Martin Suter: Melody für Millionen

Roman Martin Suter legt endlich wieder einen echten Suter vor – ein Hochgenuss für alle Suteraner

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Der Bestsellerautor Martin Suter
Der Bestsellerautor Martin Suter

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Menschen irren, wenn sie meinen, man läse ein Buch wegen eines monothematischen Inhalts oder wegen des Covers. Jeder Autor hat beim Schreiben eine eigene Stimmgabel, die er anstimmt. Jedem Buch wohnt immer die Autoren-DNA inne und sorgt für ein Wohlgefühl des Ankommens in bereits bekanntem und angenehmen Ambiente. Wie wäre es sonst zu erklären, dass Menschen auch den x-ten Maigret lesen? Wegen der Handlung sicher nicht. Ambiente spielt somit auch bei Martin Suter eine große Rolle, was zugleich ein Kernelement seines Erfolgs ist. Literatur definiert sich hierzulande durch Klassik oder Katastrophe. Entweder ist es alt oder soziales Drama. Lesen tut das wiederum kaum einer, die Clique der Literaturlesenden ist schmal. Schmaler als Genazinos Brühwürfel, noch schmaler als Handkes Versuche. Nur im gehässigen Echauffieren, was (angeblich) Qualität hat und was nicht, ist man breit aufgestellt. Suter wird deshalb gerne geschmäht von der sich selbst deklarierenden Intelligenzia. Er würde Tutti-Frutti-Romane schreiben. Das ist nicht nur schlecht geschriebene Häme, es ist einfach falsch und sollte auch zu denken geben, was und wie Kritik kritisieren sollte (lesen Sie hierzu den Artikel Die Lust an der Vernichtung über die Kritik an Suters Roman über Bastian Schweinsteiger).

Mut zur Gattung

Martin Suter holt seit 1997, als er mit Small World seinen Durchbruch als Schriftsteller schaffte (mit immerhin 46 Jahren), die Leserschaft schlichtweg ab. Denn Literaturkritik gibt nur vor, an die Leser zu denken; mehr denkt man an die eigene Zurschaustellung der selbst attestierten geistigen Überlegenheit. Suter hat sein Verständnis aus Wirtschaft und Werbung internalisiert und in den Bereich der Literatur erfolgreich transferiert. Er schreibt über das, was ihn selber fasziniert: Gediegenen Luxus, widersprüchliche Lebensstile, Grenzerfahrungen, Kulinarik und Fremdsein, ohne fremd zu sein. Er wolle jeder literarischen Gattung die Ehre erweisen, meinte er mal, und landete mit den beiden letzten Büchern in der Schmähecke der Kritik. Nicht dass die Kritik sich wirklich mit Suters Sujet auskennen würde, leben doch die meisten Kritiker ein Leben als Zaungast der Welt, die Suter so gekonnt beschreibt. Das merkt man auch immer wieder bei den Anmerkungen zu Suters Büchern, ohne Hinweise auf Kulinarik und Stil wären die Bücher dünner, aber genau diese Unterfütterung der Handlung, rundet die Bücher erst ab. Das wollen Suter-Leser lesen. Ein Bordeaux ist auch ein Bordeaux, wenn man ihn aus einer Plastikflasche säuft – aber schmeckt er dann? Oder darf er doch in einem mundgeblasenen Glas von Riedel sein? Klar, wer davon nie etwas gehört hat, wird sich darüber echauffieren, doch wohl eher der eigenen inneren Ertapptheit wegen, die sich keiner gerne attestiert.

Präzise und verlässlich

Natürlich, die beiden vorherigen Werke waren schwach, aber der Versuch umso stärker. Die Schmähungen generierten sich aus der Triebfeder der Schadenfreude, denn Suter ist sonst konstant erfolgreich. Und wer gönnt das schon gern? Ende letzten Jahres erschien ein Kinofilm über Suters Oeuvre – dokumentarische Teile verwoben mit Szenen aus seinen Bestsellern. Und Bestseller waren Suters Ziel, wie seine Frau beim Kennenlernen mit dem Diogenes Verlag sogleich zum Besten gab. Ihr Mann wolle nicht Autor, sondern wenn, Bestsellerautor werden. Dem bescheidenen Suter ist das bis heute peinlich, wenngleich es wahr ist. Suter will etwas erreichen mit seinem Wirken. Schreibt nicht nur der schönen Formulierung wegen. Sieht sich nicht als elitärer Künstler, sondern eher als recherchierenden Autor mit einer klaren Tagesstruktur. Das merkt man auch im persönlichen Umgang. Präzise, verlässlich und ohne jedwede Allür´, die so manch einen Autor umgibt wie Schweißgeruch. Er ist ein freundlicher Mann, der seine Lebensräume durch sein Schreiben mittels der Einbettung seiner Interessengebiete extendiert. Suter schafft es, Texte, die man um ein Vielfaches aufblasen könnte, so zu destillieren, dass das Wesentliche verbleibt. Man kann jeden Text bis zur rezeptiven Schmerzgrenze erweitern, jede Birke, jede Regung beschreiben. Doch das ist nicht Suters Leserschaft. Denn Suters Leserschaft braucht keinen Gehstock zur inneren Erlebnisfähigkeit seiner Destillate. Man kann es auch anders formulieren: Suters Leserschaft ist, wie der Autor, mündig. Mündig auch des sich-erlaubens des Erlebnisses von Luxus.

Neuer Roman, altes Glück

Zu seinem 75. Geburtstag veröffentlichte sein Verlag eine Geschenkausgabe seines Romans Ein perfekter Freund (dritter Teil der neurologischen Trilogie nach Small World und Die dunkle Seite des Mondes) und er selbst legte kurz danach seinen über dreihundert Seiten starken Roman Melody vor, in dem Suters DNA wieder vollkommen zur Geltung kommt: Arrivierter, leicht schal gewordener Luxus in einer Helix verwoben mit stiller intellektueller Dekadenz, gustatorischem Highlighting, einer Fußklingel und einer Geschichte mit Geheimnis, die, wenn man sich auf sie einlässt, wie ein Nougatbonbon schweizerischer Qualität sich auf dem Gaumen der Lesesinne zerlässt.

Martin Suter: Melody. 336 S. 26€
Martin Suter: Ein perfekter Freund. Geschenkausgabe. 448 S. 15€

Website des Autors mit exklusiven Texten (Abo): martin-suter.com

Die kulinarischen Rezepte aus Melody sind inspiriert aus: Patrizia Fontana: La Mia Cucina

André Schäfer: Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit. Kinofilm, 2022 (z.B. auf Amazon Prime und Youtube leih-/erwerbbar)
Claudio Armbruster: Die Zeit, die Zeit. Reportage ZDF, 2017

Martin wer?
Martin Suter wurde 1948 (genauer gesagt am 29. Februar, ein eher seltener Tag) geboren und startete nach seinem Schulbesuch eine Ausbildung als Werbeassistent. Durch seine kreativen Texte entdeckt, wurde er mit nur 26 Jahren Creative Director bei GGK. Ab 1991 verdiente er sein Geld auch durch Schreiben von Wirtschaftsglossen von denen mehr als 700 publiziert wurden und für die er Traumhonorare erzielen konnte. Nach Jahren des Schreibens für die Schublade und einer ersten Absage durch den Diogenes Verlag, wurde sein Typoskript Schneebälle im Mai angenommen. Es ist eine Hommage an seinen Vater, der durch die Alzheimerkrankheit erst sein Leben vergaß und dann verlor. Daniel Keel, Gründungsverleger von Diogenes, rief Suter in Guatemala, wo dieser damals lebte, an und sagte, er würde sich für das Buch starkmachen. Unter dem von Keel lancierten Titel Small World erschien der Roman dann 1997. Der Rest ist Geschichte. Suter ist einer der Top-3-Autoren hinsichtlich der Verkaufszahlen des Diogenes Verlags in immerhin siebzig Jahren Verlagsgeschichte. Small World wurde mit Gérard Depardieu verfilmt. Auch Der Koch oder Die dunkle Seite des Mondes wurden verfilmt; ebenso die Allmen-Reihe als ARD-Degeto-Produktion. Suter pendelte jahrelang zwischen Guatemala und Ibiza. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau, Margrith Nay-Suter und seiner Tochter wieder in Zürich und in Marrakesch.

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