Auf den ersten Blick scheint es, als sei die russische Führungsriege um Wladimir Putin ein Gruppenbild ohne Dame. Bisweilen allerdings erhebt sich in diesem Ensemble oder in dessen Namen eine weibliche Stimme. Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates und damit der Vertretung der Regionen in Moskau, ist nominell die Nummer drei in der russischen Hierarchie, nach dem Präsidenten und dem Premierminister Michail Mischustin.
Die 74-jährige Matwijenko achtet auf eine moderate Tonlage, verbale Ausfälle überlässt sie anderen. An ihrer Treue zu Putin lässt sie freilich nie Zweifel aufkommen. Dass eine geschmeidig anmutende Loyalität in autoritären Systemen das Schmiermittel für das Erreichen führender Funktionen ist, hat Matwi
hat Matwijenko früh erkannt. Wie Putin stammt sie aus einfachen Verhältnissen, anders als etwa Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der Professorensohn.In Tscherkassy geborenDie Tochter eines Soldaten und einer Kostümschneiderin, geboren 1949 im zentralukrainischen Tscherkassy, verlor ihren Vater schon, als sie noch zur Grundschule ging. Fortan konnte sie nur auf sich selbst bauen. Als Musterschülerin zeigte sie früh rhetorisches Talent und organisatorisches Vermögen. Sie machte nach einem Studium am Leningrader Chemisch-Pharmazeutischen Institut ab 1972 Karriere im Komsomol, dem Kommunistischen Jugendverband der Sowjetunion. Als ihre Zeit dort zu Ende ging, stieg sie mit 35 als Chefin eines Stadtteilparteikomitees der KPdSU in Leningrad ein. Es hatte bereits jene Periode begonnen, in der Komsomol und Partei mehr spätsozialistische Behörden als Lenins gesellschaftlicher Vortrupp waren. 1985, in dem Jahr, als Michail Gorbatschow KPdSU-Generalsekretär wurde, studierte Matwijenko nochmals, und zwar bei der Akademie für Gesellschaftswissenschaften des KPdSU-Zentralkomitees.Als die Perestroika schon um ihren Bestand rang, sah man sie 1989 als eine der jüngsten Abgeordneten des Kongresses der Volksdeputierten. Das teilweise frei gewählte Gremium überraschte durch lebhafte, kontroverse Debatten. Gut vernetzt stellte sich Matwijenko auf den denkbaren Systemwandel ein und verstand es, Konflikten um den Machtverlust der KPdSU eher auszuweichen, als sich ihnen zu stellen. Dem Untergang des Sowjetsystems 1990/91 entging sie schließlich als letzte Sowjetbotschafterin auf der sonnigen Insel Malta. Dass für ihre Laufbahn auch Charme und eine sinnliche Ausstrahlung eine Rolle spielten, darüber kommen manche Neider in Moskau bis heute nicht hinweg. „Männlichen Politikern“ hielt Matwijenko 2016 in einer Rede vor, sie würden „mit ihrem brutalen Stil“ nicht dem gerecht, was man inzwischen brauche, um die Welt zu lenken.Zur Zeit Boris JelzinsIn der Ära des Präsidenten Boris Jelzin fand sich Matwijenko ab 1995 zunächst im Kollegium, der Leitungsebene des russischen Außenministeriums, gut aufgehoben. Das Abschmelzen Jelzin’scher Macht erlebte sie mit sicherem Abstand in Griechenland, wohin man sie 1997 als Botschafterin geschickt hatte. Da die Regierung Jelzin nach dem jähen Rubel-Absturz 1998 ein sozialeres Image brauchte, wurde Matwijenko wieder nach Moskau geholt. Als Vizepremierministerin trat die smarte Ex-Komsomolzin nunmehr als telegene Anwältin der Mühseligen und Beladenen in Erscheinung. Von diesem Amt führte ihr Weg 2003 – dann schon unter Präsident Putin – wieder nach Sankt Petersburg, wo sie die Stadt an der Newa als Gouverneurin führte. Während dieser Zeit stieg Sohn Sergej, wohl nicht ganz ohne mütterliche Fürsprache, zum Vizepräsidenten der Wneschtorg-Bank auf, eines der größten staatsnahen Finanzinstitute. Dass Matwijenko ihr Gouverneursamt acht Jahre lang souverän und frei von Skandalen ausübte, wurde zur Empfehlung dafür, sie 2011 an die Spitze des Föderationsrates als des Oberhauses der Legislative zu wählen. Dort ließ sie durchwinken, dass Anfang März 2014 die Halbinsel Krim zum Territorium der Russischen Föderation erklärt wurde. Noch im gleichen Jahr gab es dafür vom Staatschef den Orden „Für Verdienste gegenüber dem Vaterland“. Eine 2002 verliehene ukrainische Auszeichnung, die das Engagement für die Verständigung zwischen beiden Ländern würdigte, wurde ihr in Kiew daraufhin aberkannt.Am 21. Februar 2022 nahm Matwijenko an der Sitzung des Sicherheitsrates teil, die dem Militärschlag gegen die Ukraine voranging. Sie zeigte dort, wie man eine harte Politik in beschwichtigende Worte kleiden kann. Im Donbass, beklagte Matwijenko, drohe eine „humanitäre Katastrophe“, mit „armen Frauen, die weinen“, obwohl die Menschen dort „nur Autonomie gewollt“ hätten. Der Westen wolle die Ukraine „nicht an ihre nationalen Interessen denken lassen“ und „zwei brüderliche slawische Völker gegeneinandertreiben“. Russland habe „genügend Geduld bewiesen“, als es sich sieben Jahre lang für eine diplomatische Lösung eingesetzt habe. Mit dieser Begründung stimmte sie im Sicherheitsrat für die Anerkennung der beiden Donbass-Republiken Donezk und Lugansk. Eine Entscheidung, die direkt in den großen Krieg mit der Ukraine führte.