Bachmannpreis 2023: Ritual des Ärgerns über den Literaturbetrieb

Meinung Valeria Gordeev gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2023. Der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt war seit dem blutigen Stirnritz von Rainald Götz als Zuschauer dabei. Trotz all seines Ärgers über diese „Show“ kommt er einfach nicht davon los
Die Bachmannpreisträgerin von 2018, Tanja Maljartschuk, eröffnete den diesjährigen Wettbewerb
Die Bachmannpreisträgerin von 2018, Tanja Maljartschuk, eröffnete den diesjährigen Wettbewerb

Foto: ORF/Johannes Puch

Jedes Jahr zu Beginn des Sommers werde ich unruhig, obwohl ich mir von Jahr zu Jahr vornehme, den Bachmannpreis nun zum letzten Mal zumindest mit dieser emotionalen Anteilnahme verfolgt zu haben. Meist ärgerte ich mich, dass Texte gekürt wurden, die nicht unbedingt zu meinen Favoriten gehörten. Wahrscheinlich aber ist es in mir schon zum Ritual geronnen, oder einer Art Tick. Und auch im nächsten Jahr werde ich den Livestream auf meinem Laptop starten, oder, sollte ich unterwegs sein, auf dem Mobiltelefon.

Angesichts der diesjährigen Rede zur Literatur von Tanja Maljartschuk sollte ich meine Position allerdings noch einmal gründlich überdenken. Doch ich weiß nicht, ob es mir gelingt, diesen Gedanken in eine Handlung oder vielmehr Nichthandlung zu übersetzen. Vielleicht ist das der Grund, der in mir den Gedanken aufkeimen ließ, dass neben einem Wettbewerb für literarische Texte auch einer für philosophische stehen könnte. Handlungstheorie!

„Schnee legt sich betäubend auf den Schmerz und dämpft Geräusche. Stellen sie sich eine Vergangenheit vor, in der nichts wehtut und niemand aus Verzweiflung jammert, gäbe es eine solche Vergangenheit, würde es darin ganz bestimmt ununterbrochen schneien.“ Sagt Tanja Maljartschuk in ihrer Rede. Aber es ist Sommer. Ein nicht enden wollender Sommer mit Temperaturspitzenwerten.

Jetzt ist der Wettbewerb 2023 Geschichte und den Bachmannpreis gewonnen hat ein Text über Obsession mit historischen Einschlüssen. Das Universelle gewissermaßen. Der ewige Bernhard, auch wenn der österreichische Obsessionsvirtuose in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wurde, aber an anderer Stelle kam sein Name naturgemäß hin und wieder zur Sprache.

Der Bachmannpreis weckt Erinnerungen an Thomas Bernhard

Mir fällt seine Erzählung Die Mütze ein, in der ein in winterliche Isolation gezogener Schriftsteller versucht, eine gefundene Mütze zurückzugeben, die seiner Meinung nach einem Fleischhauer gehört, und dabei weit von sich selber abkommt. Die Mütze wird er nicht los und auch nicht seine Verzweiflung. Alle Fleischhauer, die er aufsucht, verweigern die Annahme der Mütze.

Vielleicht sollte der Wettbewerb künftig auch Thomas-Bernhard-Wettbewerb heißen, zumal ihm die Erben Ingeborg Bachmanns im Jahr 2000 ja auch aus naheliegenden Gründen, also dem Aufstieg der FPÖ in Kärnten, zeitweilig die Namensrechte entzogen haben. Politisch überlagert wurde der Preis auch in diesem Jahr nicht zuletzt vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der sich in den einen oder anderen Text einschrieb und die Eröffnungsrede grundierte. Die FPÖ ist inzwischen zu einer festen Größe in der österreichischen Politik geworden, wie die AFD es auch in Deutschland werden will.

Glaubt man den Fernsehbildern, herrschte in Klagenfurt um die Lesungen herum eine sommerlich heitere Stimmung, als schüfe die Literatur einen Raum, in den sich das Grauen zurückzieht. Und natürlich braucht es wahrscheinlich auch Räume heiterer Ausgelassenheit, um das Grauen zu ertragen, das dort zur Sprache kommt. (Ich merke an dieser Stelle, dass ich unsicher werde, meinen Gedanken nicht traue. Aber wer kann sich schon sicher sein?!) Die launigen Vorstellungstexte und Kommentare des Moderators verunsicherten mich nicht nur, sie machten mich geradezu aggressiv.

Rainald Götz' Blut wusch die Texte aus dem Gedächtnis

Ich verfolge die Lesungen und Diskussionen um den Bachmannpreis nun seit nahezu 35 Jahren. Damals fing ich auch an, Thomas Bernhard zu lesen. Neben einigen postmodernen amerikanischen Autoren wie William Gaddis und Thomas Pynchon, hielt ich Bernhardt für den Gipfel der Literatur. Etwas später las ich in Gaddis' Das mechanische Klavier, dass Bernhard ihn, also Gaddis, schon kopiert habe, bevor er selbst seine Texte geschrieben hatte.

Am Anfang meiner Zuseherkarriere war ich aufs Höchste beeindruckt, zumal es für mich mit dem Stirnritz des Rainald Götz begann und das tropfende Blut mir die Texte aus dem Gedächtnis wusch. Das Bild aber blieb. Götz mit blutiger Stirn.

Und das ist es wohl, was die Klagenfurtgeschichte auszeichnet. Ein Literaturwettbewerb im Fernsehfunk, der neben Texten Bilder liefert. Und vielleicht ist das auch die Crux an der ganzen Sache, weil das Licht schneller ist, als der Schall, oder wie es in der Pointe eines mittelguten Witzes heißt, die Augen weiter vorn liegen, als die Ohren.

In der Freitag-Community berichten Studierende des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt über den Bachmannpreis

Jan Kuhlbrodt, Jahrgang 1966, ist Schriftsteller. Kuhlbrodt war von 2007 bis 2010 Geschäftsführer der Literaturzeitschrift Edit und Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut. Zuletzt von ihm erschienen: Schrift unter Tage. Essays und Kolumnen (Gans Verlag 2023)

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