Was Beckenbauer von Adenauer unterscheidet: Zur Entrückung von Sportstars

Kolumne Sie sind die, denen wir alles verzeihen: Das Spitzenpersonal der Leibesübungsbranche wird ein Heldentum ganz eigener Art gegönnt. Aber warum? Unser Sportkolumnist sucht nach Gründen
Ausgabe 05/2024
Gedenken an den Kaiser: Paul Breitner and Berti Vogts bei der Gedenkfeier für Franz Beckenbauer
Gedenken an den Kaiser: Paul Breitner and Berti Vogts bei der Gedenkfeier für Franz Beckenbauer

Foto: Alexandra Beier/Getty Images

Seit drei Wochen ist Franz Beckenbauer unter der Erde. Auf sein Ableben war jede Redaktion in Deutschland vorbereitet, die Nachrufe mussten nur noch eingelesen werden. Natürlich war allerorten auch von den Schatten zu lesen, die in den letzten Jahren auf die Lichtgestalt gefallen waren. Teile der Leserschaft empörten sich, nannten allein die Erwähnung der gerichtlich nie handfest gewordenen, aber indizienmäßig nicht unwahrscheinlichen Causa um einen Stimmenkauf für die Fußball-WM 2006 „Blasphemie“. Auch von prominenter Seite ergingen viele Freisprüche – von Wolfgang Schäuble, der noch vor seinem Tod in einer ARD-Doku gesprochen hatte, von Joschka Fischer und Otto Schily. Auch der sonst kritische Freiburger Trainer Christian Streich wollte nichts hören, was dem „Kaiser“ Glanz nähme. Für Uli Hoeneß vom FC Bayern war sowieso alles „eine unsägliche Medienkampagne“.

Oft und laut ruft man nach Investigation – nur soll sie die treffen, die man für die Richtigen hält. Es ist erstaunlich, wie im Sport (und vielleicht noch in der Kunst) alle Maßstäbe ausgesetzt werden, die ansonsten gelten. Nehmen wir hochrangige Politiker: Bei Konrad Adenauer fehlte in keinem Nachruf, dass er sich eigennützig selbst wählte, bei Willy Brandt wurde die Guillaume-Affäre nicht ausgespart, Helmut Kohl war der Kanzler der Einheit, aber auch der CDU-Chef der schwarzen Kassen, bei Angela Merkel wird man einmal anerkennen, wie sie ihr Land 16 Jahre durch aufgewühlte Zeiten gelotst, aber eben auch falsche Entscheidungen im Verhältnis zu Russland getroffen hat.

Die herausragenden Figuren des Sports werden zeit ihres Wirkens kritisch begleitet, den Deutschen wurde auch schon vorgeworfen, sie wollten sich am Fall ihrer Idole ergötzen. Doch das ist immer nur für den Moment so. In den meisten Fällen überwiegt die Verehrung: Man schafft es, den sich mit Lance Armstrong am Berg duellierenden Jan Ullrich von dem zu trennen, der auf Mallorca Whisky wie Wasser trinkt und auf Nachbars Grundstück randaliert – und eben den (Ex-) Spieler und Trainer Beckenbauer, der so elegant spielte und normalen Menschen mit aufrichtiger Zugewandtheit begegnete, von dem, der sich jeden Handstreich vergüten ließ.

Die Promis, die für uns kämpfen und leiden

Sport ist wohl der emotionalste Lebensbereich, geschaffen nicht nur zur eigenen Ertüchtigung, sondern auch zum Konsum; ein Stellvertreter-Geschäft, bei dem wir andere für uns kämpfen lassen. Das mag die starke Bindung verursachen. Und es ist eine ehrenwerte Sache, wenn man die Dankbarkeit und Loyalität gegenüber diesen Figuren über ihre große Zeit hinaus aufrechterhält. Doch zu oft tappen wir in die Falle, die sportlichen Fähigkeiten zu übertragen auf andere Bereiche. Als gäbe es Universalgenies und wäre Exzellenz in jedem Fach möglich.

Kaum eine Biografie verläuft glatt, das Leben hat Brüche, das Modell Mensch ist fehlbar – und der Verweis darauf keine Verurteilung. Man sollte sich also an Franz Beckenbauer in allen wunderbaren Facetten erinnern, aber man muss nicht „Santo subito“ rufen und fordern, dass es neben dem Franz von Assisi auch den Franz von Giesing geben solle.

Trotzdem werden wir im Sport weiter unsere Heiligen ausrufen. Derzeit hat Jürgen Klopp gute Chancen, einen eigenen Feiertag zu bekommen. Bis Nachrufe fällig werden, ist es aber hoffentlich noch viele Jahrzehnte hin.

Der Sportreporter

Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

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