Polens Gesicht

Silberner Bär/Berlinale Nachdem letztes Jahr Agnieszka Holland den polnischen Katholizismus in "Pokot" anprangerte, war es dieses Jahr Małgorzata Szumowska mit ihrer Satire "Twarz"

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Polens Gesicht

Bild: Szene aus "Twarz"

In einem Geschäft gibt es „Rabatte für Nackedeis“. Hunderte Menschen stürmen durch die Türen, ziehen sich aus, rennen durch die Gänge, schleppen in Unterwäsche riesige Fernseher nach Hause. Ein schönes Einstiegsbild über den heutigen Konsumwahn. Nicht so recht mit dem Rest der Geschichte in Einklang zu bringen, aber trotzdem schön, erfrischend. Passend immerhin als Aspekt von Gesellschaftskritik, die sich im Laufe des Films offenbart.

Wir befinden uns in einem Dorf in Polen, nah an der Grenze zu Deutschland. „Twarz“ (polnisch für Gesicht) erzählt die Geschichte vom Endzwanziger Jacek mit einer großen Leidenschaft für Metal-Musik und seinen Hund Zigan. Wir lernen ihn als lebenslustigen und eigenwilligen Charakter kennen, der nichts auf Konventionen gibt. Ein Protagonist den man von Anfang an gern hat. Man sieht ihm gern dabei zu, wie er mit seinem alten Kleinwagen durch die polnische Landschaft rast, sogar die laut aufgedrehte Metal-Musik macht dabei Spaß. Er will raus aus der polnischen Provinz, England ist das Ziel seiner Träume. Vorher verlobt er sich noch schnell mit seiner Freundin Dagmara, die für seine Mutter nur „die Schlampe“ ist. Jaceks Welt scheint perfekt. Doch dann der Schicksalsschlag: Ein Arbeitsunfall. Er ist, wie die meisten anderen Männer, beteiligt am Bau der riesigen Jesus-Statue im Dorf und eines Tages verletzt er sich dabei schwer. Die Unfall-Szene ist filmisch beeindruckend, für einen kurzen Moment sind Bild und Ton erstarrt, dann sehen wir wie die Sanitäter kommen. Monatelang muss Jacek im Krankenhaus verbringen, es erfolgt eine komplizierte Gesichtstransplantation. Erst kurz vor der Entlassung bekommen wir Jaceks neues Gesicht zu sehen, vorher haben wir bereits von der OP gehört und ihn von hinten gesehen. Dieser kleine Clou unterstreicht wunderbar die Wichtigkeit dieser Veränderung.

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Als Jacek endlich in sein Dorf zurückkehren darf, ist seine Geschichte längst im ganzen Land bekannt, JournalistInnen scheinen sich um seine Geschichte zu reißen. Doch die Dorfgemeinschaft ist schockiert. Sie kommt nicht klar mit dem neuen Gesicht von Jacek, das natürlich ein gänzlich Fremdes ist und zudem sind die Verletzungen noch nicht abgeheilt, so dass er sich auch nur mühevoll artikulieren kann. Selbst seine Familie – ausgenommen die Schwester – kann ihn nicht wieder richtig annehmen, nennt ihn nur noch „die Visage“. Die DorfbewohnerInnen suchen dort Rat, wo sie ihn seit Jahrhunderten zu finden glauben: In der Kirche. Das große Thema des Films ist der provinziale Katholizismus mit allen seinen Paradoxien. Die Messe ist gut besucht, doch als Jacek zurückgekehrt ist, wird er angestarrt, die Spenden für seine notwendige Rehabilitation sind gering und man vermutet ernsthaft, dass er vom Teufel besessen ist. So wird im Laufe des Films ein Exorzist um Rat gefragt (Kein Scherz: In Polen gibt es lizensierte Teufelsaustreiber). Doch Jacek ist ganz der Alte geblieben: Blödelt herum und akzeptiert sein neues Aussehen, schert sich wenig um die Blicke und das Gerede der Dorfgemeinschaft. Anders bei Dagmara. Als er erfährt, dass sie einen neuen Freund hat, trifft ihn das härter als alles Andere. Es ist ein unfassbar trauriger Moment. Er offenbart die menschliche Oberflächlichkeit in seiner härtesten Form. Jacek ist „ganz der Alte“, aber einzig sein fremdes Gesicht macht ihn zum „Anderen“.

Der Film zeigt uns sehr viel über das heutige Osteuropa: Die Ablehnung „des Anderen“ beim gleichzeitigen Haltsuchen in der alten Institution Kirche, in der der Beichtvater sich lieber an der Berichterstattung über sexueller Ereignisse seiner Schutzbefohlenen ergötzt und der Priester sich die Spendengelder selbst – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Tasche steckt. Małgorzata Szumowska lässt kein gutes Licht auf ihre Heimat fallen, pickt sich sogar das Negativste heraus und macht daraus eine gelungene Satire mit kreativen Kamerabildern. Natürlich eine Anspielung auf den derzeitigen Rechtspopulismus in Polen.

Gleichzeitig ist es aber auch ein Film über Lebensfreude, verkörpert vom Protagonisten, der stark genug ist, sich nicht von der ihm widerfahrenen Ausgrenzung unterkriegen zu lassen. Der menschlich geblieben ist und die Unmenschlichkeit der Gemeinde nicht so recht begreifen kann. Den Großen Preis der Jury hat dieser Wettbewerbs-Beitrag wirklich verdient.

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