Pyrrhussieg für Wagenknecht

Bundestagswahl Die Linke ist vor der Bundestagswahl wieder im Krieg gegen sich selbst. Insbesondere in NRW brodelt es. Stein des Anstoßes: Wagenknechts erneute Wahl auf Listenplatz 1

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Der von ihr als „Lifestyle-Linke“ bezeichnete Flügel hat parteiintern gesiegt. Sahra Wagenknecht wird sich in Zukunft wahrscheinlich mit einem Platz in der letzten Reihe im Bundestag begnügen und ihre Tätigkeit gänzlich in die Medien-Öffentlichkeit verlegen müssen
Der von ihr als „Lifestyle-Linke“ bezeichnete Flügel hat parteiintern gesiegt. Sahra Wagenknecht wird sich in Zukunft wahrscheinlich mit einem Platz in der letzten Reihe im Bundestag begnügen und ihre Tätigkeit gänzlich in die Medien-Öffentlichkeit verlegen müssen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Gerade einmal 61 Prozent: Mehr war für eine der beliebtesten Politikerinnen der Bundesrepublik in der eigenen Partei nicht drin, trotz sehr schwacher Gegenkandidatinnen. Parteikenner gehen davon aus, dass ihre Wahl im Falle einer ernstzunehmenden Konkurrentin schon diesmal gescheitert wäre. Doch nach der Listenaufstellung der Partei Die Linke in NRW macht der Landesverband genau da weiter, wo er zuvor aufgehört hat: bei der Selbstzerfleischung.

Was war genau passiert? Nach Wagenknechts schwachem Abschneiden haben nahezu alle ihr vermeintlich nahestehenden Kandidatinnen und Kandidaten mit knapp über 50 Prozent einen Listenplatz behauptet oder erobert. Beispiele hierfür sind der aus dem Rhein-Sieg-Kreis stammende Abgeordnete Dr. Alexander S. Neu oder die Außenpolitikerin Sevim Dağdelen aus Bochum. Auch der völlig farblose Landessprecher und Wagenknecht-Mitarbeiter Christian Leye konnte sich mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen den früheren Landesgeschäftsführer Sascha H. Wagner beim Duell um Listenplatz 6 durchsetzen.

Bereits am Tag der Wahl ging die der Listenaufstellung vorausgegangene Selbstzerfleischung weiter. Der Essener Wolfgang Freye kritisierte, dass das sogenannte „Wagenknecht-Lager“ bei der Listenaufstellung durchgezogen habe, und acht der ersten elf Plätze erobern konnte. Das habe mit Pluralismus nichts zu tun. Noch-Bundestagsabgeordneter Niema Movassat kündigte an, um die Partei kämpfen zu wollen – das bedeutet für ihn: gegen Wagenknecht und Co.

Doch auch wenn es den Anschein eines Sieges für die beliebte Politikerin aus dem Saarland hat, realistisch betrachtet ist es vielmehr das letzte Aufbäumen. Der Einfluss von Wagenknecht in der Linken ist mittlerweile verschwindend gering. Der sogenannte „Wagenknechtflügel“ hat lediglich als ominöse Chiffre in der Sprache der Medien und innerparteilichen Gegner, aber nie als realer, organisierter Zusammenhang existiert. Bei der Wahl des Parteivorstands auf dem vergangenen Bundesparteitag im März wurde praktisch niemand gewählt, der auch nur den Verdacht erregen konnte, die ehemalige Fraktionsvorsitzende nicht gänzlich abzulehnen. Selbst langjährige Mitglieder des Parteivorstands wie ver.di-Ökonom Ralf Krämer scheiterten an der Wiederwahl. Stattdessen zogen alle Kandidaten der sogenannten Bewegungslinken in den Parteivorstand ein. Das vermeintliche Wagenknecht-Lager schickte nicht einmal mehr Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlen zum geschäftsführenden Parteivorstand ins Rennen. So konnten die von Wagenknecht im aktuellen und in Parteikreisen skandalisierten Buch als „Lifestyle-Linke“ und „Linksliberale“ bezeichneten Gruppen nahezu alle Vorstandsposten übernehmen.

Auch Fraktionschef Dietmar Bartsch wirkt zunehmend machtloser angesichts des Bündnisses von Marx21, Bewegungslinken und Reformern um die ehemaligen Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger. Bartschs einziger echter Personalvorschlag – sein ehemaliger Mitarbeiter Thomas Westphal, der für den Bundesgeschäftsführerposten kandidiert hatte – wurde kurz vorm Parteitag aus dem Rennen genommen. Wie man munkelt, hat Bartsch sich dadurch für seine voraussichtlich letzte Wahlperiode noch eine verlängerte Amtszeit als Fraktionsvorsitzender über die Bundestagswahl im September hinaus gesichert – vorausgesetzt, die Partei schafft überhaupt noch einmal die 5-Prozent-Hürde, wofür Wagenknecht dank ihrer trotz des knappen Ergebnisses letztlich erfolgreichen Wahl für Platz 1 der NRW-Landesliste wahrscheinlich noch einmal sorgen wird.

Passt Die Linke noch zu Wagenknecht?

Der Weg der Linkspartei in die Bedeutungslosigkeit scheint jedoch unabwendbar. Die jüngsten Auftritte der neuen Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow bei Markus Lanz oder Jung & Naiv waren mehr zum Fremdschämen als zum Erschließen neuer Wählerschichten geeignet. Bei Lanz offenbarte sie völlige Unkenntnis über die Steuerkonzepte der Partei oder die Vermögensabgabe. Im Interview mit Thilo Jung konnte sie fast kein Land nennen, in dem die Bundeswehr derzeit an Auslandseinsätzen beteiligt ist – obwohl sie sich zuvor genau bei diesem innerparteilich heiklen Thema auf bundespolitische Gefilde vorgewagt hatte.

Und auch wenn die Listenaufstellung in NRW auf den ersten Blick wie ein mögliches Comeback der sogenannten Wagenknecht-Linken wirkt, auf den zweiten Blick steht auch im mittlerweile größten Landesverband die gleiche Entwicklung wie auf Bundesebene an. Durch eine Satzungsklausel müssen im Falle eines Wiedereinzugs der Partei in den Bundestag zahlreiche Posten des NRW-Landesvorstands neu vergeben werden, da nur maximal 20 Prozent der Mitglieder des Gremiums aus Abgeordneten oder Beschäftigten von Abgeordneten, Partei oder Fraktion zusammengestellt sein dürfen. Mit dem kaum zu vermeidenden Einzug der aus Hessen importierten und auf dem Marx21-Ticket reisenden stellvertretenden Landessprecherin Ulrike Eifler müssen dann mindestens fünf Vorstandsposten neu gewählt werden. Darunter neben dem Amt der stellvertretenden Landessprecherinnen und Beisitzern auch der neue Landesvorsitzende. Nach internen Absprachen zwischen dem amtierenden Landessprecher Christian Leye und der Gruppe um seinen Stellvertreter Jules El-Khatib (Marx21, Bewegungslinke, Links*kanax) gilt dieser nun als gesetzt für Leyes Nachfolge.

Und auch die übrigen nachzuwählenden Vorstandsämter werden vornehmlich aus den Reihen der Verfechter der Identitätspolitik und hyperaktivistischen Bewegungsideologie von Marx21 und Bewegungslinken besetzt werden, denn auf Seiten der Wagenknecht-Befürworter gibt es schlicht keine auch nur halbwegs ernstzunehmenden Aspiranten mehr. Mit der teilweisen strategisch motivierten Unterstützung von Wagenknecht und Co. bei der Listenaufstellung haben die Trotzkisten und Sektierer sich also auch in NRW faktisch die Bahn frei geräumt, um den Landesverband zu übernehmen. Ihre Strategierechnung war geschickt und geht gut auf. Die Aufkündigung des Zweckbündnisses mit dem schwachen (und in sich teilweise zerstrittenen) „Wagenknecht-Lager“ wird kommen. Eine Rückkehr in das alte Bündnis mit der Antikapitalistischen Linken ebenso. Und während sich Sahra Wagenknecht wahrscheinlich mit einem Platz in der letzten Reihe im Bundestag wird begnügen müssen und ihre Tätigkeit gänzlich in die Medien-Öffentlichkeit verlegen muss, werden sich Neu-Abgeordnete wie Christian Leye im Berliner Betrieb schnell umorientieren, in der Hoffnung, dass die kommende Legislaturperiode nicht ihre letzte sein wird.

Die Listenaufstellung, die von naiven Kommentatoren als Durchmarsch und Triumphzug für Wagenknecht dargestellt wurde, war in Wahrheit ein Pyrrhus-Sieg für sie. Es bleibt die Frage, welche Konsequenzen die populäre Politikerin ziehen wird, sobald es ihr auffällt. Passt Wagenknecht noch zur Linken und passt Die Linke noch zu Wagenknecht? Vor dem Hintergrund des notwendigen Politikwechsels in Deutschland und der unheilbaren Schwäche der Linken mit der Prognose „Tod auf Raten“ hätte diese Frage von ihr schon vor der Listenaufstellung beantwortet werden sollen – mit ihrem Buch Die Selbstgerechten hat sie dies eigentlich schon getan.

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