Die DDR erzählen – und erklären

Filmempfehlung Über die Filme „Gundermann“ und „Familie Brasch“

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Katharina Thalbach in „Familie Brasch“
Katharina Thalbach in „Familie Brasch“

Foto: Screenshot Trailer

Derzeit laufen zwei sehenswerte Filme in den deutschen Kinos. Beide beschreiben ostdeutsche Biografien. Der Dokumentarfilm „Familie Brasch“ erzählt von der Familie des Horst Brasch, einem antifaschistischen jüdischen Katholiken der nach 1945 voller Idealismus den Traum eines sozialistischen Landes verwirklichen möchte. Der Spielfilm „Gundermann“ erzählt von einem Baggerfahrer aus der Lausitz der mit seinen poetischen Texten zu einem der wichtigsten Liedermacher der DDR wurde. Beide, Brasch wie Gundermann, wurden zu Verrätern. Brasch verriet seinen Sohn, Gundermann seine Kollegen. Doch der Reihe nach.

Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler erzählen in ihrem Heimatfilm das Leben des Gerhard Rüdiger Gundermann auf zwei Ebenen. In den 1990er Jahren muss sich der singende Arbeiter der Tatsache stellen, dass er sich knapp zwanzig Jahre zuvor als Stasi-Spitzel hat anheuern lassen. Obschon glühender Sozialist hat er sich oft am real existierenden System gerieben. Genau genommen hat er die DDR beim Wort genommen. So wollte er von einem Funktionär wissen, warum der ein luxuriöses West-Auto fährt. Von der Armeehochschule wird er exmatrikuliert. Er lehnte es ab, dem Verteidigungsminister ein Loblied zu singen. Von der SED wird er wegen „unerwünschter eigener Meinung“ zuerst gerügt und dann 1984 wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ ausgeschlossen. Da wird er schon lange selbst bespitzelt. Im Braunkohletagebau fand Gundermann sein Auskommen, zuerst als Hilfsarbeiter, später als Baggerfahrer. Diesen Beruf hat er auch nicht aufgegeben als er mit seinen Liedern Erfolg hatte. Oft ist er nach seinen Auftritten zurück in die Lausitz gefahren um ganz allein oben im riesigen Schaufelbagger seine Ruhe und Inspiration zu finden. 143 Kilometer von Berlin entfernt. „Mein spezielles Problem ist, dass ich einige hundert Meter von diesem Tagebau wohne. Das Haus, in dem ich wohne, wird von der Kohle, die ich fördere, mit Energie und Gas versorgt. Gleichzeitig baggere ich unerbittlichauf dieses Haus zu und bin im Jahr 2003 an meinem eigenen Eingeweckten. Habe also, wenn es nach Plan geht, ab 2003 kein eigenes Zuhause mehr.“ So weit ist es nicht gekommen. Mit dem Plan war es 1989 vorbei und auch die Grube „Brigitta“ wird geschlossen. Gundermann beginnt eine Umschulung. Sein alter Beruf, Maschinist für Tagebaugroßgeräte steht auf einer Liste von 160 Berufen, die im Westen gar nicht existieren. Am 21. Juni 1998 fordert die jahrelange Doppelbelastung durch Schichtarbeit und Konzerte ihren Tribut. Im Alter von nur 43 Jahren stirbt er an einer Gehirnblutung.

Es ist vor allem sein Alltag der Gundermann die Ideen für Songs und Stücke liefert. Oft beschäftigen sie sich mit dem Leben der Arbeiter und den so genannten einfachen Menschen, mit seiner Familie, mit Umweltproblemen und mit seiner Heimatstadt Hoyerswerda („Hier bin ich geborgen“, "Hoywoy“). Nach der Wende gründet er eine Band mit dem Namen „Seilschaft“. Mit den Musikern der Band „Silly“ spielte er sein Album „Einsame Spitze“ ein. Er schrieb Songs die in das kollektive Gedächtnis der früheren DDR-Bürger eingingen, Volkslieder die noch immer gespielt und auch unterrichtet werden. Gundermann schaffte es 1994 als Support-Act von Bob Dylan und Joan Baez. Im Film sagt er zu Dylan, daß er Bruce Springsteen für den Größten halte. Da kommt der clowneske Narr zum Vorschein der Gundermann auch war, mit der Brille eines Nerds und dünnem zum Zopf geflochtenen Blondhaar.

„Gundermann“ ist auch ein anrührender Liebesfilm. Jahrelang und letztendlich erfolgreich kämpft Gundermann um seine Conny. Sie und später die gemeinsame Tochter Linda geben ihm die Kraft und den Freiraum für seinen naiven Kampf zuerst um die Rettung seiner sozialistischen Welt und später für seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Er bereut vor allem eines „Den Verrat an mir selber, ich bin sehr enttäuscht von mir.“

Wer die DDR nicht kannte, lernt mit diesem Film auch eine Landschaft kennen die man als die „Badlands“ von Deutschland sehen kann. Flaches, erdiges Land, das dabei doch so porös und zerbrechlich ist und über dem eine tiefe Melancholie liegt.

Zu rühmen gilt es in diesem Film nicht nur die Autorin Stieler und den Regisseur Dresen. Letzterer hat eine grandiose Besetzung aufgeboten. Stimmig bis in die kleinste Nebenrolle. Einer aber stellt alle in den Schatten. Alexander Scheer, der frühere Star von Castorffs Berliner Volksbühne. Er bezeichnet diesen Film als seinen wichtigsten. Und das trotz einer satten und feinen Filmografie (u.a. „Sonnenallee“, „Carlos – Der Schakal“, „Gladbeck“). Scheer wird in diesem Film gleichsam zu „Gundermann“, nicht nur äußerlich, in seinem Spiel ist stets Gundermanns anarchistischer Trotz zu spüren. So wird ein Mensch nahbar, ein lebensweiser Narr mit all seinen Verwirrungen und all seiner Empathie. „Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.“

Regisseurin Annekatrin Hendel („Vaterlandverräter“, „Anderson“, „Fassbinder“) portraitiert in ihrem Zeitpanorama „Familie Brasch“ drei Generationen einer Familie, welche die Spannungen der Geschichte und der Weltanschauung mit sich selbst austrägt. Zerrissen zwischen Ost und West, Kunst und Politik, Kommunismus und Religion, Liebe und Verrat, Utopie und Selbstzerstörung. Ihre wichtigste Protagonistin dabei ist Marion Brasch. Sie und ihre Tochter sind die letzten Überlebenden eines Clans der sich wie kaum ein anderer eignet deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen. Vor einigen Jahren hat die Radiomoderatorin und Autorin die Geschichte ihrer Sippe in dem Buch „Ab jetzt ist Ruhe – Roman meiner fabelhaften Familie“ erzählt. In diesem Film sind ihre Erzählungen der rote Faden. Weitere Zeugen des Dramas sind neben anderen die Schauspielerin Katharina Thalbach, die Liedermacherin Bettina Wegener, der Schriftsteller Christoph Hein und der Künstler Florian Havemann.

Horst Brasch ist der Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie. Er wächst bei seinem Stiefvater auf und konvertiert zum Katholizismus. 1936 kommt er mit einem Kindertransport nach England. Dort gründet Brasch nach 1942 die FDJ und tritt der KPD bei. Auch seine spätere Frau Gerda kommt 1938 aus Wien mit ihrer jüdischen Familie nach Großbritannien. Sie arbeitet als Journalistin. 1945 kommt ihr erster Sohn Thomas auf die Welt. Gegen den Willen seiner Frau übersiedelt Horst Brasch nach dem Krieg in die damalige Sowjetische Besatzungszone. Der überzeugte Antifaschist will ein besseres, freieres Deutschland aufbauen. Der orthodoxe Kommunist aber wird scheitern, wie viele die seinen Idealismus teilen.

Drei Söhne und eine Tochter bekommen die Braschs. Sohn Thomas wird zum Literaturstar, er träumt wie sein Vater von einer gerechteren Welt, steht aber wie seine jüngeren Brüder, der Schauspieler Peter („Solo Sunny“) und der Dramaturg und Kinderbuchautor Klaus dem real existierenden Sozialismus kritisch gegenüber. 1968 bricht auch in der DDR der Generationenkonflikt auf. Und Jahre später, nach 1989 scheinen sozialistische Träume nicht mehr viel wert zu sein.

Annekatrin Hendel macht die Braschs zuerst durch ein Gemälde – einer Familienaufstellung gleich – sichtbar. Ein goldener Rahmen, situierte Menschen in gedeckten Farben. Einer und eine nach den anderen holt sich die Regisseurin aus dem Bild um sie näher zu beleuchten.

Vater Horst, damals der stellvertretende Kulturminister, wird seinen Sohn Thomas, der mehr Sozialismus wollte, wie sein Freund Havemann erzählt, an die Behörden verraten als dieser Flugblätter gegen die sowjetischen Panzer in Prag verteilt. Der Kotau vor den Genossen wird nicht verhindern, dass damit seine Politkarriere zu Ende ist. Thomas Brasch, von ihm gibt es wohl auch das meiste Material, steht im Mittelpunkt dieses Films. Der Charismatiker will schon früh ein berühmter Schriftsteller werden. Zudem hat er großen Anwert bei den Frauen. Seine Freundin verlässt er für die Sängerin Bettina Wegener. Diese lässt er bald sitzen für die Schauspielerin Katharina Thalbach. Mit ihr geht er nach seiner Unterschrift gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann in den Westen. Dort wird er schnell zum Star. Zuerst mit seinem Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“ und dann mit seinem Film „Engel aus Eisen“, der läuft 1981 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises durch Franz-Joseph Strauß bedankt er sich für seine Ausbildung in der DDR. Vereinnahmen lassen hat sich Thomas Brasch von niemandem.

Glücklich aber wird er, wie seine Brüder, nicht. Alle drei sterben früh: Klaus kurz vor seinem 30. Geburtstag, Peter mit 46, Thomas mit 56. Alle litten sie an sich und der Gesellschaft im Kleinen wie im Großen. Annekathrin Hendel ist eine Spezialistin für gebrochene Künstlerbiographien. Anders als in ihren Filmen über Sascha Anderson und Rainer Werner Fassbinder versucht sie hier das Geflecht einer ganzen Familie zu sezieren. Ganz beiläufig erzählt sie eine deutsche Geschichte - naturgemäß in Moll. Beeindruckend wie Annekatrin Hendel und ihre Kameramänner Thomas Plenert und Martin Farkas ihre Gespräche in Szene gesetzt hat. Mit viel Gespür für Räume und Tiefe wurden die Erzählenden platziert. Katharina Thalbach vor einer Kalaschnikoff, im Hintergrund ein langer Flur mit Fahrrad. Christoph Hein vor einer diffusen Landschaft, Marion Brasch mit Fahrrad und Blick in einen Berliner Hinterhof, Bettina Wegner in alternativer Kuschelromantik.

Sowohl „Gundermann“ wie auch „Familie Brasch“ sind bravouröse Lehrstücke in deutscher Nachkriegsgeschichte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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