Schon von seiner äußeren Erscheinung her wirkt Verteidigungsminister Andrei Beloussow als Kontrast zu seinem Vorgänger Sergei Schoigu und manchem General. Der Mittsechziger neigt weder zu Übergewicht noch zum wortgewaltigen Auftritt. Auf den ersten Blick könnte man ihn für einen Dekan an einer russischen Universität halten. Tatsächlich kommt Beloussow aus der Wissenschaft, sowohl durch seine Ausbildung wie auch den familiären Hintergrund.
Sein Vater war ein führender sowjetischer Ökonom
Er hat die ökonomische Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität absolviert und wuchs auf als Sohn des führenden sowjetischen Ökonomen Rem Beloussow, Jahrgang 1926. Beloussow senior zählte zu jenen Fachleuten in der UdSSR,
renden sowjetischen Ökonomen Rem Beloussow, Jahrgang 1926. Beloussow senior zählte zu jenen Fachleuten in der UdSSR, die jahrzehntelang nach Wegen suchten, die Planwirtschaft durch Marktmechanismen zu ergänzen und damit ihre notorischen Schwächen aufzufangen. In den frühen 1960er Jahren arbeitete er mit an den „Kossygin’schen Reformen“, ausgelöst vom damaligen Ministerpräsidenten Alexei Kossygin und später vom Parteiapparat ausgebremst. Die Chancen und das Scheitern dieser Reformversuche blieben über Jahrzehnte Gegenstand der Diskussion von Vater und Sohn. Letzterer war Mitte der 1980er Jahre, als die „Perestroika“ unter Michail Gorbatschow begann, an einem Institut der Akademie der Wissenschaften tätig, das sich mit der „Prognose des wissenschaftlich-technischen Fortschritts“ befasste.Kurz vor dem Ende der Sowjetunion, im Jahr 1991, avancierte der damals 33-jährige Beloussow junior zum Leiter des „Labors für die Analyse und Prognose makroökonomischer Prozesse“. Die Kompetenz, die er sich dabei erwarb, machte die russische Regierung auf ihn aufmerksam, die er ab Ende der 1990er Jahre beriet. Im Jahr 2000 – Wladimir Putin wurde erstmals zum Präsidenten gewählt – gründete Beloussow ein von ihm geleitetes Prognosezentrum. Was er ablieferte, war zunächst umstritten, etwa als der Analyst 2005 pessimistisch vorhersagte, für 2008 sei eine Wirtschaftskrise zu erwarten. Sie lasse für die Jahre 2011 und 2012 eine Stagnation befürchten und behindere die wirtschaftliche Steuerung für die Zeit danach. Putin, der damals auf einen gewissen Pluralismus in der Regierung Wert legte, machte den kritischen Ökonomen 2006 für zwei Jahre zum Vizeminister für Ökonomie. Nachdem sich 2008 gezeigt hatte, dass Beloussow mit seiner Krisenprognose recht hatte, förderte das seine Karriere ungemein. Er wurde zu einem Berater von Gewicht, vor allem bei Fragen des Budgets und staatlicher Investitionen.Enge Bindung an die russisch-orthodoxe KircheNach Putins Rückkehr ins Präsidentenamt – es hatte zwischen 2008 und 2012 das Intermezzo des Statthalters Dmitri Medwedew gegeben – brachte es Beloussow 2013 zum „Gehilfen“, also Chefberater Putins, für Wirtschaftsfragen. Dem Präsidenten gefiel 2014, dass Beloussow anders als sonstige Experten des Kremls die Maßnahmen zur „Rückkehr“ der Krim ausdrücklich befürwortete. Danach widmete er sich der Modernisierung von Rüstungsfabriken. Wurde die russische Armee ihren Ansprüchen gerechter, wenn auch nur in Maßen, war das maßgeblich Andrei Beloussow zu verdanken.Mit dem Präsidenten vereinte ihn stets die Bindung an die russisch-orthodoxe Kirche. In seiner freien Zeit besucht er immer wieder Klöster und Kirchen in der Provinz – auch als Messdiener. Beloussows Kompetenz, Loyalität und Gespür für kommende Krisen, das sind unter russischen Politikern seltene Gaben. Umso mehr hat ihn das dafür prädestiniert, Verteidigungsminister zu werden. Ohne Pathos umriss er am 14. Mai vor dem Föderationsrat in Moskau seine Mission. Es gehe ihm, so der angehende Minister, um eine „Optimierung von Ausgaben“ für die Armee. Eine „exzessive Bürokratie“ und „der Amtsschimmel“ müssten überwunden werden. Kümmern werde er sich um die Vergabe von Wohnungen für Soldaten und die medizinische Versorgung von Militärs, vorzugsweise natürlich von Teilnehmern der „speziellen Militäroperation in der Ukraine“. Er gedenke, „die Kontrolle zu verstärken“, was Aufträge zur Ausrüstung der Armee und die Preise angehe. Werde im Namen des Ministeriums gebaut, solle das nicht dem Selbstlauf überlassen bleiben. Hintergrund dieses Versprechens dürfte der Umstand sein, dass dieses Metier für Korruption besonders anfällig ist. Der jahrelang dafür zuständige stellvertretende Minister Timur Iwanow sitzt deshalb seit Mitte April in Untersuchungshaft.Allerdings nimmt Beloussow weder das Wort „Korruption“ in den Mund, noch spricht er davon, einen Augiasstall zu übernehmen. Er bevorzugt weiche Worte für harte Tatsachen. Und er erwähnt seine Maxime: „Man kann sich irren. Aber man darf nicht lügen.“ Dieser Versuchung ist sein Vorgänger Sergei Schoigu nur allzu oft erlegen. Er galt in Moskau als Meister der Schönfärberei. Doch Beloussow weiß, dass Wladimir Putin Schoigu als Nachfolger des engen Putin-Getreuen Nikolai Patruschew zum Chef des Sicherheitsrates ernannt hat, weil er an dessen Demontage oder gar einer juristischen Aufarbeitung von Verfehlungen nicht interessiert ist. Und das Einfühlen in die Intentionen der Präsidenten hat auch für den technokratischen Reformer Beloussow Priorität.