Rechtsvirale Ermächtigungen

Rechtsradikalismus In Arne Vogelgesangs Lecture Performance „Flammende Köpfe“ sah man vor allem: Köpfe. Hier macht ein Linker nach, wie Rechte Linke nachmachen

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Arne Vogelgesang
Arne Vogelgesang

Foto: Heinrich-Böll-Stiftung/Flickr (CC 2.0)

Politisches Theater im Internet

Vor allem Köpfe sieht man in Arne Vogelgesangs Lecture Performance „Flammende Köpfe“. Der Unterrichter auf der Bühne im Roten Salon der Volksbühne spricht sie im TV-Jargon an:

„Das sind Talking Heads.“

Das Format Sprechende Köpfe hat sich allen so eingeprägt, dass sich YouTuber-Ideologen und anders medial Predigende unwillkürlich standardisiert präsentieren und sich so in einem Assoziationsspektrum bewegen, dass es dem Betrachter nicht immer leicht macht, verortende Schlüsse aus der schieren Präsentation zu ziehen.

Das ist keine Frage von Ton an oder Ton aus. In einem bestimmten Bereich der hausgemachten Subversion aka Wutrede aka Jetzt-rede-ich wirkt das selbstdarstellerische Merkmal radikal dominanter als links oder rechts.

„Das ist politisches Theater im Internet“, sagt Vogelgesang.

Äußern sich Protagonisten zu rein taktischen und strategischen Fragen, ergeben sich daraus nicht notwendig Aufschlüsse über die politischen Positionen. Rechte kapern linke Kommunikationsformate. Sie streben „kulturelle Hegemonie“ an. Sie wissen, dass die Machtfrage auf der Agora der kulturellen Deutungshoheit entschieden wird. Man studiert Antonio Gramsci sowie man linke Guerilla-Taktiken im Allgemeinen dem rechten Repertoire zuführt.

Das sind unerwartete Mutationen. Linke Strategien und Formate lassen sich zwar kopieren, aber nicht patentieren. Auch der linke Ironievorsprung schrumpft. Das belegt Vogelgesang mit Beispielen, in denen rechte Internetpartisanen ihre Themen verspielt darstellen. Sie kombinieren die Gewaltlosigkeitsästhetik des zivilen Ungehorsams mit ihren Perspektiven. So beklagen sie ein in ihren Augen lasches Grenzregime mit einem Abschie(be)bär, der ob seiner Unbeholfenheit beinah putzig nach den Vorgaben des „Ethnopluralismus“ die „Remigration“ vorantreibt.

Wohnzimmerbrände speisen den Internet-Aufstand

Häusliche Ausbrüche vor der Smartphone-Kamera oder vor einer Webcam speisen den Internet-Aufstand im Zuge einer Rebellion von unten, die mannigfaltig an die Wir-sind-das-Volk-Euphorie von Neunundachtzig anknüpft; an einen historischen Moment der Machtübernahme ohne Mandat und Repräsentation. Ihre Protagonisten betrachten sich, so Vogelgesang, nicht in jedem Fall als Teil einer Bewegung. Manche individualisieren sich öffentlich und stellen sich selbst als schwer vermittelbar dar. Vogelgesang montiert Splitter des hellen Wahnsinns: Vlogs, Propaganda, Musik, dokumentarisches Material und einen Chor von Avataren zu einer Erzählung rechtsviraler Ermächtigungen.

„In jeder Sekunde wird so viel Videomaterial hochgeladen, wie man in sieben Stunden sichten kann. Ich sitze in einem Strudel und sortiere die besten Netzfänge der letzten acht Jahre.“

Der wichtigste Trigger ist nach wie vor „das gesunde Volksempfinden“. Für die Verbreitung im Netz ist Aufregung die Bedingung.“

Vogelgesang geht der Frage nach, wem das Land gehört, in dem wir leben. Und wer wir sind. Wer gehört zu dem überall beschworenen Wir?

Terrorpädagogik

Das effektivste Streitmittel der Neuen Rechten ist die Diskursverschiebung. Man überlässt Schlagwörter den schmalen Verbreitungswegen in Szene-Periodika und -Zirkeln sowie auf Protestbühnen. Da reichern sie das Sediment toxisch an, bevor sie aufsteigen. Der schlagkräftigste Milieubegriff ist „der große Austausch“ aka „die Umvolkung“.

Eine Pest der Gegenwart ist die Ethnomorphose aka der große Bevölkerungsaustausch (Renaud Camus, Le Grand Remplacement) aka die Umvolkung. Vogelgesang exponiert die Attraktoren des toxischen Genres. „Umvolkung“ ist ein faschistischer Begriff. Er zielte ursprünglich auf die Re-Germanisierung sogenannter Volksdeutscher in reichsfern anvisierten Lebensraumgewinnzonen. Heute dient er dazu, die Mitglieder einer angeblichen bedrängten Mehrheit auszuweisen; einer Mehrheit, so will es die rechte Fama, mit dem Repräsentationspotential einer Minderheit.

Die „Umvolkung“ wird von transnational agierenden Eliten „gesteuert“. Das ist die Mutter aller Verschwörungen. Die „Umvolkung“ führt zum Volkstod der echten Deutschen, echt im Gegensatz zu passdeutsch. Superpotente Araber und Afrikaner erzeugen auf deutschem Boden ein Mischvolk in einem - das ist der Narrativ-Klimax - von oben und außen gesteuerten Prozess. Damit verbindet sich die Suggestion einer geheimen Kommandozentrale, in der Nachkommen der Brunnenvergifter die Deutschen diesmal durch Überfremdung ausmerzen. Aus dem Mosaik der graswurzelnden rechten Diversität sickert das Panikvokabular in die Mehrheitsgesellschaft. Die Mitte wird mit Panik penetriert. Die Resonanz in den etablierten Medien spiegelt die Machtverhältnisse; die der forcierte Optimismus identitärer Vordenker taktisch verschweigt. So schreibt Martin Sellner:

„Vom Cicero über Die Achse des Guten bis hin zur Jungen Freiheit findet über viele Pfade ein reger Ideenschmuggel ins Zentrum der Meinungsmacht statt.“

Vogelgesang zeigt Sellner in Aktion. Er beschreibt seinen neutralen Habitus, die abgekühlte Radikalität. Vor allem jedoch demonstriert er Sellners Terrorpädagogik. Der identitäre Vordenker bewegt sich äquilibristisch auf dem schmalsten Grat des Sagbaren. Er plädiert für Gewaltlosigkeit auf den politischen Vorfeldern und argumentiert mit der Reichweite pazifizierter Partizipation. Die Gewaltbereitschaft scheint immer durch und funktioniert als sicherer Hafen für die mit den Mitteln der Testosteronpolitik Agitierten.

Der Subtext lautet: Ihr werdet noch alle auf eure Kosten kommen.

Das macht Vogelgesang gut. Er performt den Gegnerdiskurs und spiegelt die Mimikry.

Arne Vogelgesang

Eingebetteter Medieninhalt

Ein Linker macht nach wie Rechte Linke nachmachen.

In jeder Zeit entstehen wie aus dem Nichts gegriffene Bilder vom Untergang einer Zivilisation im Ansturm der Barbaren. Die Bilder behaupten ihre apokalyptische Dimension gegen die triviale Tatsache, dass sie ohne Ausnahme aus dem Fundus eines Stereotyps stammen. Stets zeigen sie den Anderen in der Rolle des Aggressors und das gefährdete Selbst im Schaumbad der Hilflosigkeit.

Vogelgesang geht den entgegengesetzten Weg. Er zeigt die Barbarei der autochthonen Aggression in viralen Konservendosen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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