Ich beneidete Polen um seine Emigranten, Exilanten – die DDR hatte keine vorzuweisen. Polen erschien als ein Land, in dem Identität möglich war, Identität mit dem Landkörper, der Sprache, Kultur, ohne sich dabei mit der herrschenden Klasse, der politischen Verfaßtheit identifizieren zu müssen. Die DDR wirkte wie ein Gebilde, das lediglich in der erzwungenen Einbildung bzw. Vorstellung der Partei- und Staatsorgane existierte und von uns zu allererst Glauben, Übereinstimmung abverlangte. Ein Gebilde, das, mittels einer vorgefaßten Vorstellung von Wirklichkeit konstituiert bzw. begründet, mich an den Staat Israel erinnerte, dessen Grundfeste nicht von einer Nation, einem Volk, sondern von Überzeugungen, einer Idee, Vision ... gefügt wurden.
In der DDR bildeten nicht Land und Sprache eine Einheit, sondern Staatsmacht und Ideologie – wer DDR sagte, meinte den Staat. Die Hinübergegangenen vermochten von außen her nicht, wie die Emigranten anderer Länder, Identität zu stiften oder zu behaupten, sondern lediglich ihr Fehlen, ihre Unmöglichkeit hier zu konstatieren, sichtbar zu machen. Der Status eines Emigranten war ihnen weder hier, noch in der Fremde zuerkannt, ihre politische Position wurde vornehmlich durch Andere definiert, es hieß: Flüchtlinge, Weggegangene, Ausgereiste ...
Jene, die die DDR verließen, hatten ihre Visionen, Optionen, ihre Zukunft mit sich genommen und zumeist am anderen deutschen Staat festgemacht, sie hatten resigniert oder aufgeben müssen, sich ein bessres Leben versprochen – sie vermochten ihre Zukunft nicht mehr in einer veränderbaren DDR zu sehen. Schon deshalb, so dachte ich, vermochten sie keine Emigranten zu sein, denn Emigration bedeutet für mich immer Rückbindung, Verwurzelung, Projektionen, die sich auf die Wirklichkeit beziehen, deren Raum man verlassen hat. Die Literatur der Weggegangenen wurde von uns aufgesogen, eine Literatur, die von der Abwesenheit jeglicher Utopie und innerer Abkehr kündete, einer Abkehr, die Voraussetzung schien für alles Weitere, Mögliche ... Für eine Wahrhaftigkeit, die ansonsten verwehrt blieb?
Eine Literatur, vom Schmerz und von der Scham derer erfüllt, die sich abgewandt hatten in einem Ablösungsprozeß, der unumkehrbar war. Sie hatten sich einzurichten, dauerhaft, in jenem anderen Staat, denn um das Hierbleiben konnte es ihnen nicht mehr gehen. Und hatten wir das Recht, von ihnen etwas einzufordern, zu erwarten? Und durften sie mehr von uns erwarten, als die Respektierung einer politischen und doch vor allem persönlichen Entscheidung? Follow me morste einer der Freunde beharrlich ... er verstand nicht, daß es einen Grund geben könnte, zu bleiben.
Ich hatte das Gefühl, daß dem Exil aus polnischer Sicht ein anderes Gewicht eignete, eine Würde, daß es einem Amte gleichkam, das mit Verantwortung wahrgenommen wurde. Ein Zwiespalt, der die Exilierten von den zuhause Gebliebenen zu scheiden trachtete, konnte unter dieser Bedingung nicht entstehen. Selbst die Auswanderer blieben auf verschiedene Weise mit ihrem Herkunftsland verknüpft, bildeten in den USA zum Teil eigene Gemeinden, begründeten eine eigene Zeitschriftenkultur (z.B. die Monatsschrift Ameryka), die sich auch innerpolnischen Themen widmete.
Die Ausschließlichkeit des politischen Systems hierzulande, der chronische Seitenblick auf die Existenz des anderen deutschen Staates mußten jegliche Emigrationskultur zum Scheitern verurteilen, von vornherein. Vielleicht auch, weil es nie eine wirkliche Ankunft gegeben hatte, in einer Gesellschaft, die sich so oder so über einen Mangel definierte, nie eine Zukunft, die primär von Eigensinn statt dem unwillkürlich versichernden Blick nach drüben geprägt worden wäre. Mir ist, als wären wir auch von unseren eigenen Projektionen zu einem Dasein erpreßt worden, das uns vom ersten Augenblick an zu potentiellen Republikflüchtigen machte, auch wenn wir blieben.
Kommentare 10
Liebe jayne,
hochinteressant und aufschlussreich finde ich Deine Betrachtung,
erst lange nach 1989 habe ich erkannt,
wie hart das Stigma war:
D I S S I D E N T
ein deutsches Wort......
Lioebe jayne,
sehr interessanter Text ui diesem Thema aus der Perspektive einer Daheimgebliebenen , der doch sehr viel komplizierter ist als ich dachte. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn man nicht selbst in der DDR gelebt hat, kann man auch beim Bemühen um Verständnis bestensfalls Teile verstehen kann, oder täusche ich mich da? Ich hätte bei diesem Titel eine größere Abgrenzung von den Hinübergegangenen erwartet, aber der Text zeigt, dass Du mit den Augen zumindest doch sehr nachgeschaut und aufmerksam beobachtet hast und Dein Dableiben immer wieder hinterfragt hast, was Dich sehr ehrt, mir aber die Sicht auf die DDR noch komplizierter macht.
Herzliche Grüße
rr
"Polen erschien als ein Land, in dem Identität möglich war, Identität mit dem Landkörper, der Sprache, Kultur, ohne sich dabei mit der herrschenden Klasse, der politischen Verfaßtheit identifizieren zu müssen."
"In der DDR bildeten nicht Land und Sprache eine Einheit, sondern Staatsmacht und Ideologie – wer DDR sagte, meinte den Staat. "
Es gab ja gegen Ende der DDR, war es doch schon in den späten 70ern oder erst in den 80ern, mal eine Kampagne in Richtung 'DDR als Nation' (da fällt mir gerade das derzeitige Gerichtsverfahren um die Frage, ob die Ossis eine Ethnie sind, ein :)).
Wir haben uns damals nur an den Kopf gefasst. Warum wohl? Weil man in der DDR nicht nur unbehelligt Atheist, sondern auch Anti-Nationalist sein konnte.
Ich habe damals auf meinen Polenreisen und -besuchen diese Anflüge von Nationalstolz/Nationalismus, die Übergänge sind fließend, erst nur mit Verwunderung erlebt. Später, erst recht nach 1990, ist die Verwunderung in Befremden umgeschlagen.
Damit eines klar ist, da ich ja nun mal zufällig Deutscher bin, ist es immer noch und jederzeit der deutsche Nationalismus, der mir am meisten gegen den Strich geht. Von den historischen Gründen dafür ganz zu schweigen...
gegen ende der ddr bzw. schon anfang der 80er, als man sich auch auf preußische tugenden zu besinnen begann (wiederaufrichtung des alten fritz unter den linden ...) schuf man das konstrukt von der sozialistischen deutschen nation, obgleich man noch anfang 70er alles "deutsche" dahingefegt hatte (mit ausnahme des titels der zeitung "neues deutschland"). In polen wiederum bemühte man auf spruchbändern und transparenten in den endsiebzigern gern den begriff patriotismus, mehr noch als den des sozialismus, z.b. vor den toren des ursus-werkes eigenäugig gesehen, und solche dinge lagen und liegen mir fern, wie auch das nationale gehabe der derzeitigen polnischen regierung ...
das geht tief, ein guter anrührender und nachdenlich machender Text, danke für die Einblicke.
@ jayne lamme
Es entwickelte sich Ende der 60er Jahre mit der Ausarbeitung und Volksabstimmung über eine neue Verfassung. Damit verbunden war auch die Textlosigkeit der DDR-Hymne.
Keineswegs wurden Bezeichnungen mit dem Namen deutsch aus Bezeichnungen hinweg gefegt.
Deutsche Demokra...
Freier Deutscher Gewerksch...
Freie Deutsche Jugend etc.
Um sich zu behelfen wurde ein anderes Konstrukt entwickelt. Das Akronym wurde hinten rangehängt, z.B. Deutsches Rotes Kreuz der DDR
Es gab auch eine Verballhornung mit dieser Handlungsweise, weil sie fast überall eingesetzt wurde. In Chemnitz gab es eine Gemeinde der Mormonen.
In Anwendung der Kürzelsucht hätte die Religionsgemeinschaft heißen müssen:
Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage in der DDR.
Da waren es noch viele Jahre bis 89.
Nationalbewusstsein ist ein Fahrzeug
mit einem Vorwärtsgang
und mehreren Rückwärtsgängen....
Heimat und Heimatverlust, wie in jaynes Text umkreist, ist kein nationalistisches Konzept....
hofft archie :-))
polen war ein land, mit dem oder in dem identität möglich war, schreibst du, liebe jayne.
ich kann mich nicht mit gewissheit erinnern, ob ich vielleicht als kind mit einem land mich identifiziert hätte. gewiss weiß ich, dass ich danach niemals mich und meine identität an ein land gelehnt hätte. menschen ja, länder nie.
auch kann ich mich erinnern, dass ich es nicht verstand, warum (mir liebe) menschen es nicht ertragen konnten, dass ich so gar nichts mit dem land verband und das auch sagte im sogenannten ausland. das ging wohl gegen die familienehre oder sowas.
ich hatte im westen auch nichts für meine identität gefunden, das aber nicht als verlust empfunden, im gegenteil, so war ich doch offen für die ganze welt. besonders wenn ich sprachen lernte. oder auch musik hörte.
Ein Gebilde, das, mittels einer vorgefaßten Vorstellung von Wirklichkeit konstituiert bzw. begründet, mich an den Staat Israel erinnerte, dessen Grundfeste nicht von einer Nation, einem Volk, sondern von Überzeugungen, einer Idee, Vision ... gefügt wurden.
Vielleicht , andererseits aber bleibt dieses Gebilde so lange in den Köpfen der Leute. Das ist ja nicht nur mit Ostalgie allein zu erklären.
es hieß: Flüchtlinge, Weggegangene, Ausgereiste ....
Ich habe auch das Gefühl, dass die Leute, die nach dem Westen gingen, sich - bis auf wenige Ausnahmen - politisch kaum noch artikulierten. Sie waren angekommen, das Ziel erreicht.
Die Literatur der Weggegangenen wurde von uns aufgesogen, eine Literatur, die von der Abwesenheit jeglicher Utopie und innerer Abkehr kündete, einer Abkehr, die Voraussetzung schien für alles Weitere, Mögliche ... Für eine Wahrhaftigkeit, die ansonsten verwehrt blieb?.
Aber jetzt ist ist diese Literatur sowas von in den Hintergrund gedrängt. Das ist auch so ein Phänomen.
Dazu kommt noch, dass die Weggegangenenn irgendwie "Recht" behalten zu haben scheinen. Das bringt Missverständnis, aber auch Vereinnahmung oder Verstummen mit sich. Denke ich.
.Vielleicht auch, weil es nie eine wirkliche Ankunft gegeben hatte..
Ja, als eigentliche Ankunft galt für die ausgereisten dann wirklich der Westen. Nicht zurückblicken, möglichst wenig über die DDR sprechen, das scheint so das Verhalten gewesen sein. Dazu kommt noch, dass es - wie mir eine glaubwürdige politisch Verfolgte in Bonn erzählt hat - ein Abkommen Ost-West gab, dass man Leuten ,die die DDR anklagten, kein Podium bieten wollte. Und man wollte ja auch in Westdeutschland kein "kalter Krieger" sein. Das aber absolvieren einige jetzt nachholend.
Die ganze Exil-Flüchtling Geschichte auf deutscher Seite hat damit zu tun , dass von diesem Land soviel Gewalt ausgegangen ist und es am Endne nur von außen besiegt werden konnte. Die dann zurück kamen wurden als "Sieger", die jetzt irgendwie nicht mehr zu den Deutschen gehören, gesehen. Wenn man an die Diffamierung gegenüber Thomas Mann denkt.
Und 1989 nach großer Freude aber schien es so, als kämen die einst Ausgebürgerten und Geflüchteten auch "mit den Siegern", (wenn sie kamen) und oft wollten sie auch noch materielle Güter einklagen. Naja, das sind erste Überlegungen
Die Polen haben all diese Probleme einfach nicht. Sie sind von Brüchen innerhalb des Landes für ihr Selbstverständnis nicht betroffen.
lieber h.yuren, ich sehe das ähnlich und finde meine anknüpfungspunkte auch vor allem bei menschen, in landschaften, kulturen, und in einem sozialen raum, in dem ich die möglichkeit habe, zu interagieren (dies letzte ist mir sehr wichtig, die möglichkeit, gesellschaft mitzugestalten, obgleich das ja sehr begrenzt) ...
liebe Magda, ich denke, das gros der leute hat das land oder diese gesellschaft nicht als das/die ihrige betrachtet und auch nicht in anspruch genommen, es zu ihrem land zu machen. Das kam dann erst sehr spät mit jenen leuten, die sich mit trotz behaupteten: Wir bleiben hier! Wir wollen die gesellschaft vor ort verändern ...