Uneingelöste Versprechen

SPD Es gibt für einen Sozialdemokraten viele Gründe, stolz zu sein. Das Problem ist nur: die meisten liegen in einer weit entfernten Vergangenheit
Die SPD muss jetzt tun, was ihr am schwersten fällt - sich entscheiden
Die SPD muss jetzt tun, was ihr am schwersten fällt - sich entscheiden

Bild: Clemens Bilan/ AFP/ Getty Images

Die sozialdemokratische Gegenwart ist deprimierend. Jahrelang dämmerte die Partei bei Werten um die 25 Prozent und man dachte, schlimmer könne es nicht mehr werden. Das war ein Irrtum. Es wurde schlimmer. Die SPD ist auf dem besten Weg, zur Splittergruppe zu werden.

Wenn die SPD die Wahl hätte, wäre sie am liebsten die CDU-light. Das Problem der SPD ist aber: eine CDU-light gibt es schon und Angela Merkel ist ihre Kanzlerin. Der SPD wird das Sozialdemokratische an ihr zum Verhängnis: gerne Veränderung, aber bitte nicht so radikal. "Reformismus" nannte man das früher. Die CDU kann das inzwischen besser. Wenn die SPD eine Chance hat, dann liegt sie in mehr Mut zur Radikalität. Aber die SPD nutzt diese Chance nicht.

Die heutige SPD wäre wahrlich ein Fall für August Bebel. "Ach, diese kleinlichen Gesichtspunkte, diese Engherzigkeit, diese Schüchternheit, dieses ewige Beruhigen, Temporisieren, Dimplomatisieren, Kompromisseln!", rief der "Arbeiterkaiser" 1903 in Dresden aus. Er wusste, dass sozialistische Politik damit beginnen muss, dass die Welt mehr ist als was der Fall ist.

Wer weiß das heute noch in der SPD? Johanna Uekermann die Vorsitzende der Jungsozialisten. Sie ist eine junge Frau, 28 Jahre alt. Es sind oft junge Leute, die den Widerspruch zwischen Wort und Wirklichkeit nicht gut aushalten. Als Parteichef Sigmar Gabriel mal wieder eine seiner großartigen Reden gehalten hatte – "Dass jeder Mensch in diesem Land und in Europa aus seinem Leben etwas machen kann, selbstbestimmt und frei, das ist der Auftrag der Sozialdemokratie, liebe Genossinnen und Genossen" – sagte Uekermann ganz trocken, sie verstehe jeden, der nach Gabriels Rede sagt: "Ja, das war 'ne starke Rede, aber irgendwie kann ich das nicht in Einklang bringen mit dem, was danach immer wieder passiert."

Gabriel hat sich damals darüber sehr geärgert. Aber so kompliziert ist es gar nicht. Ein Versprechen, noch dazu ein dauernd wiederholtes, muss irgendwann eingelöst werden. Oder niemand glaubt es mehr. Bei der SPD ist das inzwischen erkennbar der Fall. Die Sozialdemokraten müssen jetzt das tun, was ihnen am schwersten fällt: sie müssen sich entscheiden. Soll der Spruch "Lieber tot als rot" wirklich ihr Motto werden?

Die SPD muss sich die emanzipatorischen Projekte unserer Zukunft suchen. Europa und Gerechtigkeit! Die gerechte Wirtschaft, die zivile Gesellschaft, der friedliche Staat – das wird es nur in Europa geben. Umgeben von Steppen und Dschungeln ist Europa – noch – ein Garten der Ordnung. Es ist nicht nur die Chance der SPD im Wettstreit mit Merkel, dass die Kanzlerin die Bedeutung Europas nicht versteht – es ist die Verantwortung der Sozialdemokratie.

Ohne die Deutschen wird Europa nicht werden. Und mit Merkel gewisslich nicht. Eine sozialistische Vision von Europa – das wäre das, was Willy Brandts Freund Richard Löwenthal einst abschätzig einen "romantischen Rückfall" bezeichnete. Um so besser. August Bebel wäre diesen Weg gegangen.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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