Grau wie Beton, gelb wie Unkraut

Kolorierung Die Pantone-Farben für 2021 illustrieren perfekt die trübe Stimmung in Corona-Zeiten
Ausgabe 01/2021
Grau wie Beton, gelb wie Unkraut

Grafik: der Freitag

Wäre man Influencerin, hätte man vergangenes Jahr einen Corona-Style-Blog starten und sich in die unterschiedlichen Farben des Virus kleiden können. Denn anfangs variierten die Fernsehgrafiken des Erregers in der Berichterstattung, mal schimmerte er in Rot mit lila Glycoproteinen, dann kam er in Meerschattierungen daher. Inzwischen ist er immer gleich: Beim ZDF orangegelb mit roten Saugnapf-Stacheln, in der ARD sandfarben mit weinroten Blumenkohlröschen.

Vielleicht haben die Kolorist*innen von Pantone ihre „Farben des Jahres“ darum bemüht abseits jeglichen Corona-Regenbogenspiels ausgewählt: Ein Betonton namens „Ultimate Grey“ und der helle, kalte Gelbton „Illuminating“ sollen 2021 die Welt ausmalen. Die Kombi setzt ganz unromantisch auf Schutz, neben der Sicherheitsweste erinnert sie an Straßenmarkierungen bei Baustellen oder an holztischschonende Platzdeckchen im dänischen Ferienhaus, an denen noch Röstzwiebeln von Hot Dogs der Vormieter*innen kleben. Nicht schön, aber einfach zu reinigen.

Immerhin muss man das Grau und das Gelb ja nicht zusammen tragen – „Illuminating“ macht sich gut allein. Dass die Farbbezeichnung allerdings einen subtilen Schwenker hin zur Geißel des vergangenen Jahres, der Verschwörungstheorie (Illuminaten!) macht, ist fast frech. Der harte, unbunte Grauton sieht dagegen am besten aus, wenn er vor den Hochhäusern von Metropolen verschwimmt, ihn trägt der Gentleman, dem Mode schnurz ist, um damit auszudrücken, wie sehr. Der Ton passt zur Stimmung des noch jungen Jahres: Die Farbvalenz ist so schwach wie die momentane Lebenslust. Die Anmutung ist die eines Steins, auf dem nicht mal Moos wächst.

Keine Party-Verheißung

Das ist nur folgerichtig: Ein beschwingt-warmer Gelbton wie „Mimosa“, den Pantone 2009 zur Farbe des Jahres kürte, hätte in seiner Party-Verheißung schlichtweg zu viel versprochen. Denn ein „Mimosa“ besteht aus Orangensaft und köstlichem Champagner und wird traditionell beim Hochzeits- oder anderem Brunch gereicht. Nun befeuert der Lockdown zwar die Sauflust der Welt, aber heiraten und das gemeinsam mit Freund*innen feiern, kann niemand. Stattdessen kippt man einen einsamen „Quarantini“, einen kaltgelben „Yellow Bird“ mit viel Graue-Gans-Wodka. Und danach schwankt man beim Spaziergang an der brutalistischen St.-Agnes-Kirche in Berlin vorbei, rupft dort ein kaltgelbes Büschel Breitwegereich (eine der hartnäckigsten Unkrautarten hierzulande) oder etwas kaltgelbes „Gewöhnliches Ferkelkraut“.

Mit tränenfeuchten Augen schaut man auf das dunkle „Ultra Violet“ aus dem Jahr 2018 zurück, das nach Austin Powers’ Love Shack duftete, oder auf das mutige 70er-Blutorange „Tangerine Tango“ von 2012: Das waren noch Zeiten. In denen auch Jimi Hendrix sich gern in Pantone eingekleidet hätte. Wenn es stimmt, dass Farben sprechen und Schwarz schweigt, dann murmelt das Grau-Gelb etwas Unverständliches vor sich hin: Die von Pantone ausgewählte Kombination für 2021 ist der „Mumblecore“ unter den Farbkombinationen. Das entsprechend gefärbte Jahr wird schwer zu verstehen sein.

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