Irrtum möglich?

Interview Rolf Dobelli verkaufte Millionen Bücher über Denkfehler. Nun rät er zum Newsverzicht. Ist das sein großer Denkfehler?

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Rolf Dobelli
Rolf Dobelli

Foto: Christof Schürpf, Diogenes Verlag/Wikimedia (CC 3.0)

Herr Dobelli, ist der Tod des Schriftstellers Rolf Dobelli eine News wert?
Diese News wäre komplett irrelevant. Dazu bin ich zu sehr Stoiker, um darauf Wert zu legen.

Aufgrund Ihres Erfolgs wird es aber zu einer Nachricht kommen.
Vielleicht. Vielleicht nicht. Spielt keine Rolle. Jedenfalls ist Relevanz eine höchstpersönliche Sache. Es sollte nicht so sein, dass die Masse die Relevanz entscheidet. Das kann die Masse nämlich nicht. Die Medien spielen eine Relevanz vor, und viele Leute übernehmen das. Relevanz aber muss jeder Mensch für sich selbst definieren. Das ist eine geistige Anstrengung, aber wenn dieses Konzept ersteinmal steht, merkt man, dass man die meisten Nachrichten ignorieren kann.

Wo lernt man Relevanz?
Indem man sich seines Kompetenzkreises bewusst wird. Es ist ein gutes gedankliches Mittel von Charlie Munger und Warren Buffet. Es geht darum, zu entscheiden, in welchem Fach man Meister ist. Es geht dabei nicht um die Größe des Kreises, sondern um die Abgrenzung. Es gibt diesen im beruflichen Leben als auch im privaten. Alles darin ist relevant. Und jeder Mensch hat nur vierundzwanzig Stunden am Tag, und wenn Sie diese beiden Kreise gut bedienen, dann ist diese Zeitspanne damit auch schon ausgefüllt. Dann haben Sie nicht noch Zeit, ausserhalb Ihrer Kompetenzkreise zu grasen.

Das Konzept ist in der Bevölkerung nicht sehr etabliert.
Das stimmt, leider.

Zur Person

Rolf Dobelli, geboren 1966 in Luzern, studierte BWL und Philosophie und promovierte in St. Gallen. Danach war er in verschiedenen leitenden Funktionen tätig, u.a. bei Tochterunternehmen der Swissair. Mit 35 veröffentlichte er sein erstes Buch, seinen Roman Fünfunddreissig bei Diogenes. Mit seinen Büchern über Denkfehler schrieb er Weltbestseller. Dobelli lebt mit seiner Frau und den Kindern in Bern

Warum raten Sie zum konsquenten Verzicht auf News?
Es gibt circa fünfundzwanzig triftige Gründe. Die drei wichtigsten:
Zum einen die Relevanz, die fragt, ob diese News dazu beitragen, eine bessere Entscheidung treffen zu können. Das ist meistens eben nicht der Fall, wobei der Mensch circa 20.000 Meldungen im Jahr mindestens konsumiert – ohne Ergebnis. Es ist Zeitverschwendung. Zwischen sechzig und neunzig Minuten brauchen die Menschen, um die News an einem Tag zu konsumieren. Wenn man auf News verzichtet, ist das ein Arbeitstag pro Woche, den sie gewinnen an Lebenszeit. Zu guter Letzt geben uns News die Illusion, die Welt zu verstehen. Aber das ist falsch. Auch nach tausend Meldungen über den Syrienkrieg, können sie ihn nicht verstehen. Dazu braucht es sehr lange Artikel oder eben Bücher.

Keine Garantie für Relevanz

Also sind auch „längere“ Nachrichten verzichtbar? Ist es zum Beispiel verzichtbar, sich über den Stand des Brexits kontinuierlich zu berichten?
Aber natürlich. Falls der Brexit nicht in Ihren Kompetenzkreis gehört, können, ja sollten Sie auf die kontinuierliche Zufuhr von Brexit-Geschichten verzichten. Der Brexit wird kommen, und da gibt es für Sie nichts zu beeinflussen. Sie sprechen allerdings einen wichtigen generellen Punkt an: „Längere“ Nachrichten sind selbstverständlich keine Garantie für Relevanz oder Qualität.

Wann beginnt ein langer und damit nützlicher Artikel?
Es geht um dieses ganze Kurzfutter, wie „Breaking News“. Ein Meeting der G7 oder das Händeschütteln von Präsidenten, die nichts zum Verständnis beitragen und damit nutzlose Ablenkung sind. Das Businessmodell dieses Newsgewitters ist natürlich, durch Aufmerksamkeit das Ganze monetarisieren zu können.

Bietet der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Alternative, den man nur zu nutzen wissen muss? Einmal am Tag die Nachrichten auf Deutschlandfunk hören: wäre das nicht ideal?
Das ginge selbstverständlich – die „soft-Version“ der News-Diät. Der Vorteil der öffentlich-rechtlichen Medien: Sie sind nicht gezwungen, Aufmerksamheit auf Teufel komm raus zu generieren. Aber die grundsätzlichen Probleme bleiben: Die meisten Nachrichten – selbst wenn öffentlich-rechtlich geliefert – sind irrelevant. Weil sie nicht in Ihren Kompetenzkreis passen. Und sie geben Ihnen weiterhin nur die Illusion, die Welt zu verstehen. Bei der ARD-Tagesschau dauert ein durchschnittlicher Beitrag 120 Sekunden. Also bitte.

Wenn man jungen Menschen also rät, Zeitungen zu lesen und Tagesschau zu schauen, rät man ihnen dann das falsche?
Ja, denn diese Formate spielen vor, ihre Inhalte seien relevant. Allein schon die Aufmachung. Da ertönt der Gong der Tagesschau oder eine bombastische Melodie und danach kommen die angeblich wichtigen Meldungen des Tages. Das ist aber nichts Tiefgründiges.

In Zeiten der selbstreferentiellen Informationsbeschaffung via Sozialer Medien, wäre das doch aber ein nicht ganz zu verschmähender Weg?
Warum halb-problematische Formate wählen, wenn es ideale gibt?

Zu kompliziert

Ist es egoistisch zu sagen, sich mit vielen Dingen nicht zu beschäftigen, weil man sich keine urteilsfähige Meinung dazu bilden kann?
Nein, das ist ein sehr reifes Verhalten. Wenn man zugibt, dass ein bestimmtes Thema für einen entweder zu kompliziert ist oder nicht in den eigenen Kompetenzkreis passt, ist es vernünftig, sich da rauszuziehen. Auch hier folge ich Warren Buffet, der ein Ablagefach auf dem Schreibtisch hat mit der Aufschrift „zu kompliziert“. Wenn er Businesspläne nicht versteht, legt er sie da rein. So ein Fach habe ich auch – allerdings in meinem Kopf. Es gibt Themen, da müsste ich mich zu tief eindenken und da gibt es andere, die sich viel besser damit auskennen. Da braucht es keinen Dobelli, der auch noch eine unausgegorene Meinung in den Ring wirft.

Sie sagen, Sie waren früher newssüchtig. Was gab den Ausschlag zum Umdenken?
Es gab kein Erweckungserlebnis, aber ein Überdrüssigwerden der Flut der Nachrichten durch das Internet. Ich habe gemerkt, ich verschwende immer mehr Zeit und verstehe trotzdem immer weniger und treffe auch keine besseren Entscheidungen. Nach und nach habe ich den Konsum runtergefahren und hatte dabei sogar ein schlechtes Gewissen. Vor zehn Jahren habe ich ganz aufgehört und lebe seitdem viel, viel besser.

Mit einem kleinen Rückfall 2016, als Trump gewählt wurde.
Ich konnte es kaum glauben, dass er gewählt wurde und was er tweetet. Da zog es mich kurz in die News-Sucht zurück. Seither aber bin ich news-clean. Ich hoffe, es gibt keinen weiteren Rückfall.

Statt mich darüber aufzuregen, bestelle ich im Café einen zweiten Cortado in der Gewissheit, dass meine Aufregung niemanden etwas bringt.
Vom Grundsatz her entspricht das der antiken Philosophie. Die Dinge zu teilen, in welche, die ich beeinflussen und kann und die, die ich eben nicht beeinflussen kann. Das Phänomen Trump können sie nicht beeinflussen, schon gar nicht als europäischer Bürger.

Breaking News nur für Priviligierte?

Können wir diese Haltung erst haben, weil wir priviligiert sind?
Im Gegenteil. Nur die Priviegierten können es sich leisten, stundenlang „breaking news“ aus alles Welt zu konsumieren. Die Nicht-Privilegierten haben diese Zeit gar nicht.

Der New Yorker Psychotherapeut Sebastian Zimmermann sagt, die pausenlose Flutung mit negativen Nachrichten belaste die Menschen. Machen News krank?
Ja, da gibt es Studien zu. Die News sorgen für chronischen Stress und der macht krank. Dazu kommt die psychologische Komponente. Es gibt eine Begünstigung zu Depression, weil man viele Dinge sieht, die schrecklich sind, aber nichts dagegen tun kann.

Nachrichten sind oft gar nicht so neu, wie sie tun?
Vieles wird oft wiedergekäut, insbesondere wenn eine Nachrichtenflaute herrscht. Und Journalisten sind mit den Konsequenzen ihrer Berichterstattung selten befasst. Ob also die Anlagemeldung für den Finanzmarkt eintrifft oder nicht, spüren die Journalisten nicht an sich selbst und ändern folglich nicht ihre Qualität.

Was hat sich in Ihrem Leben seither geändert?
Ich bin viel ruhiger geworden, habe sehr viel Zeit gewonnen für mein Leben und treffe bessere Entscheidungen durch den Abstand zum News-Zirkus.

"Es gibt noch keine "Fake Books""

Das Ansehen des Journalismus leidet, es herrscht allgemein der Fake-News-Vorwurf. Befeuern Sie das nicht mit Ihrer These?
Fake News gab es schon immer. Man denke an die Flugblätter während des Dreißigjährigen Krieges. Nur sind Fake News inzwischen durch das Internet zur Plage geworden. Und das spricht eben doch für Bücher, da es bisher keine künstliche Intelligenz gibt, die ganze Bücher faken kann. Bei Artikeln funktioniert das hingegen schon. Fake News ist einfach zu erzeugen. „Fake Books“ hingegen nicht.

Aber ist der richtige Rat gegen Fake News wirklich No News?
Ja.

Woran krankt der Journalismus?
Das frühere Geschäftsmodell schmilzt dahin, als die Medien sich grösstenteils über Abos finanziert hatten. So entstehen dann diese clickbaiting Formate. Es war dumm von den Medien, zwanzig Jahre lang ihren Content kostenfrei herausgegeben zu haben. So haben sich die Konsumenten daran gewöhnt, dass Content gratis ist. Jetzt muss man das Rad mühsam wieder zurückdrehen.

Sie rufen dazu auf, dass Journalisten für das Recherchieren, nicht aber für das Schreiben bezahlt werden sollen. Warum?
Es geht nicht um den schönen Text, sondern die lückenlose Recherche, und das ist das kostspielige. Und, die Journalisten sollten nur in ihrem Kompetenzkreis arbeiten. Aber die Bredouille der Branche sorgt für anderes.

Welchen Stellenwert hat Journalismus in der Gesellschaft?
Einen unglaublich wichtigen! Sonst schaut niemand drauf, ob die Gewählten und Mächtigen sich an die Regeln halten. Es sollte neben der Staatsanwaltschaft und Polizei noch diese Menschen geben, die genau recherchieren. Aber leider fehlen die Budgets zunehmend für investigativen Journalismus Investigativer Journalismus ist unheimlich teuer.

Mit News kann man aber auch viel zerstören, wenn man an Christian Wulff und Jörg Kachelmann denkt.
Ja, die Medien haben eine Macht und es geht um Aufmerksamkeit. Das kann sich zu einer unaufhaltsamen Kettenreaktion entwickeln.

"Wo sind die Dieter Bohlens der Antike?"

Werden Algorithmen das Newsbusiness noch riskanter machen?
Ja, weil die News auf die emotionalen Druckknöpfe ihrer Konsumenten genau abgestimmt werden, um noch besser Werbung platzieren zu können. Das wird extrem schlimm werden.

Zeitunglesen kann auch ein sinnliches Ritual sein. Entgeht Ihnen da nichts am Wochenende?
Nein, denn auch lange Artikel im New Yorker zu lesen, ist sinnlich. Oder mit Freunden zu diskutieren, ist noch sinnlicher. Oder mit den Kindern zu spielen. Leider sind auch die guten und kraftvollen Zeitungen wie NZZ oder FAZ gezwungen, sich mit einem Kranz von irrelevanten Nachrichten zu umgeben. Ich mach es mir da einfach: Da ich nicht immer wieder selektieren möchte, lese ich gar keine Zeitungen.

Sie beschreiben das Phänomen des Fake Fames. Wie erklären Sie C-Promis ihr eigenes Missverständnis?
Schwierig (lacht). Wo sind die Dieter Bohlens der Antike? Vielleicht gab es diese Menschen einfach nicht – oder sie waren nicht sichtbar, weil das System dieses Generieren solcher Persönlichkeiten überhaupt möglich macht.

Warum besteht so wenig Interesse an Menschen mit wirklichen Verdiensten um das Leben?
Sobald die Leute nicht so gut medial „funktionieren“ und es schnell komplex wird, steigen die Leute aus. Das hat vermutlich auch mit den Produktionskosten von Nachrichten zu tun. Eine yellow-press-Meldung kann halt billiger produziert werden.

Der private Kompetenzkreis

Richard David Precht sagt, dass im Jahr mehr Menschen durch Bienenstiche sterben als an Terrorismus. Wenn man so konsequent über tödliche Bienenstiche berichtete, wie über Terrorismus, würde die Angst umschwenken. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, es ist so einfach nicht. Zwei bis drei Menschen sterben in Deutschland im Schnitt pro Jahr an Terrorismus. Da können Sie jede andere Todesursache gegensetzen, die eine höhere Letalitätsquote hat – vom Ausrutschen in Badewannen bis zum Auflesen resistenter Bakterien beim nächsten Spitalbesuch. Man müsste also ständig über zehntausend Gefahrenherde berichten. Das geht natürlich nicht. Was helfen würde: Wenn die Medien prinzipiell nicht mehr über terroristische Attentate berichten würden.

Bei Katastrophen hat sich die Draufhalt-Taktik bewährt. Auch wenn nichts mehr zu sagen ist, wird weitergesendet. Wie sollte man sich verhalten?
Man sollte News, also auch diese Auswüchse, konsquent meiden. Wenn das genug Menschen machen, wird das Geschäftsmodell sich hoffentlich ändern und herüberschwenken zu Longreads. Mein Wunsch wäre: weg vom Newstheater.

Wie halten Sie sich denn heute informiert und über was?
Das ist zum einen mein privater Kompetenzkreis als auch wissenschaftliche Beziehungen. Ich habe nur eine Newsapp, den Economist. Einmal die Woche, fünf Minuten. Als Zeitschriften lese ich den New Yorker, das MIT-Journal und Foreign Affairs.

Warum stehen die spannenden Sachen in Ihrem Buch eigentlich im kleingedruckten Anhang?
Ist das so? Da habe ich dann falsch gewichtet, weil ich wollte, dass vorne die wichtigen Sachen vorkommen und im Anhang das Quellenwissen.

Wann haben Sie das letzte Mal wirklich etwas verpasst?
Vor vielen Jahren, beim Vulkanausbruch in Island bin ich zum Flughafen gefahren, obwohl kein Flieger ging. Das lag aber eher an fehlerhaften Kontaktdaten. Aber ansonsten, es mag kokett klingen, aber: nichts. Wirklich nichts.

Info

Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens, Piper München 2019, 20€

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