Russland: Wladimir Putin wird bald seine erneute Kandidatur als Präsident erklären

Sozialer Konservatismus Gut zwei Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine soll Russland im März 2024 seinen Präsidenten wiederwählen. Warum die Zustimmungswerte für Wladimir Putin zuletzt gestiegen sind
Ausgabe 46/2023
Russlands nächster Präsident: Wladimir Putin
Russlands nächster Präsident: Wladimir Putin

Foto: Gavriil Grigorov/Pool/AFP/Getty Images

Zu Beginn des zweiten Kriegswinters können sich Anhänger wie Gegner Wladimir Putins mit einiger Sicherheit auf ein Ereignis Mitte Dezember einstellen. Russlands Präsident dürfte auf einem Kongress der Partei Einiges Russland seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im März 2024 ankündigen. Einige Tage danach ist mit einer großen Pressekonferenz zu rechnen, auf der Putin Fragen zum Programm für die nächsten sechs Jahre beantwortet. Zunächst hieß es, er werde sich auf einem Meeting der staatsnahen Allrussischen Volksfront aus Industriearbeitern und Soldaten erklären – oder bei anderer Gelegenheit vor dem Jahreswechsel.

Putins Aussichten auf eine Wiederwahl mit einem Rekordergebnis waren noch nie so groß wie jetzt. Die verbliebenen Oppositionsparteien von den Kommunisten (KPRF) bis zu den rechtspopulistischen Liberaldemokraten (LDPR) bewegen sich außenpolitisch im Fahrwasser des Kreml, „nichtsystemische“ Gegner wie die Gruppe um Alexei Nawalny sind zerschlagen.

Die Sanktionen und Annalena Baerbocks Zitat

Der Umstand, dass im Ukraine-Krieg russische Soldaten gegen Panzer aus NATO-Staaten auf Schlachtfeldern kämpfen, auf denen einst die Rote Armee gegen die Wehrmacht antrat, hinterlässt Wirkung. Im Bewusstsein von Millionen Russen führt das Land heute einen Verteidigungskrieg gegen westliche Mächte, die Russland „ruinieren“ wollen, wie das die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Februar 2022 bekannte. Die Sanktionen, besonders die Waffenlieferungen, verschaffen Putin Ratings, die weit über den Werten vor dem Krieg liegen.

Die unabhängigen Meinungsforscher des Moskauer Lewada-Instituts kamen bei einer Umfrage im Februar 2023 zu dem Ergebnis, dass mehr als 68 Prozent der russischen Bürger finden, Putin führe das Land „in die richtige Richtung“, 21 Prozent waren gegenteiliger Auffassung. Der Moskauer Soziologe Alexej Lewinson hat in einer Analyse für die Zeitschrift Gorbi konstatiert, dass die Grundstimmung einen „sozialen Konservatismus“ spiegele. Grund für das „ungewöhnlich stabile Rating“ Putins sei der Wunsch vieler, der Präsident solle „Russlands Stellung als Großmacht in der Welt sichern“. Hinzu komme dessen Vermögen, seine Positionen in die Sprache des einfachen Volkes zu kleiden – ein Schlüssel, um Putins anhaltende Beliebtheit zu verstehen.

Wer in der Ostukraine nicht kandidieren darf

Diese permanente Popularität erlaubt es dem Kreml, zwei Jahre nach Kriegsbeginn wählen zu lassen. Dieses Votum finde auf jeden Fall statt, so Sprecher Dmitri Peskow. Offenbar, um nach innen und außen zu bekunden, die russische Staatsmacht ist so stabil, dass eine solche Abstimmung kein Risiko darstellt. Womit man beim Thema propagandistisches Kalkül wäre, wenn Wolodymyr Selenskyj für die Ukraine Wahlen in Kriegszeiten verneint, während Russland eine Wahlbeteiligung der eingenommenen Regionen in der Ostukraine vorsieht. Wobei dort politische Kräfte, welche die Zugehörigkeit dieser Gebiete zu Russland bestreiten, keine Chance zur Kandidatur haben werden.

Wie geschickt Putin mit Traditionen der russischen Gesellschaft umgeht, zeigte er Ende Oktober mit seinem Plädoyer für eine Rückkehr zu den Sportparaden auf dem Roten Platz, mit denen man einst 1919 begonnen hatte. Die größte gab es am 12. August 1945 als choreografisch perfekte Inszenierung sowjetischer Stärke drei Monate nach dem Sieg über Hitler.

Die Eliten haben ein Interesse an Putins Wiederwahl

Warum die Stalin-Ära künftig noch positiver gesehen werden könnte, dazu hat sich die im Exil lebende Tatjana Stanowaja vom Carnegie Russia Eurasia Center geäußert. Im US-Magazin Foreign Affairs prophezeit sie eine „Militarisierung des russischen Lebens“ in einem „radikalisierten, falkenartigen, rücksichtsloseren Staat“. Die russische Öffentlichkeit werde „mehr verzweifelt, mehr antiwestlich, mehr antiukrainisch“ sein. Es gebe ein Interesse der Elite, durch eine demonstrative Wiederwahl Putins innere Stabilität zu demonstrieren. Dennoch habe das System zu lernen begonnen, „unabhängig von Putin zu operieren“. Dass dessen Ära nunmehr in eine letzte Phase geht, zeigt das Alter des Kandidaten. Putin ist jetzt 71, nach einer weiteren sechsjährigen Amtszeit wäre er 77 Jahre alt, freilich immer noch vier Jahre jünger als US-Präsident Joe Biden derzeit.

Um in etwa zu ermessen, was bei der anstehenden Wahl zu erwarten ist, empfiehlt sich der Rückblick auf den Urnengang von 2018, als Putin auf 76,7 Prozent der Stimmen kam. Diesmal wird um der nationalen Geschlossenheit willen ein Ergebnis von über 80 Prozent für möglich gehalten. Weit abgeschlagen sahen sich vor fünf Jahren alle anderen Bewerber, unter denen für die KPRF Pawel Grudinin mit 11,8 Prozent noch am besten abschnitt, obwohl ihn staatsnahe Medien mit schwer überprüfbaren Vorwürfen hinsichtlich seines Vermögens diffamiert hatten.

Eine bizarre Sonderrolle spielte seinerzeit Maxim Suraikin, der für die Gruppierung „Kommunisten Russlands“ antrat und versuchte, die Kommunistische Partei links zu überholen. Er versprach „Stalin’sche Schläge“ gegen Korruption und warf der KP vor, sie habe Lenin verraten. Dafür erhielt er in den Medien auffällig viel Raum und bei der Wahl 0,7 Prozent.

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