Küss mich, Kompromiss!

Was läuft Hanna Bochmann findet die urbane Romantik in „Modern Love“ nur selten klebrig. Spoiler-Anteil: 17%
Ausgabe 47/2019

Modern Love ist der Titel einer wöchentlichen Kolumne, mit der die New York Times seit 15 Jahren ihre Leserinnen und Leser versorgt. In ihr geht es – keine Überraschung – um Erfahrungen amerikanischer Großstädter der Gegenwart. Im Original halb autobiografisch, aber wer weiß das schon genau. Einige der Modern-Love-Essays beschreiben skurrile Situationen, andere analysieren Bekanntes. Amazon hat daraus nun eine Serie gemacht, eine Anthologie mit acht einzelnen, in sich geschlossenen Geschichten, die am Ende ein wenig miteinander verwoben werden, nicht unähnlich dem Weihnachtsklassiker Tatsächlich Liebe.

Die Settings und der erzählerische Rahmen erinnern an Woody Allens Filme aus einer Zeit, in der man bei Woody Allen an Komödien und nicht an Sexualstraftaten dachte: New Yorker Wohnungen mit Büchern und zusätzlichem Platz für ihre Bewohner, obwohl diese als Schauspieler oder Literaturkritikerin ihren Lebensunterhalt verdienen. Der eigene Therapeut wird genauso selbstverständlich aufgeführt wie die eigene Mutter. Der Cast ist divers, dabei aber so clean wie Benetton-Models und selbst die eine Figur ohne festen Wohnsitz erinnert im höchsten Grad der Verwahrlosung maximal an eine ungeschminkte Studentin. So was ist natürlich komplett eskapistischer Hipsterquatsch, weil in Deutschland kaum jemand in solchen Verhältnissen lebt und in New York vermutlich erst recht nicht.

Twist ist jedoch: Modern Love gelingt es bei aller Realitätsferne, Geschichten zu erzählen, in denen sich Zuschauer wiederfinden können. Wir sind vermutlich selten ehemalige Kriegsfotografinnen, haben aber schon mal im Durcheinander unseres Lebens jemanden aus den Augen verloren (dabei die geheime Hoffnung auf ein Wann-anders behalten) – so wie die Journalistin in der Folge Wenn Amor eine neugierige Journalistin ist. In dieser Episode sorgt eine Interviewfrage dafür, dass sich ein junger Dating-App-Entwickler seiner gescheiterten Liebe besinnt. Die Fragende wiederum erinnert sich an eine eigene, lang zurückliegende Erfahrung. Wir sind vielleicht nicht bipolar wie die Anwältin Lexi in Nimm mich so, wie ich bin, wer auch immer ich bin, trotzdem haben wir Tage, an denen wir soziale Situationen managen wie Thomas Gottschalk die voll besetzte „Wetten, dass ..?“-Couch. Und wir kennen andere Tage, an denen sich jedes Wort falsch, jede Interaktion holprig und alles andere sowieso grau und lieblos anfühlt. Wir haben vielleicht keinen Portier wie die alleinstehende, schwangere Maggie in Wenn der Portier dein bester Mann ist, aber wir haben hoffentlich schon die Erfahrung gemacht, Aufmerksamkeit, Schutz, ganz praktische Unterstützung von jemandem zu bekommen, von dem wir es eigentlich nicht hätten erwarten müssen.

Modern Love zeigt uns bei aller Extravaganz keine Utopie von Liebe, sondern erinnert daran, wo und in welchen Varianten wir sie selbst erfahren haben oder erfahren. Autoren wie Eva Illouz oder Sven Hillenkamp haben in den letzten Jahren die These aufgestellt, dass es mit der romantischen Liebe vorbei sei. Quantitative Verfügbarkeit potenzieller Partner, die Unkompliziertheit, wie sich via Dating-Apps und dank lockerer Moral auf sie zugreifen lässt, machen exklusives Lieben schwierig, möglicherweise auch überflüssig. Gleichzeitig stagniert unsere Kultur, indem sie in Mainstreamerzählungen Liebe weiterhin auf Zweisamkeit reduziert.

Diesen Diskurs nimmt Modern Love nicht mit. Statt sich an der Frage abzuarbeiten, ob romantische Liebe 2019 noch existiert, ist die Serie eine Collage darüber, was alles als Liebe verstanden wird: das Sich-umeinander-Kümmern und die Aufmerksamkeit, die man jemandem schenkt. Der Anspruch, trotz der eigenen Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit angenommen zu werden. Das Finden von Kompromissen, wenn einem eigentlich gerade nicht nach Kompromissen ist, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Obwohl Modern Love unheimlich empathisch ist, wird die Serie nur selten zu klebrig. Das verhindern schon mal ihre schlauen Dialoge samt dazugehörigen Figuren, die von Schauspielern wie Tina Fey, John Slattery, Andrew Scott und Dev Patel gespielt werden. Und, was das Kitschrisiko stark verringert: Die Geschichten enden weder in immerwährender Glückseligkeit noch sonderlich dramatisch. Stattdessen vergleichsweise unaufgeregt – wie eben im richtigen Leben.

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