Hornhautgeraspel

Marzahn Mit ihrem Fußpflegeroman Marzahn mon amour hat Katja Oskamp einen Bestseller gelandet. Sie raspelt neben Hornhäuten auch lesenswerte Miniaturen des Lebens

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Eva Demski hat man für die angeblich kleine Form gedisst, Katja Oskamp vielleicht auch? Als man noch in Buchläden gehen konnte, gab es da diesen pinken Stapel Bücher mit dieser eindringenlichen Totalen eines Marzahner Plattenbaus. Und der Stapel raspelte sich immer so gut runter wie eine eingeweichte Hornhaut an der Ferse. Marzahn ist nicht nur jetzt in aller Munde, wenn man bei einer etwaigen Ausgangssperre von einem „Marzahn-Szenario“ spricht. 2019 war Marzahn-Fokus-Jahr. Erst kam Chrstiane Tramitz mit ihrem wunderbar herzlichen Roman Die Schwestern von Marzahn und dann legte im Sommer Karja Oskamp mit ihren Geschichten aus ihrem Leben als Fußpflegerin in Berlin-Marzahn nach.

Tramitz warf man vor, sie sein nur als Westlady durchgerauscht (Unsinn), Katja Oskamp kann man das gar nicht vorwerfen. Denn sie war im allseits deklarierten Unten ganz unten dabei: an den Füßen der Leute, die auf einem pinken Thron Platz nahmen. Warum nutzen Menschen die Fußpflege, fragt man sich, mit Mitte dreissig. Klar, Beweglichkeit, fällt einem dann mit ein bisschen Nachdenken ein. Und: die kleine Flucht aus dem Alltag und das in uns alle wohnende Bedürfnis, auch mal bedient zu werden. Ein Erhabenheitsgefühl. Wie sich Sonntag den Lieferdienst zu bestellen, wie wir in einem Freitag A-Z schonmal analysierten. So wirklich gehts da nicht nur ums Essen.

Über die schnibbelnde Schulter

Oskamp hält die Erzählungen kurz, lakonisch und bleibt dabei dennoch nicht zu kurz angebunden. Sie verfällt weder in sozialromantisierendes Gesäusel, noch in eine Form der soziologischen Krankenakte. Es sind Bilder, Szenen in Textform. Vitae die sich aneinandereihen, die sich decken und dann doch wieder nicht. Sie ordnet sachte ein, bewertet mit ruhiger Form. Die DDR weht ungeweigerlich durch dir Seiten. Vorzüge, Ungerechtigkeiten und den Wunsch nach einem geordneten Leben. Und da es meist ältere Menschen sind, auch der organisatorische Rückbau des Lebens, wenn der Partner weicht und es Zeit wird, noch kleiner zu denken.

Es sind Miniaturen über lange Leben, lange Leiden und auch vergangenes und manchmal gegenwärtiges Glück. Die Stories sind wenige Seiten langkurz. Wenn man Oskamp so über die gebeugte Schulter auf die Füße der Menschen, die sie durchs Leben getragen haben, fragt man sich, ob von oben draufschauen, immer so der Masterplan ist. Aber, lesen Sie doch einfach selbst.

Katja Oskamp: Marzahn mon amour. Hanser Berlin, 2019. 16€

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