„Verlage sind Autorenvergewaltiger“

Briefwechsel Raimund Fellinger arbeitet eifrig an der biographischen Erschließung des 1989 verstorbenen Autors Thomas Bernhard. Die Briefe seiner Lektorin geben nun tiefe Einblicke

Verraten wollte sie es Raimund Fellinger nicht, wo die Briefe von Thomas Bernhard geblieben waren. Die zweifach promovierte Lektorin Anneliese Botond verstarb 2006, der Verbleib gilt als nicht mehr zu klären. Sie betreute Bernhard von Ende 1962 bis 1970, beginnend mit seinem Romandebüt „Frost“ bis zum Erhalt des Georg-Büchner-Preis.

Anneliese Botond war ein weich kommunizierender Mensch. In allen Briefen an Bernhard schwingt der Klang des Wohlwollens mit. Sie wollte das aus seinen Texten schälen, was dann die Leser*innen zu „Bernhardinern“ machte. Vielleicht war Botond die Ur-Bernhardinerin? „Frost“ wollte Bernhard ohne Änderungen gedruckt sehen, Botond wusste dieses mit penibler Hilfe und diplomatischem Geschick zu verhindern. Bernhard quartierte sich drei Wochen in ein Hotel in Frankfurt ein und traktierte zusammen mit seiner Lektorin das Manuskript in nicht unerheblicher Form.

Sie ringt mit Bernhard, vielmehr um Bernhards Aufmerksamkeit. So bekniet sie ihn, sich doch bitte zu melden, immer mit einer leicht ironischen Note, einem Augenzwinkern: „wie gut, dass es reiselustige Verleger gibt – sonst wüsste ich gar nichts von Ihnen (…). Sie ermuntert ihn, achtet sein Werk und tendiert nie in eine herablassende Attitüde gegenüber dem Autodidakten.

„Es kommt nun Ihr geliebter Winter“

Als der notorisch klamme Bernhard mal seine Schulden mit Lektoratsarbeiten beim Verlag begleichen wollte, lehnte Unseld panisch ab. Der Verdacht liegt nahe, dass er Kraut und Rüben produziert hätte. Vom Umgang mit den anderen Autoren ganz zu Schweigen. Sein Nicht-Verhältnis zu Handke mag hier exemplarisch sein. Brüche und Antipathien gab es aber auch verlagsintern. Anneliese Botond bezeichnet ihren Verleger als „Napoloiden Unseld“, den sie dann doch wieder als Mensch ansehen könne, was ihr, so der Klagebrief an Bernhard, vorher manchmal schwergefallen sei. Auch müsse sie sich mit Reise- und Urlaubsplänen über ihre „Verlagsgefangenschaft“ hinwegtrösten.

„Wenn er Sie anheuert, bringe ich ihn um“

Über die wahre Wirktiefe von Lektoren auf das Oeuvre bekannter Autoren ist wenig überliefert, die Branche lebt von autorenzentrierter Präsentations- und Denkweise. Herausgeber Fellinger sieht die Rolle des geltungssüchtigen Lektors kritisch: „Wer darunter leidet, dass nur ein paar Kollegen seinen Namen kennen, sieht sich nach etwas anderem um.“ Die Grenze zwischen Lektorat und Kunst zieht aber auch Botond, als sie Bernhard schreibt: „Im Grunde bin ich froh und glücklich, dass Sie schreiben können und nicht wie alle anderen darauf angewiesen sind, nur über das Schreiben zu schreiben.“

Welche zwischenmenschliche Beziehung beide hatten, gilt ebenso als ungeklärt. Der generelle Brieftenor lässt zumindest eine große Zuneigung von ihrer Seite erkennen. So lädt sie ihn zum Fischessen ein: „Wenn Sie das nächste Mal hierherkommen, (…), mach ich Forellen, (…). Mögen Sie die?“ oder: „Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört, es macht mich ganz unruhig, ich kann nicht schlafen.“.

„Grüßen Sie bitte hundertausendmal die Frau Dr. Botond“

Die bereits in den Suhrkamp-Briefwechseln vorhandenen epischen Fußnoten sind ein Distinktionsmerkmal von Herausgeber Fellinger und tun dem Lesen keinerlei Abbruch, nein, sie vervollständigen den Kontext in bravouröser Weise. Die Herstellung nimmt sich sehr gut aus, hätte Unseld wahrscheinlich gesagt – die Briefe von Anneliese Botond noch viel mehr.

Info

Briefe an Thomas Bernhard, Raimund Fellinger (Hg.) Anneliese Botond, Korrektur Verlag, Mattighofen 2018, 29,90€

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