeder Europäer. Die Bilder aus den verwüsteten Städten Cirze und Diyarbakır sind in Europa dagegen unbekannt, obwohl sie sich kaum von denen aus Syrien unterscheiden. Die Belagerung der kurdischen Städte im Südosten der Türkei hat hunderten, vielleicht tausenden, Zivilisten das Leben gekostet. Natürlich streitet die türkische Regierung das ab und behauptet, sie würde nur gegen „Terroristen“ (Wer ist das in deren Augen eigentlich nicht?) vorgehen. Gleichzeitig setzt sie schwere Waffen in Wohngebieten ein, von den Massakern in Cirze ganz zu schweigen. Dass aus den Gebieten in der Südosttürkei trotz völliger Blockade überhaupt Informationen nach Außen dringen ist in erster Linie lokalen Aktivisten, Menschenrechtsgruppen und alternativen Medien, wie dem linksradikalen „Lower Class Magazine“, zu verdanken.

Die Türkei durchlebt politisch, wirtschaftlich und militärisch schwere Zeiten. Auf absehbare Zeit wird sich das kaum ändern. Der Bürgerkrieg im Südosten des Landes stellt die türkische Gesellschaft ebenso vor eine Zerreißprobe, wie der Regierungsstil des Präsidenten Erdoğan. Bei seinem Vorgehen gegen Andersdenkende spielen ihm die Anschläge im Land noch massiv in die Karten.

Der Wahlspruch der türkischen Republik lautet „Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt.“ Mit der Realität hat er derzeit nichts zu tun, im Gegenteil. Wenn sich die aktuelle Situation in der Türkei nicht ändert oder gar noch weiter verschärft, kann Europa bald mit türkischen bzw. kurdischen Flüchtlingen rechnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Franz Hausmann

Sozialwissenschaftler, Autor, Hobbygärtner. Buch "Koks am Kiosk? Eine Kritik der deutschen Drogenpolitik" gibts beim Schmetterling Verlag.

Franz Hausmann

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