Interview Diandra Donecker steht oft in fremden Wohnzimmern und überlegt, welche Bilder in dem von ihr geleiteten Auktionshaus unter den Hammer sollen. Jakob Augstein hat sie verraten, warum man flirten können muss, wenn man im Business Erfolg will
Diandra Donecker im Literaturhaus Berlin. Das Auktionshaus Grisebach ist gleich nebenan
Foto: Philipp Plum für der Freitag
Drei, zwei, eins – meins? Jenseits von Ebay ist das Auktionsgeschäft für viele eine Blackbox. Wo kommt zum Beispiel ein Bild her, bevor es versteigert wird? Als Geschäftsführerin von Grisebach ist Diandra Donecker regelmäßig in der Republik unterwegs, um Kunstschätze ausfindig zu machen. Mit Jakob Augstein sprach sie darüber, wer sich die überhaupt leisten kann.
Jakob Augstein: Liebe Diandra, wie ist es, in der männerdominierten Kunstwelt als junge, 34-jährige Frau weit nach oben zu kommen? Oder geht dir das Thema auf die Nerven?
Diandra Donecker: Nee, gar nicht! Wenn ich mich so umschaue bei anderen Auktionshäusern oder auch Galerien, dann sind da ja wirklich gar nicht so viele Frauen in leitender Position. Was mich aber nerv
ind da ja wirklich gar nicht so viele Frauen in leitender Position. Was mich aber nervt: Wenn jemand sagt, guck mal, heute trägt die Donecker diesen Nagellack und hat die Haare so und so.Bist du für eine Frauenquote bei Führungspositionen?Ich habe mich damit nicht viel beschäftigt, bevor ich im Arbeitsleben war. Weil ich immer diesen Ich-werde-es-sowieso-schaffen-Impetus hatte. Bis ich gemerkt habe: Wenn es keinen vorgeschriebenen Weg gibt, entscheiden sich gar nicht so viele Männer dafür, dich als Frau einzustellen. 2017 ist ja der Bericht der AllBright Stiftung erschienen, wonach ungefähr fünf Prozent aller deutschen CEOs mit Vornamen Thomas heißen.Du hast es geschafft, obwohl du Diandra und nicht Thomas heißt.In dem Zusammenhang muss ich natürlich den Gründer von Grisebach, Bernd Schultz, erwähnen, der mich kurz vor seinem 80. Geburtstag als CEO ausgewählt hat – eine damals 29-Jährige. Das war gewissermaßen die Radikalität eines Mannes, der nicht in dieses Bild passen wollte.Förderst du gezielt Frauen?Ich versuche es. Aber natürlich geht es vorrangig um Qualität.Was sagen die Sammler, wenn sie die Tür aufmachen und da eine Frau von Mitte 30 vor der Tür steht? Vertrauen sie dir?Nicht immer sofort. Aber wenn sie merken, dass ich nichts vortäusche, dass da kein doppelter Boden ist, dann bricht das Eis schnell.Warum sind Bilder von männlichen Künstlern teurer?Hm, das Thema hat schon ein paar Bücherregale gefüllt. Wenn ich mal über unsere Bieterinnen und Bieter nachdenke, sind das bestimmt auch immer noch zu 80 Prozent Männer.Weil die das Geld verwalten?Wahrscheinlich, die können eher sagen: Das Bild kauf ich jetzt! Gleichzeitig entscheiden die Ehefrauen im Hintergrund mit, ob es dieses Bild werden darf oder nicht. Diese Gender-Komponente zieht sich bis heute durch: Es heißt ja immer noch oft, es sei eine Entdeckung, dass Angelika Kauffmann tolle Pastelle gemacht hat. Was für eine Entdeckung? Kauffmann war im 19. Jahrhundert eine durch Europa reisende Grand Dame! Ist doch absurd, dass wir heute noch betonen müssen, dass eine international bekannte Frau auch eine tolle Künstlerin sein konnte.Georg Baselitz hat 2013 im „Spiegel“ geschrieben, Frauen würden einfach nicht so gut malen. So in Reinform kriegt man das Patriarchat heute nicht mehr oft ...Erschreckend, oder? Dass jemand, der so visionär malt – gerade wenn man an seine 60er Jahre denkt –, Frauen dann als zweite Garde betrachtet. Den müsste man mal liebevoll kneifen.Könnte Grisebach heute noch eine Gruppenausstellung machen, wo mehr Bilder von Männern als von Frauen gezeigt werden?Nein. Es steht schon immer die Frage von externen Institutionen im Raum, wie viele Frauen in unserem Auktionskatalog sind. Ich glaube, das führt in eine Sackgasse.Wieso?Weil es ausschließlich um die Kunstwerke gehen sollte.Was zeichnet einen guten Auktionator aus?Es hat nichts damit zu tun, wie du in deinem richtigen Leben bist. Du kannst ein schüchterner Mann sein, der auf der Bühne plötzlich total aufblüht und eloquent ist. Du kannst in deinem Daily Life aber auch genauso gut rhetorisch stark und dann eine Katastrophe am Pult sein. Was du brauchst, ist ein Gefühl für die Stimmung im Raum, eine Art psychologische Sensibilität. Man muss eine Körperhaltung haben, von der man sich auch noch in Reihe acht angesprochen fühlt. Wenn ich sage: Du hast das Bild nicht, musst du denken: Ich will es aber! Augenkontakt ist dafür wichtig. Ich glaube, jemand, der nicht gut flirtet, sollte kein Auktionator werden.Auktionierst du auch selbst?Nee.Warum nicht?Das hat zwei Gründe. Erstens hatte ich einen Raketenstart bei Grisebach. Wenn ich zusätzlich noch auktionieren würde, wäre das zu viel. Zweitens sind mir die Rollen zu verschieden. Das würde ja bedeuten, dass ich erst das Bild bei jemandem zu Hause von der Wand hole und es sechs Monate später versteigere. Dann würde ich immer daran denken, wie es war, mit der Person Tee zu trinken, die mir das Bild anvertraut hat. Das würde mich emotional überfordern.Lass uns mal über diesen Prozess reden, wie du an die Bilder kommst: Du stehst vor der Tür?!Ja, man geht wirklich rein. Es gibt natürlich verschiedene Stränge, wie man sich die Kunst und die Kundenkontakte holt und pflegt. Im Fall Grisebach ist es ja so, dass das ein großer, etablierter Markenname ist. Man weiß, wir sind für deutschen Expressionismus bekannt. Also bekomme ich Anrufe und Mails, wo Leute sagen: Ich habe hier einen Schmidt-Rottluff, wollt ihr den verkaufen?Oft ist bei Kunstauktionen von den drei D die Rede: Death, Divorce, Debt. Die Leute verkaufen ihre Bilder, wenn jemand tot, geschieden oder verschuldet ist.Ja, es sind Momente, wo Menschen irgendwie verletzlich sind. Stell dir vor: Gerade ist jemand gestorben, und drei Geschwister bilden eine Erbengemeinschaft und zeigen mir das, was die Eltern gesammelt haben. Und plötzlich stehe ich in München-Solln im Schlafzimmer, wo meistens die besonderen Arbeiten hängen. Und dann sehe ich, huch, da ist die Pinguin-Bettwäsche aber nicht weit entfernt! Es sind also oft sehr intime Situationen und gar nicht immer das Loft aus Marmor, wo man sich den Picasso rüberreicht.Das klingt, als hättet ihr es nicht in erster Linie mit Profis zu tun.Ich schätze, 60 bis 70 Prozent der Kunstwerke, die wir anbieten, stammen von privaten Sammlern.Was sind das für Leute, Sammler?Sammeln ist für mich ein Begriff, der eng mit Besessenheit zu tun haben muss. Wer sammelt, braucht Platz und muss Geld dafür zur Verfügung stellen – das man ja oft nicht hat. Diese Meldungen aus der Presse, dass ein Picasso für 160 Millionen Euro über die Theke gegangen ist, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Spanne dessen, wofür Bilder normalerweise verkauft werden, liegt mehr so zwischen 30.000 und 500.000 Euro.Auch viel Geld.Natürlich! Aber es ist eine andere Klientel als der Picasso-Käufer. Was ich sagen will: Echtes Sammeln beginnt für mich, wenn es finanziell ein bisschen wehtut oder es eng wird in der Wohnung. Wenn du überlegst: Mache ich jetzt die Reise oder kaufe ich das Bild? Eigentlich ist Sammeln ein Gefühl wie Liebe.Der Mann, der bei euch letztes Jahr das Max-Beckmann-Bild für 20 Millionen ersteigert hat, kann trotzdem in die Ferien fahren.Das stimmt. Hohe Summen sind für mich aber nicht entscheidend dafür, ob jemand Sammler ist oder nicht. Es geht um dieses lustvolle Einfach-Weitermachen, wo jemand über alle Grenzen hinweg auch noch das 20.000-Werk kauft.Woran liegt es, dass bei amerikanischen Auktionshäusern wie Christie’s der 160-Millionen-Euro-Picasso versteigert wird und bei Grisebach ein Beckmann für 20 Millionen? Wie kommt es zu diesem eklatanten Unterschied?Es gibt auch in Deutschland hochpreisige Kunst: Gerhard Richter, Georg Baselitz, Sigmar Polke. Aber es stimmt schon, der deutsche Käufer ist irgendwie rationaler, da hat der Preis eher eine Grenze, die man sich setzt. Vergiss nicht, dass sogar die 20 Millionen für Beckmanns Selbstbildnis ein echter Ausreißer waren: 2018 wurde dessen Ägypterin bei uns noch für viel weniger, 4,7 Millionen Euro, versteigert. Und das war damals schon eine Rekordsumme!Aber warum ist der Unterschied zu US-Häusern so groß?Na ja, Christie’s hat auch einfach eine fantastische Strahlkraft, mit internationalen Standorten wie London, New York und Hongkong. Die machen unglaubliches Marketing, da spürt man so eine Sexyness. Vielleicht erzielen sie deshalb solche Auktionspreise. Erinnere dich an Leonardo da Vincis Salvator Mundi, da fiel der Hammer sogar erst bei 450 Millionen Dollar – ein Weltrekord.Versucht ihr bei Grisebach diesen Erfolg zu kopieren?Klar. Davon sind wir allerdings noch entfernt.Und das liegt ausschließlich an der Rationalität der Deutschen?Und daran, dass du in Amerika eine Mehrwertsteuer von 6,5 Prozent zahlst und hier 19. Es gibt noch andere Regularien in Deutschland, die Novelle des Kulturschutzgesetzes zum Beispiel hat eine Fluchtbewegung ausgelöst. Weil die Leute gedacht haben: Oh Gott, es gibt jetzt Zugriff auf meine Sammlung, schnell ins Ausland damit! Deutschland hat seinen Kunstmarkt auch ein bisschen selbst erwürgt.Ist der Kunstmarkt eigentlich demokratisch? Am Ende schnappen sich doch immer die Reichen die Filetstücke.Kunst ist per se demokratisch. Und irgendwann hängt das Bild auch wieder im Museum oder kommt auf den Markt. Natürlich haben Preise etwas Ausgrenzendes. Aber sie sorgen auch dafür, dass der Künstler seine Brötchen kaufen kann – egal ob Albrecht Dürer oder heute. Man kann sich ja auch eine Postkarte an den Schrank hängen und sich daran erfreuen.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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