Gesellschaftliche Psychose

Cannabis Die globale Cannabisprohibition bricht zusammen – machen wir uns keine Illusionen warum

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Cannabis: Nicht „die Vernunft” hat gesiegt, sondern die gesellschaftliche Realität
Cannabis: Nicht „die Vernunft” hat gesiegt, sondern die gesellschaftliche Realität

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Zugegeben, die letzten Jahre waren für die Cannabiskonsument*innen dieser Welt vergleichsweise gut. Mit den Legalisierungsgesetzen in Colorado und Uruguay wurden Dämme gebrochen. In immer mehr Staaten dieser Welt ist das Kiffen erlaubt – zu Freizeitzwecken, einfach so. Es vergeht kaum eine Woche, in denen es nicht neue Nachrichten zum Thema Cannabislegalisierung gibt. Vor allem jenseits des Atlantiks wird legalisiert, was das Zeug hält. Aber auch in Europa verändern sich Gesetze, der Weg in Richtung Entkriminalisierung und Legalisierung wird zunehmend eingeschlagen oder mindestens deutlich empfohlen.

Das ist gut, niemand, der sich damit beschäftigt, kann eigentlich gegen diese Entwicklung sein. Trotzdem hinterlässt sie einen unangenehmen Beigeschmack – weil kaum jemand versteht, was eigentlich genau vor sich geht. Weite Teile von Politik, Medien und Konsument*innen reden sich ein, „die Vernunft” hätte endlich gesiegt. Nach all den Jahren der Desinformation, Lügen und Diffamierungen würde sich nun endlich die Wahrheit durchsetzen und Cannabis als das erkannt werden, was es angeblich ist: Eine doch recht harmlose Sache, eigentlich gut für so ziemlich jede Lebenslage, mit Potential in so ziemlich allen Bereichen. Und das mit dem Verbot funktioniere ja ohnehin nicht so richtig. Endlich fällt also die letzte Bastion der Ideologie in dieser schönen, rationalen Gesellschaft.

Nun sieht die Realität natürlich anders aus. Cannabis ist nicht harmlos. Im Vergleich zu vielen anderen Substanzen hat es ein eher mittelmäßiges Gefahrpotential – wenn sein Konsum natürlich auch bei weitem nicht so verheerende Auswirkungen hat wie etwa der von Alkohol. Und auch das medizinische Potential von Cannabis ist komplexer, als es viele gerne hätte. Sicher, es hilft bei einigen Erkrankungen, aber es ist kein Allheilmittel gegen fast alles. Und das Scheitern des Verbots? Hier wird es erst richtig spannend.

Ja, das Cannabisverbot ist seinen eigenen Ansprüchen nach gescheitert. Auf ganzer Linie, überall. Die Zahl der Konsument*innen steigt, die Zahl der Menschen in Behandlung steigt, immer mehr Jugendliche kiffen. Die Steuereinnahmen fehlen, die Repression zerstört mehr Existenzen, als es die Substanz je könnte. Die Streckmittel sind gefährlicher als der Stoff. Der entscheindende Punkt ist: Das alles wissen wir seit Jahrzehnten. Wieso interessiert es erst jetzt die Leute in nennenswertem Umfang? Die meisten der Kritikpunkte gelten für jedes Drogenverbot und jede Substanz. Wieso sprechen wir dann nur über Cannabis?

Wieso sprechen wir nicht über den medzinischen Nutzen von Heroin, LSD oder MDMA? Wieso sprechen wir nicht über das Scheitern des Verbots bei anderen Substanzen – obwohl dort teilweise die Folgen noch viel heftiger sind, etwa bei Heroin?

Die Antwort ist banal: Weil diese Gesellschaft nicht plötzlich „rational”, „vernünftig” oder „ideologiefrei” geworden ist. Der Grund, warum die Cannabisprohibition – im Gegensatz zur generellen Drogenprohibtion – zunehmend fällt, dürfte ein denkbar einfacher sein: Cannabis ist eine gesamtgesellschaftliche Realität geworden, in den USA noch mehr als in Europa. Eine Realität, so erdrückend, dass sie nicht mehr zu leugnen ist. Eine Realität, nicht nur in marginalisierte Randgruppen, sondern überall. Die Söhne und Töchter des Bürgertums kiffen fleißig, trotz Verbot. Im Jahr 2019 ist es sogar möglich, stockkonservativ zu sein und trotzdem Cannabis zu rauchen.

Die Handelswege, Konsumformen und -gewohnheiten sind global geworden. Dass sich genau deshalb verdammt viel Geld mit Cannabis verdienen lässt, versteht sich von selbst. Von der Erzählung einer Politik, die endlich auf gute Argumente eingeht, bleibt am Ende wenig übrig – übrigens auch deshalb, weil es in erster Linie Gerichte und Volksentscheide waren, die das Ende des Cannabisverbots eingeleitet haben.

Der zunehmende Zusammenbruch der Cannabisprohibition ist begrüßenswert, aber das gesellschafliche Bild dieser Entwicklung gleicht einer Wahrnehmungstörung. Nicht „die Vernunft” hat gesiegt, sondern die gesellschaftliche Realität. Nicht die besseren Argumente, sondern die Ausbreitung und Allgegenwart des Konsums – und ein bisschen Geld dürfte auch im Spiel sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Franz Hausmann

Sozialwissenschaftler, Autor, Hobbygärtner. Buch "Koks am Kiosk? Eine Kritik der deutschen Drogenpolitik" gibts beim Schmetterling Verlag.

Franz Hausmann

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