Kitschroman

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Die globale Putzfrau hat ein Buch geschrieben, einen Wälzer von über 1700 Normseiten. Und ich durfte dieses monumentale Werk korrigieren, für 25 Cent pro Normseite. Mit dem Hartz-IV-Almosen verrechnet, bleiben davon für mich etwa 110,- Euro zusätzlich übrig. Aber was macht man nicht alles, um seine Arbeitsfähigkeit und -willigkeit zu beweisen? Das Pseudonym der Autorin entspricht bis auf einen Buchstaben dem Namen einer berühmten Hollywood-Schauspielerin und dass eine bekannte amerikanische Oberlesbe für dieses Werk ein Geleitwort in holprigem Deutsch geschrieben haben soll, erscheint auch nicht so recht glaubhaft. Das Buch handelt vom Aufstieg eines rumänischenWaisenkindes zur australischen Rohstoff-Multimilliardärin. Ursprünglich wollte die Autorin wohl ins US-Investmentbanking gehen, aber nach der Finanzkrise entschied sie sich doch lieber für die Rohstoff-Branche. Da weiß Multimilliardärin noch, was sie hat. Die Autorin ist ausgebildete Anglistin aus Rumänien, irgendwann in den Nuller-Jahren ging sie in die USA, hielt sich dort mit Putzen über Wasser und schrieb nachts an ihrem ultimativen Kitschroman in einem reduzierten amerikanischen Englisch. Jetzt putzt sie irgendwo im Österreichischen, hat ihren Roman ins reduzierte österreichische Deutsch übersetzt und will immer noch berühmt werden. Auf "unseren Verlag" kam sie im Internet, weil wir die Billigsten und Schreiendsten sind. Los geht es in einem rumänischen Waisenhaus in den 70-er Jahren. Es ist kalt, dunkel und es wird viel geweint in komplizierten Schachtelsätzen. Nur die infamen Mörder-Waisenkinder der Securitate haben dort etwas zu "giggeln", während die hässlichen und übergewichtigen FunktionärInnen der Rumänischen Kommunistischen Partei täglich stehlen und ihren Sadismus ausleben. Gar nicht so leicht zu korrigieren: die Kommas stehen prinzipiell falsch, das Magnetofone ist ein Tonbandgerät und die Metallstangen sind Haarnadeln. Richtig schwierig wird es, wenn jüdische und siebenbürgisch-deutsche Angelegenheiten auf Stammtisch-Niveau diskutiert werden.

Ich schaffe pro Tag nur wenige Seiten, nehme das Zeug sogar auf dem Laptop in den Urlaub mit. Dort fängt sich der "Schleppi" einen Virus ein, so dass ich zu Hause auf dem alten Aldi-PC noch einmal von vorne anfangen darf. Inzwischen sind es nur noch wenige Tage bis zum Abgabetermin. Um eine Woche Fristverlängerung zu erbitten, gehe ich selbst in den "Verlag", der seine Räume im städtischen Gründerzentrum hat. Der Chef und seine Familie sind auf Weltreise, die Anderen haben auch Urlaub, nur die beiden Auszubildenden sind noch da: Fräulein Puschenpüschel und Fräulein Müller-Hodenhagen (Namen geändert). Die Puschenpüschel sitzt am Empfang und spendiert mir ein Gläschen Mineralwasser. "Ich habe es im Kopf und sie in den Beinen", sagt sie und weist auf ihre Kollegin. Die Müller-Hodenhagen schleppt schwere Papierpakete und drückt auf dem Druckautomaten herum. Das kleine Luder muss ganz schön schwitzen für ihr bisschen Lehrlingsentgelt, das ohnehin das Land zahlt. Die Fristverlängerung ist kein Problem, es geht eh nicht anders und der Weltruhm der Rumänin kann auch noch eine Woche warten. Ich verabschiede mich und denke fast schon trivialtextend, dass die Beiden auch nicht zu beneiden sind. Wenn sie ausgelernt haben, sind sie viel zu teuer für den "Verlag" und werden durch neue Auszubildende ersetzt. Während ich diesen Flachsinn noch bis zur völligen Vergreisung treiben kann, muss Fräulein Puschenpüschel in den Westen. Und hat doch nur gelernt, wie man rumänischen Putzfrauen glaubhaft macht, dass sie ganz sicher bald internationale Bestseller-Autorinnen werden.

Nachmittags sitze ich wieder am Kitschroman und schlage nach, was Varizen sind - Krampfadern. Das Waisenkind entdeckt, dass es doch noch einen großdeutschen Großvater hat. Der ist Notar und deshalb unglaublich reich, er adoptiert das Mädel und holt es in die Bundesrepublik der 80-er Jahre. Von Stund an braucht die Rumänin nie wieder zu arbeiten, macht nur noch zeilenschindende touristische Reisen durch Westeuropa und Nordamerika. In Italien lernt sie endlich den australischen Rohstoffmilliardär kennen, Seufz! Ein Bekannter hilft mir, den Monitor augenfreundlich einzustellen und im Keller finde ich noch die alte Beinstütze meiner Mutter. Die Lockrufe der Vuvuzela-Virtuosen vor dem Haus verhallen ungehört, die Kinder veranstalten unbeachtet Schreiwettbewerbe und die Cabrio-Jugend lässt die Boxen unnütz wummern. Irgendwann kann ich nicht mehr auf dem Drehstuhl sitzen, mit tränenden Augen hocke ich im Sessel und korrigiere die Beschreibung einer Traumhochzeit im Märchenschloss. Nur dass die Multimilliardärs-Muschpoke dabei sehr verfressen agiert: der Gourmet ist der Feinschmecker und nicht das Essen, das sollte sich auch bei Multimillardärs langsam Mal herumsprechen! Was ist nur aus unserer schönen deutschen Literatur geworden? Wo ist ihr raunender Imperfekt geblieben, wo die republikanische Freiheitsliebe, wo die packende Erzählfreude und der unbändige Lesespaß? Röchel! Stöhn! Ich schaffe es natürlich wieder nicht zum Termin. Diesmal schreibe ich nur eine Entschuldigungs-Mail: "Sehr geehrte Frau Puschenpüschel, leider ..." Das Mädel antwortet sehr verständnisvoll und drei Tage später habe ich es endlich geschafft. Jetzt hänge ich völlig ausgelaugt auf dem Sofa herum und bin nur noch in der Lage, zynisches Zeug in einen immer noch virenverseuchten Laptop zu tippen.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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