Krieg Die Rede von US-Präsident Joe Biden in Warschau ist eigentlich kein Grund zur Freude. Doch Kritik ist in Polen kaum zu vernehmen – wobei PiS-Chef Jarosław Kaczyński einen kurzen Moment von Ehrlichkeit offenbart
Große Bühne für US-Präsident Joe Biden in Warschau
Foto: Mandel Ngan/AFP/Getty Images
Also wieder: die Kinder. Kinder sind stets die passende Staffage, sind hervorragende Statisten, damit sich PolitikerInnen jeglicher Couleur oder politischer Systeme in ein sympathisches, hoffnungsvolles, menschliches Licht rücken können. Selbst, wenn man Blut an den Händen hat. Kindern den Kopf tätscheln, Kindern vor den Kameraaugen in die Augen schauen, Kinder auf den Arm nehmen, im doppelten Sinne dieser Wendung.
So bildete der am Ende der 20-minütigen Rede von US-Präsident Joe Biden choreografierte Auftritt der Kinder den passenden Schlussakkord des hollywoodesquen Warschauer Auftrittes, der nicht zufällig an den US-Wahlkampf erinnerte. Zu einem Coldplay-Wohlfühlsong sonnte sich Biden im Scheinwerferlicht als sorgender Onkel inmitten von zwei Dutze
licht als sorgender Onkel inmitten von zwei Dutzend Kindern und Jugendlichen, die lächelnd ukrainische, amerikanische und polnische Fähnchen schwenkten.Zu Recht verlachen wir Wladimir Putins Propaganda-Instrumente, verurteilen sein Schönreden von Gräueltaten, schütteln den Kopf über abstruse Inszenierungen des Kreml. Aber was war dann das, was Biden in Warschau machte?Was Mark Milley gesagt hatDie Benutzung der Kinder wäre nicht so abstoßend, wäre die zuvor übermittelte Kernbotschaft des US-Präsidenten eine andere gewesen. Eine Botschaft, die Frieden in der Ukraine als prioritäres Ziel avisiert; die noch mehr Kriegsopfer, SoldatInnen und ZivilistInnen, um jeden Preis zu vermeiden sucht; die auf schwierige diplomatische Verhandlungen hinarbeitet, deren Chancen „immer gegeben sind“, auch jetzt, wie zuletzt auch Mark Milley, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, vor kurzem sagte.Biden erwähnte all dies mit keinem Wort, mauerte stattdessen rhetorisch die wenigen von der Westseite her noch zu öffnenden Türen zu, die in Räume komplizierter Verhandlungen führen könnten. „Die Ukraine wird für Russland niemals ein Sieg sein. Niemals.“ Im filmreifen Pathos trug Biden im Grunde eine einzige Botschaft vor: nach einem Jahr Krieg kommt (für die Ukraine) noch mehr Krieg, als schon war und ist, und: Die NATO-Staaten müssen und werden diesen Krieg qua Waffenlieferungen weiter führen. Warum? Um die Freiheit zu sichern. „Die Freiheit ist die höchste Aspiration. Die Amerikaner wissen das, Sie (die Zuhörenden; Anm. d. Red.) wissen das. Und alles, was wir jetzt tun, muss getan werden, damit es auch unsere Kinder und Enkel wissen werden.“ Bis es so weit ist, sterben die UkrainerInnen weiter. Russland bombardiert vehementer, Putin lässt das Atom-Abrüstungsvertrags New Start aussetzen, laut BND-Chef Bruno Kahl könnte der Kreml-Chef noch bis zu einer Million Soldaten mobilisieren. Für Biden ist all dies kein Grund, verbal zu deeskalieren, die jüngsten Vermittlungsinitiativen Brasiliens und Chinas erwähnte er mit keinem Wort, seine Warnung von vor wenigen Monaten ob eines drohenden Atom-„Armageddon“ offenbar vergessen. Biden äußerte auch kein Bedauern darüber, dass die im März 2022 zwischenzeitlich aussichtsreichen Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland nicht nur, aber womöglich auch gescheitert waren, weil NATO-Staaten blockierten – jüngst bestätigte Israels Ex-Premierminister Naftali Bennett, damals in der Vermittlerrolle, entsprechende frühere Berichte über die umstrittene Weigerungshaltung der NATO. In Bidens Warschau-Rede fiel der Begriff „Verhandlungen“ kein einziges Mal, dafür der im Englischen fast poetische und auf die Chamberlain-Hitler-Abmachungen von 1938 rekurrierende Satz: „Appetit von Autokraten kann nicht gestillt werden. Man muss sich dessen erwehren“ („Appetites of the autocrat cannot be appeased. They must be opposed.“). Auf die Aussage Milleys, ein Zurückdrängen der Russen aus jedem Zentimeter ukrainischen Gebietes könne nur gelingen, wenn „das russische Militär einen Kollaps“ erleidet, ging Biden nicht ein. Nichts dazu, wie viel Waffen und Opfer es dazu bedürfe, oder wie eine mögliche Nachkriegsordnung aussähe. Nur soviel: „Die Verteidigung der Freiheit ist nicht das Werk eines Tages oder eines Jahres. Es ist immer schwierig. Es ist immer wichtig. Während sich die Ukraine weiterhin gegen den russischen Angriff verteidigt und eigene Gegenoffensiven startet, wird es weiterhin harte und sehr bittere Tage, Siege und Tragödien geben. Aber die Ukraine ist für den bevorstehenden Kampf gerüstet.“Warme Worte für PolenDas alles sagte Biden in Warschau. Man kann sagen: gezielt an diesem Ort, die Aufwertung Polens ist bewusst gewählt. Die Berater des US-Präsidenten wissen genau, wie man den ohnehin US-treuen PolInnen noch weiter schmeicheln kann, um sie kostengünstig noch vehementer von der eigenen Linie zu überzeugen: mit der symbolischen Umgehung von Berlin. Und mit warmen Worten an die PolInnen. Biden bemühte Biden den polnischen Nationalstolz, griff auf die blutige Landesgeschichte zurück, lobte die Solidarität: „Polen beherbergt mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge aus diesem Krieg. Gott schütze Sie. Die Großzügigkeit Polens, eure Bereitschaft, eure Herzen und eure Häuser zu öffnen, ist außergewöhnlich.“Placeholder image-1Das reicht, um auch das Gros der Medienschaffenden zum Jubeln zu bringen. Ebenso die Opposition: Paweł Kowal, Politiker der größten Oppositionspartei Bürgerplattform, hatte bereits nach Bidens Kiew-Besuch gesagt: „Biden zeigt, dass er cohones (Eier) hat, er bringt die Arbeit Reagans zu Ende.“ Präsident Andrzej Duda indes tat in einem CNN-Interview kund, was die USA noch nicht sagen wollen: „Wenn es notwendig sein wird, werden wir der Ukraine auch Kampfflugzeuge liefern.“ Warschau spielt, wie zuletzt bei der Frage der Panzerlieferungen, einen zusätzlichen und – aus Sicht des dominierenden NATO-Narrativs – glaubwürdigen Antreiber der US-Linie im Ukraine-Krieg. Nicht nur Polens rechtsnationale PiS-Regierung und alle wichtigen Oppositionsparteien sind mit den Amerikanern in ihrer Politik gegenüber Moskau d’accord; dies freilich nicht nur aus Ehrerbietung, sondern, weil antirussische Einstellungen in Polens Gesellschaft und Politik schon vor diesem Krieg ebenso verbreitet waren wie proamerikanische. Inzwischen aber haben sich die wichtigsten Medien derart von jeglicher Kritik am großen US-Verbündeten freigemacht, dass die Berichterstattung mitunter wie eine Art USA-Religion anmutet.Kritik am Kriegskurs kommt ausgerechnet von den strammsten Nationalisten, etwa in Reihen des Parteienbündnisses Konfederacja, auch wenn dieser Skeptizismus mehr auf der kritischen Distanz zur Ukraine denn auf der zu den USA beruht. Mahnende Worte ob des aktuellen Ukraine-Kurses sind in Polen jedoch deutlich leiser als etwa in Deutschland, bei Linken gibt es Kritik nur in Nischen. Der rechtskonservative Chefredakteur des regierungsfreundlichen Magazins Do Rzeczy, Paweł Lisicki, hingegen meinte kurz vor Bidens Polen-Besuch: „Die Folgen eines eskalierten Konflikts lassen sich kaum vorhersehen. Daher ist für mich der Optimismus der polnischen Kommentatoren und Politiker kaum zu verstehen: eine Nation, die wie keine andere in Europa den letzten Krieg und ihre erschreckenden Folgen erfahren hat, sollte mehr, und nicht weniger vorsichtig als andere sein.“Joe Biden trifft Jens StoltenbergDiese eigentlich zu erwartende Vorsicht ist längst einem nahezu besorgniserregenden Hurra-Amerikanismus gewichen. Die einflussreiche, konservative Tageszeitung Rzeczpospolita titelte am Mittwoch: „Es wird keinen Frieden geben“. Große Sorge klang in dem Artikel nicht durch, dafür das: Biden habe es geschafft, „innerhalb von 30 Minuten Hoffnung in die Herzen der freien Welt zu gießen und sie um die gemeinsamen Werte zu einen“. Am Mittwochnachmittag traf der US-Präsident in Warschau mit den Staatschefs des Bukarest-9-Formats, den sog. Ost-Flanke-Staaten der NATO, sowie dem Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, zusammen. Als Präsident Andrzej Duda vor der versammelten Runde die Eröffnungsrede hielt und dann an den rumänischen Co-Gastgeber Klaus Iohannis weitergab, schaute Biden mit einem Blick, an dem zu sehen war: ,Lass’ uns diesen Pflichttermin schnell hinter uns bringen, es geht nur um die Bilder, und darum, dass eine Botschaft in die Welt geht.' Diesmal in den Worten von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Putin bereitet sich nicht auf Frieden vor, sondern auf weiteren Krieg. Deshalb müssen wir unsere Unterstützung für die Ukraine verstärken.“ Eine Beschreibung des Status quo, die Logik und Alternativlosigkeit suggeriert.Was Jarosław Kaczyński sagtDoch auch in Polen sind in diesen Tagen kurz vor dem ersten Jahrestag der verheerenden russischen Invasion kurze Momente zu beobachten, in denen sich mehrdeutige Risse in den medialen und staatsübergreifenden Hurra-Wir-schlagen-Putin-Pathos mischen. PiS-Chef Jarosław Kaczyński kommentierte in einem Moment seltener Ehrlichkeit und wohl in dem Bewusstsein, nicht ins Mikro zu sprechen, dass Biden bei seiner Rede am Dienstag „nichts gesagt“ habe.Indes, es war nur in bestimmter Hinsicht „Nichts“, in anderer hingegen die Ankündigung von Unheilvollem: wenn Kinder und Jugendliche lachend Staatsfähnchen schwenken, nachdem ein Politiker faktisch die Ausweitung eines Krieges angekündigt hat – das ist keine Hoffnung für die Zukunft dieser und anderer Kinder. Das ist Propaganda.
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