Geschichte Unparteiische Vermittlerrolle statt Bekenntnis zu Israel: Dieses Votum stößt im Osten Deutschlands auf mehr Zustimmung als im Westen, so das Ergebnis einer Umfrage. Autor Gunnar Decker sucht nach Gründen
Arabische Jugendliche mit palästinensischer Flagge beim FDJ-Pfingsttreffen im Stadion der Weltjugend in Berlin, 1989
Foto: Harald Hauswald/Ostkreuz
Jassir Arafat, Führer der PLO, war ein Dauergast in der DDR. Bei jeder offiziellen Gelegenheit, wo auch immer sich das SED-Politbüro versammelte, stand er dabei, manche dachten wohl auch, er gehöre dazu. Zumindest halb stimmte das, die SED unterstützte die PLO als palästinensische Befreiungsbewegung ganz ohne Vorbehalt. Israel dagegen, unter dem Schutz der USA stehend, erschien in dieser Optik als imperialistischer Staat. Mit den Opfern des Holocausts wurde Israel nicht in erster Linie identifiziert.
Während ich nicht selten Palästinenser in der DDR traf und die sogenannten Palästinenser-Tücher regelrecht in Mode waren, habe ich nur einen Israeli gekannt: den arabischstämmigen, in Nazareth geborenen Philosophen Azmi Bisara. Er promovierte Mi
ovierte Mitte der achtziger Jahre am Fachbereich Philosophie der Berliner Humboldt-Universität über das Logische und Historische in Marx’ Kapital. Im ersten Studienjahr besuchte ich Seminare bei ihm, die man als ebenso kapriziös wie streng bezeichnen kann. Mich verwies er nach einem von mir mit zahlreichen Zitaten ausgeschmückten Vortrag darauf, dies sei eine recht unseriöse Weise, einen Gedanken zu bebildern, statt ihn zu entwickeln. Später wurde er Professor in Jerusalem, Knesseth-Abgeordneter und floh, weil man ihn während des Libanon-Krieges 2006 beschuldigte, die Hisbollah zu unterstützen, nach Katar.Die Linke und Israel, schwieriges TerrainDas liegt schon eine Weile zurück, aber vergessen ist es nicht. Die Linke und Israel, das bleibt ein schwieriges Terrain, mitunter sogar eine Unbeziehung. Und der Osten Deutschlands? Der Musiker Andrej Hermlin, Sohn des jüdisch-kommunistischen DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin, drohte kürzlich seinen Austritt aus der Linkspartei an, sollte diese sich nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober nicht uneingeschränkt zu Israel bekennen. Er bemerke bei der Linken nicht erst jetzt eine Tendenz zum Antisemitismus. Da ist es wieder, das leidige Thema, das man sonst gern unter der Decke hält. Israel-Kritik, auch grundsätzliche, vor allem die an Benjamin Netanjahus orthodox-konservativer Regierung, ist notwendig – und kein Antisemitismus. Und doch befremdet die Herzenskälte, mit der gerade sich als links Verstehende auf den Terroranschlag der Hamas reagierten. Besucher eines Musikfestivals und Bewohner eines (für Ausgleich mit den Palästinensern bekannten) Kibbuz wurden auf barbarische Weise massakriert – und man geht sofort zur politisch diskursiven Tagesordnung über?Neben menschlichem Mitgefühl sollte die erste Reaktion sein, in diesem Terror einen nicht hinnehmbaren Zivilisationsbruch zu erkennen. Aber eine Umfrage des Allensbach-Instituts zeigt, dass die Deutschen zurückhaltend reagieren. Jene 41 Prozent, die Solidaritätsbekundungen mit Israel befürworten, sind in der Minderzahl. Da also spricht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem Bekenntnis zu Israel nicht für die Mehrheit der Bevölkerung. Eine Mehrheit der Deutschen (57 Prozent) votiert dafür, eine eher unparteiische Vermittlerrolle zu übernehmen. Diese Position wird überproportional von Ostdeutschen vertreten, um Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung und eine dadurch wachsende Unterstützung der Hamas zu vermeiden. 37 Prozent der Westdeutschen und 45 Prozent der Ostdeutschen wollen ein „militärisch zurückhaltendes Vorgehen“ Israels.Was sagen diese Zahlen? Vor allem, dass die Deutschen sich einer „Politik der Bekundungen“ verweigern, besonders die Ostdeutschen, die damit Erfahrungen aus DDR-Zeiten haben. Dazu kommt die Verbundenheit vieler aus DDR-Zeiten mit den Palästinensern. Dass Israel sich in der Vergangenheit zu wenig um die Verbesserung des Verhältnisses zu diesen bemüht habe, kritisieren immerhin 44 Prozent der Befragten.Gibt es eine Mitschuld Israels am Terror des 7. Oktobers? Wer das behauptet, bricht ein Tabu. Denn die Hamas-Taten sind durch nichts zu rechtfertigen. Allensbach erklärt, überdurchschnittlich würden die höheren sozialen Schichten und die politisch Interessierten das Bekenntnis des Bundeskanzlers zu Israel teilen, unterdurchschnittlich die ostdeutsche Bevölkerung und die politisch Desinteressierten. Damit wird Ostdeutschland per se wieder pauschal als „Der dumme Rest“ abqualifiziert, als der sich die DDR-Bevölkerung unter Erich Honecker ohnehin vorkam.Schutz für die Palästinenser in GazaHans-Dieter Schütt, in den 80er Jahren Chefredakteur der Jungen Welt und heute Biograf Stephan Hermlins und Co-Autor von Gregor Gysi, konterkariert die pro-palästinensische Haltung vieler Ostler: „Es gehört zur geopolitischen Tragik, dass militärischer Rigorismus just jenem Staat nicht erspart blieb und bleibt, der im Nahen Osten als einzige bürgerlich-demokratische Insel in feindlicher Landschaft klemmt“, schrieb er im nd. Manche Linke hören solch Lob der „bürgerlich-demokratischen Insel“ gar nicht gern. Aber muss man, um das eine zu tun, das andere lassen? Die im Kriegsgebiet von Gaza lebenden Palästinenser müssen geschützt werden, brauchen humanitäre Hilfe – dafür spricht sich auch US-Präsident Joe Biden aus. Der hat den von George W. Bush ausgerufenen „Kreuzzug gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001, der die US-Armee bis in den Irak und letztlich zum Erstarken islamistischer Kräfte führte, als Erfahrung präsent. Den Fehler will er klugerweise nicht wiederholen.In diesem Licht gesehen, gehen dann die befragten Deutschen der Allensbach-Umfrage in ihrer Zurückhaltung, was eine Parteinahme für Israel betrifft, wieder über das bloße Bekenntnis zu Israel von Kanzler Scholz hinaus. Denn letztlich kann nur vernunftgeleitete Diplomatie, nicht kriegerische Intervention den Konflikt im Nahen Osten beenden.Fatale antisemitische TendenzDennoch, das Unbehagen angesichts der Kühle vor allem im linken politischen Spektrum gegenüber den Terroropfern bleibt. In der kommunistischen Bewegung scheint es offenbar eine fatale antisemitische Tendenz zu geben. Galten die Juden als Opfer der Ausrottungspolitik des NS-Staates in der antifaschistischen DDR denn nichts? Doch, aber nicht zuerst als Juden, sondern als das, was sie politisch waren. Das gelobte Land der deutschen Kommunisten, auch der Juden unter ihnen, hieß nun mal DDR. Tatsächlich war Israel für aus liberalen jüdischen Milieus stammende Kommunisten lange Zeit ein Ausdruck des auf Theodor Herzls Programmschrift Der Judenstaat (1896) gründenden Zionismus. Und dieser wiederum galt ihnen als überholter Nationalismus, der sich religiös rückversicherte.Aber die Liebe der Juden zum Kommunismus war, so zeigt die Geschichte, eher einseitig. Der Kommunist Leo Trotzki wurde von Stalin als jüdisches Element an der Parteispitze bekämpft – und ermordet. Im Moskauer Ärzte-Prozess ging es kurz vor Stalins Tod 1953 um eine angebliche Verschwörung einer Gruppe von jüdischen Ärzten gegen Stalin – im Auftrag des Weltjudentums. Auch der Slánský-Prozess, bei dem man 1952, nicht nur in der Tschechoslowakei, kommunistische Parteikader als Agenten des Imperialismus aburteilte und hinrichtete, hatte eine antisemitische Ausrichtung. Der jüdische Schriftsteller Stefan Heym, als Kommunist aus den USA vor den McCarthy-Ausschüssen geflüchtet, kam just 1952 nach Prag. Auch er hatte Angst, verhaftet zu werden, und die Gefahr wuchs ständig – aber das beantragte Visum für die DDR ließ monatelang auf sich warten.Ernst Bloch, Hans Mayer, Anna SeghersWalter Ulbricht selbst war es wohl, der Heym nicht ins Land lassen wollte. Er fürchtete die intellektuellen Unruhestifter. Davon hatte man, wie er meinte, schon zu viele ins Land geholt, so den jüdischen Philosophen des Prinzip Hoffnung, Ernst Bloch, oder den jüdischen Literaturwissenschaftlicher Hans Mayer. Anna Seghers war aus dem mexikanischen Exil gekommen. Der Schriftsteller Arnold Zweig, zeitweise Zionist und in Israel lebend, überwarf sich mit nationalistischen Kreisen und kam 1948 nach Ost-Berlin.Auch an der SED-Spitze gab es einflussreiche jüdische Kommunisten, so das Politbüromitglied Hermann Axen, Kulturminister Klaus Gysi oder Horst Brasch (der zum Katholizismus konvertiert war). Ulbrichts schriftstellernder Sekretär Otto Gotsche formulierte es drastisch, die Geschichte der Abweichungen in der Partei sei die der Juden in der Partei. Eine antisemitische Drohgebärde. Dass Heym dann 1953 endlich in die DDR einreisen durfte, ging wohl auf Intervention von Johannes R. Becher und Bertolt Brecht zurück, der beiden großen kulturpolitischen Moderatoren dieser Jahre trotz Stalinismus. Ohne solch ausgleichende Kräfte, das zeigt die Geschichte, hat diese immer die Tendenz, in ideologische Entweder-oder-Muster zu zerfallen.Placeholder infobox-1
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