Steuern oder Scheitern

Koalitionspoker Die SPD macht sich hübsch für die Elefantenhochzeit mit der Union. Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne wird es nicht geben. Was bedeutet das auf lange Sicht?

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Steuern oder Scheitern

Foto: Sean Gallup / AFP / Getty Images

Der Parteikonvent der SPD hat sich am 20.10. mit großer Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entschieden. Es wurden zehn „unverzichtbare“ Punkte formuliert, die in den bevorstehenden Gesprächen bei aller Kompromissbereitschaft nicht verhandelbar seien. Dazu gehören unter anderem ein Mindestlohn von 8,50 Euro, eine Reform des Rentensystems zur Verringerung von Altersarmut, eine Pflegereform einschließlich Beitragserhöhungen, die Stärkung der kommunalen Finanzen, der Erhalt und Ausbau von Infrastruktur durch öffentliche Träger, Investitionen in das Bildungssystem und die stärkere Regulierung der Finanzmärkte.

Das alles soll auf einer „verlässlichen, soliden und gerechten Finanzierung“ beruhen. Explizit ausgeschlossen werden daher soziale Kürzungen. Wie so oft ist auch hier besonders interessant, was nicht gesagt wird. So ist keine Rede mehr von Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Großkonzerne. Die SPD droht erneut das Trauma der Großen Koalition von 2005 zu erleben.

Wolfgang Schäuble wird dieser Tage nicht müde zu betonen, es werde mit der Union „keine Erhöhung irgendeiner Steuer“ geben. Die CDU/CSU hält sich damit anders als die SPD an ihre Wahlversprechen und die Stimmung an der Basis. Das Einlenken der Sozialdemokraten in diesem Punkt wird von verschiedenen Beobachtern nun als Zeugnis ihres staatspolitischen Verantwortungsbewusstseins interpretiert – Realpolitik statt Maximalforderungen. Ist es wirklich so einfach?

Tatsächlich gehen Gabriel und Co. mit dieser Strategie ein großes Risiko ein. Die Finanzierung ihrer im Wahlkampf proklamierten Projekte zur Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit gerät zunehmend unter Druck. Mehr Einnahmen aufgrund von Wirtschaftswachstum sind höchst fraglich und werden selbst optimistischen Prognosen folgend nicht ausreichen. Neue Schulden lehnen SPD und CDU/CSU gleichermaßen ab – hier herrscht Einigkeit. Angesichts der Ablehnung von sozialen Kürzungen bleibt der SPD als einzig realistische Option nur noch übrig, die eigene Programmatik stark zu verwässern und zu retten, was noch zu retten ist.

Aus einer solchen Verteidigungshaltung heraus kann aber nicht gelingen, was an der Parteibasis als Konsens gilt: Die Sozialdemokraten dürften sich in der Neuauflage der Großen Koalition nicht zum zweiten Mal von Angela Merkel an die Wand regieren lassen. Das Wahldebakel von 2009 ist noch nicht vergessen. Man ist sich einig, dass vor allem die mangelnde Sichtbarkeit sozialdemokratischer Handschrift ursächlich war. Mit der aktuellen Strategie für die Koalitionsverhandlungen ist die Partei aber auf dem besten Weg, den gleichen Fehler zu wiederholen – obwohl man es doch eigentlich besser wissen müsste.

Die SPD verdient trotz allem kein Mitleid. Hat ihre Führung sie doch sehenden Auges in dieses Dilemma geführt. Anstatt die vier Jahre Schwarz-Gelb zu nutzen und die Drei-Parteien-Opposition zur „Regierung im Wartestand“ zu einigen, hat man stur auf das Auslaufmodell Rot-Grün gesetzt. Und selbst die Grünen hatten im Wahlkampf eine Koalition mit der Linkspartei wiederholt ausgeschlossen. Zugegeben: Der Höhenflug der Grünen in den Umfragen hatte berechtigten Anlass zur Hoffnung gegeben. Riskant war die Taktik dennoch – jetzt steht man vor einem Scherbenhaufen. Den Sozialdemokraten drohen mittelfristig heftige Flügelkämpfe und die Grünen liegen demoralisiert am Boden.

Die Große Koalition ist in dieser Situation die schlechteste aller Alternativen. Für die SPD und auch für Deutschland. Denn in den nächsten vier Jahren gibt es keine Möglichkeit, eine rot-rot-grüne Regierung vorzubereiten. Diese Chance wurde vertan. Die SPD kann nicht auf Annäherungsversuche der Linkspartei eingehen, ohne einen Koalitionsbruch zu riskieren. Und die Linke kann ihren Mitgliedern keine Zugeständnisse an eine vermerkelte Sozialdemokratie zumuten, ohne dass die nach dem Parteitag von Göttingen einigermaßen beruhigten Konflikte wieder aufflammen.

Damit ist linke Politik in Deutschland für weitere lange Jahre unmöglich. Und das, obwohl seit 2005 eine rechnerische Mehrheit für den dringend benötigten Wandel vorliegt. Aber nicht nur rechnerisch, auch programmatisch gibt es eine Vielzahl von Überschneidungen zwischen SPD, Grünen und Linkspartei. Zwar gibt es in nicht unwesentlichen Fragen fundamentale Unterschiede. Die große Linie ist jedoch die selbe: Umverteilung von oben nach unten für eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft.

Von der anhaltenden Spaltung des linken Lagers profitieren die CDU und ihre Sponsoren aus der deutschen Großindustrie. Unter Merkels geschickter Führung hat die Partei zuletzt fast die absolute Mehrheit errungen. Auf dem Weg zur Bundestagswahl 2017 können die Christdemokraten sich nur noch selbst schlagen. Und genau hier gibt es Grund zur Hoffnung. Seit längerem hält sich in entsprechenden Kreisen hartnäckig das Gerücht, Angela Merkel wolle sich eine weitere Wahl nicht antun und 2016 aufhören. Zurzeit sind aber keine vorzeigbaren Nachfolger in der Partei erkennbar. Zu sehr hat Merkel die CDU auf sich zugeschnitten und ambitionierten Konkurrenten tatenlos bei der Selbstdemontage zugesehen. Kurzfristig war das durchaus in ihrem Interesse. Unklar ist jedoch, was passieren wird, sollte es ihr nicht gelingen, rechtzeitig einen passenden Nachfolger aufzubauen.

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