„Onlineversand ist einfach viel teurer“

Interview Petra Hartlieb führt zwei bekannte Buchhandlungen in Wien und ist europaweit Bestsellerautorin. Die Corona-Krise belastet dennoch ihr gesamtes Leben

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Petra Hartlieb in ihrem Buchladen
Petra Hartlieb in ihrem Buchladen

Foto: Heribert Corn

Frau Hartlieb, Sie haben zwei durch Ihre Bücher europaweit bekannte Buchhandlungen in Wien. Wie lange wird das noch so sein?
Ich hoffe zumindest noch so lange, bis ich keine Lust mehr habe zu arbeiten. Und dann wünsche ich mir, dass ich es einem jungen, innovativen Menschen geben kann, dem es nichts ausmacht, für wenig Geld viel zu arbeiten.

Ihr Mann zeichnet für die Finanzen der beiden Läden verantwortlich. Wie geht es seinen Sorgenfalten?
Mein Mann ist ja Norddeutscher, das heißt, er ist immer wortkarg und niemals euphorisch. Ist das Glas bei mir fast schon voll, macht er sich Sorgen, dass es bald leer ist. Aber wenn ich ihn frage, wie es auf unserem Geschäftskonto gerade aussieht, dann sagt er "Ok". Das muss reichen.

Wie erleben Sie die staatliche Administration?
Bisher ein einziges Chaos. Alles ist kaum durchdacht und man hat das Gefühl, die zweite Welle kommt überraschend. So wussten viele Branchen oft am selben Tag, als eine neue Verordnung in Kraft trat, ob sie betroffen sind oder nicht. Der Kanzler hat im Sommer allen Hoffnung gemacht mit seiner viel zitierten Rede vom "Licht am Ende des Tunnels", das hat dazu geführt, dass die meisten wieder recht sorglos damit umgegangen sind. Und nun sind wir quasi WeltmeisterInnen.

„Umsatz ist nicht gleich Gewinn“

Gab es in Österreich schnelle finanzielle Hilfen beim ersten Lockdown?
Da hört man Unterschiedliches. Manche hatte Glück, manche haben auch gar nichts bekommen. Es ist alles sehr kompliziert. Wir haben durch den Webshop so gut wie keine Umsatzeinbußen gehabt, das heißt, wir hatten auch keinen Anspruch auf Hilfe. Das Problem ist natürlich, dass Umsatz nicht Gewinn bedeutet und da schaut es natürlich nicht so rosig aus. Onlineversand ist einfach viel teurer als Bücher im Laden zu verkaufen.

Wie verhielt sich das Bestellverhalten im ersten Lockdown?
Sehr gut. Die StammkundInnen haben treu bestellt, es kamen aber auch viele neue dazu, teilweise aus ganz Österreich. Man hatte schon das Gefühl, dass die Leute auf der Suche nach Alternativen zu Amazon sind. Das heißt, vielleicht gibt es auch etwas Gutes an der "Corona-Krise" - zumindest für den Buchhandel.

Warum haben Sie trotz Ihrer überregionalen Bekanntheit Sorge, dass die Kunden zu Amazon abwandern könnten?
Amazon ist einfach besser. Oder sagen wir es so, sie tun so, als ob sie besser wären. Die Homepage ist natürlich tausend Mal besser als jeder Webshop einer Buchhandlung. Durch den Marketplace gaukeln sie den KundInnen vor, bei ihnen gäbe es jedes Buch. Ein Riesenproblem sind inzwischen englische Bücher. Vieles bekommen wir nicht oder es dauert lange und ist dann auch noch viel teurer. Ein Beispiel: Das neue Buch von Barack Obama kostet bei Amazon 24,90€. Bei uns 40€. Das ist der Ladenpreis, den mein Lieferant berechnet. Natürlich kann ich jetzt sagen, ich verkauf es so, dass ich nichts daran verdiene oder sogar draufzahle, aber das widerstrebt mir zutiefst.

Die Angst vor dem Ruin war riesengroß

Was bedeutet der zweite Lockdown für Ihren Geschäftsalltag?
Wieder alles zu. Kein Weihnachtsgeschäft. Keine KundInnen. Den Weihnachtstisch umsonst aufgebaut. Aber alle MitarbeiterInnen sind motiviert, wir sind gut vorbereitet und haben die Flut der Bestellungen, anders als im ersten Lockdown, gut im Griff. Wir haben ja den ganzen Sommer dazu genützt, uns auf einen "schlimmen" Herbst vorzubereiten. Und die Angst, dass die Firma das nicht überlebt, war im März riesengroß. Die ist jetzt kleiner, wir werden das schon schaffen.

Wie ist die Stimmung in Wien?
Auch anders als beim ersten Lockdown. Viel mehr Leute sind unterwegs, man hat das Gefühl, die Menschen haben keine Lust mehr auf dieses "Angst haben". Obwohl die Infektionszahlen ja damals viel niedriger waren, war Wien praktisch ausgestorben. Das ist jetzt nicht so.

Apropos: Wie haben Sie den Anschlag in Wien selbst erlebt und wie schwingt dieser schreckliche Abend nach?
Ich war leider wirklich ziemlich in der Nähe. Mit einem Freund war ich nach einem Konzert essen. Um neun Uhr haben uns die Kellner alle durch den Hinterausgang rausgeworfen und gemeint, wir dürfen nicht in Richtung Innenstadt gehen, da wäre eine Schießerei. Das Ausmaß habe ich erst begriffen, als wir am Parkring standen und außer Polizeiautos niemand mehr unterwegs war. Keine Straßenbahn, keine Autos, keine Taxis. Es war nicht leicht, nach Hause zu kommen. Dort saß ich dann natürlich fassungslos vor dem Fernseher.

Keine Weihnachtsverkaufsparties

Haben die Menschen in diesen existenziellen Zeiten noch die Nerven zum Lesen?
Unmittelbar nach dem Anschlag konnte sicher niemand lesen, nicht mal ich. Aber die Corona-Krise hat viele Leute wieder zu Lesen gebracht, das merkt man nicht nur im Laden, auch unter FreundInnen ist das Buch wieder mehr Thema. Nicht nur die neueste Netflix-Serie.

Merken Sie eine Änderung des Kaufverhaltens?
Bei uns nicht. Aber wir sind auch in einem gut situierten Viertel.

Gibt es aktuell Unklarheiten bei der Auslegung der Lockdownregeln?
Immer wieder. Zum Beispiel gerade die absurde Frage, ob man eine kontaktlose Übergabe ermöglichen kann. Ich sehe darin kein Problem, zumal ich sicher bin, dass die BuchhandelskollegInnen sehr diszipliniert wären und es nicht dazu ausnützen würden, große Weihnachtsverkauf-Partys vor der Tür zu machen. Es ginge um rasche Nahversorgung, um Kosten sparen und auch um Nachhaltigkeit.

Welche Strategie streben Sie für die nächsten Monate an?
Ich habe in diesem Jahr gelernt, dass man nicht zu viel planen soll. Einfach weitermachen. Tag für Tag. Und flexibel sein.

„Man muss flexibel sein“

Welche Bücher tragen Sie selbst durch diese Zeit?
Mein Leseverhalten hat sich wenig geändert, immer neue Dinge, auf der Suche nach interessanten GesprächspartnerInnen für meinen Podcast. Hin und wieder einen Krimi, wenn ich mich nicht konzentrieren kann. Oder Netflix.

Wie wäre es mit einem neuen Buch „Meine wundervolle Buchhandlung in wunderlichen Zeiten“?
Ich glaube, wenn das vorbei ist, will keiner mehr darüber reden oder davon lesen.

Kurz noch gute Nachrichten: Man hört, Sie haben ein neues Manuskript Ihrer Wien-Romane an den Verlag geliefert. Machen Sie uns Hoffnung auf einen neuen Band?
Ja, das habe ich wundersamer weise auch noch geschafft in diesem Jahr. Wäre aber nicht möglich gewesen, hätte ich nicht im Jänner in einem langen Urlaub einen Grundstock geschrieben. Denn es war ja leider kein entspannter Sommer, mit viel Zeit zum Schreiben. Aber nächstes Jahr erscheint der vierte und letzte Teil meiner "Schnitzler-Bücher".

Petra Hartlieb kaufte 2004 zusammen mit ihrem Mann (einem ehemaligen Rowohlt-Manager) die Buchhandlung in der Währinger Straße im 18. Wiener Gemeindebezirk. Jahre später kam noch ein zweiter Laden mit vorwiegend fremdsprachlicher Literatur dazu. Mit Mein Jahr in der wundervollen Buchhandlung legte sie ein Buch über ihr Unternehmerinnenleben vor, was in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde. Mit Ein Winter in Wien startete sie einen Romanzyklus über das Wien des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Dazu kamen mehrere Krimis, die sie zusammen mit Claus-Ulrich Bielefeld schrieb. Hartlieb lebt mit ihrer Familie oberhalb der Buchhandlung.

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