Irgendwo in der Wüste, am Rande eines Asteroidenkraters, steht ein Martini-Automat. 25 Cent muss man hineinwerfen, um zuzuschauen, wie ein silberner Retro-Cocktailshaker mit Eis, Gin und Wermut befüllt und geschüttelt wird und das Ergebnis, ein staubtrockener Mixdrink, im klassischen Cocktailspitz unten herauskommt. Selbstverständlich inklusive Olive.
All das, der ulkige Automat, die Wüste, der Asteroid und die Olive, lässt auf Wes Anderson schließen: Der texanische Regisseur hat ein Faible für die Ästhetik vergangener Zeiten. In Asteroid City, seinem elften Langfilm, hat er sich die 1950er Jahre mit ihrem pastellbunten Retrofuturismus vorgenommen und siedelt die Geschichte rund um eine Zusammenkunft jugendlicher Erfinder:innen an, die an einem W
an, die an einem Wettkampf in der (fiktiven) Wüstenstadt Asteroid City teilnehmen. Denn das Jahrzehnt, in dem mit Sputnik 2 die mit Hündin Laika „betierte“ Raumfahrt begann, steht für die Verbindung einer prall-bunten Anmut der Form (ob Auto, Cocktailshaker oder Bleistiftkleid) mit der Sehnsucht nach einer technisch hochmodernen Zukunft.Während die Kinder ihre Experimente aufbauen, ein Roadrunner vor dem Motel herumpickt, aus dem Nirgendwo eine Oldtimer-Verfolgungsjagd mit schießenden „Cops“ vorbeibrettert und irgendwann gar ein Alien landet, fächern Anderson und sein langjähriger Co-Drehbuchautor Roman Coppola einen bunten Strauß klassischer Anderson-Charaktere auf, allesamt „deadpan“: Da gibt es mit dem Kriegsfotografen Augie (Jason Schwartzman) einen etwas schrägen, mittelalten Mann, dessen Unfähigkeit, seinen vier Kindern die Wahrheit über ihre Mutter mitzuteilen, mit etwas Fantasie für die typische emotionale Verkümmerung der Männer seiner Zeit steht. Denn seine Kinder, ein pubertäres Augie-Abbild (Jake Ryan) sowie drei reizende, wie Shakespear’sche Hexen oder Tick, Trick und Track kollektiv sprechende kleine Töchter, wissen nichts von deren Tod.Wes Andersons Ästhetik ist zum Meme in den Sozialen Medien gewordenTom Hanks spielt Augies Schwiegervater Stanley in pastellfarbenen Westen und mit der großmäuligen Selbstsicherheit eines Selfmademans des Mittleren Westens. Scarlett Johansson gibt die eitle, alleinerziehende Schauspielerin Midge Campbell. Weitere beeindruckende Schauspielnamen (Tilda Swinton, Adrien Brody, Matt Dillon, Jeff Goldblum und andere) haben kleinere oder größere Nebenrollen – oder bevölkern eine zweite, schwarz-weiße Erzählebene, die Anderson als TV-Dokumentation einer Theaterproduktion umsetzt: Begleitet von einem Erzähler (Bryan Cranston) zeigt sie, wie sich ein Autor (Edward Norton) „Asteroid City“ samt seiner pittoresken Umgebung ausdenkt – und die Sequenzen mit Augie, Midge, Stanley und den anderen szenisch in die Schreibmaschine hackt.Es ist also ein elegant und lakonisch inszeniertes Retro-Ebenen-Spiel, dem Wes Anderson durch Kameraschwenks, bei denen man das Stativgelenk knatschen zu hören glaubt, editorische Kommentare und stetig rollende, trockene Punchlines nie das Artifizielle nimmt. Im Gegenteil: Asteroid City ist ein Fest der knalligen Künstlichkeit. Seine visuelle Wirkung überstrahlt alle anderen denkbaren Mitteilungs-, Inhalts- oder Interpretationslevel.Eingebetteter MedieninhaltDass dieser Künstlichkeit die nötige Emotionalität genau wie das genuine Interesse an der Figurenentwicklung oder an einer wie auch immer gearteten Botschaft einmal mehr komplett fehlt, hat zu einer interessanten Entwicklung geführt. Sie mündet in einen gerade noch aktuellen Anderson-Meme-Trend, bei dem Franchises wie Stars Wars oder Harry Potter einer „Wes-Andersonifizierung“ unterzogen werden. Mit KI-Hilfe erstellte Scarlett-Johansson- oder Bill-Murray-Gesichter werden für Fake-Trailer in eine pastellige Star-Wars-Umgebung gesetzt. Daneben stellen Tiktok-User:innen selbstgemachte Anderson-Momente ein und zeigen ihr schönstes Deadpan-Gesicht zu petrolfarbenen Woll-Jumpern und rosa Hosen.Vielleicht ungewollt unterstreichen diese Memes, was an vielen Anderson-Werken, auch an diesem, den Ennui befördert: Seine Filme sind reine Oberfläche, repetitive Unterhaltung, die über das Erzeugen von ein paar Lachern, ein paar nostalgischen Gefühlen und Referenzen und ein paar großartigen Bildern – etwa Hanks, Johansson und Schwartzman vor jener Martinimaschine, jede:r mit einer unterschiedlichen Anzahl leerer Martinigläser in der Hand – nicht hinauskommt. Die vielgescholtene Künstliche Intelligenz, von der Drehbuchautor:innen auf der ganzen Welt befürchten, dass sie ihnen die Jobs stehlen könnte – vielleicht nicht beim Verfassen, aber zumindest beim Überarbeiten –, kann anscheinend fast, wenn man sie richtig füttert, ebenjene Künstlichkeit produzieren, mit der Anderson erfolgreich die oft fehlende Tiefe seiner Drehbücher tarnt.Natürlich wird eine KI nie im Leben einen Film wie Asteroid City zustande bringen – dafür basieren Andersons Gags und Anspielungen zu sehr auf Humor, einer der komplexesten Intelligenzarten von allen. Doch das ist – zusammen mit dem Kinoerlebnis – im Moment fast das Einzige, was einen Film wie Asteroid City von seinen artifiziellen Epigonen unterscheidet.Immerhin: Augies Kinder, die irgendwann doch mit der traurigen Wahrheit über ihre Mutter konfrontiert werden müssen, entwickeln einigermaßen funktionierende Coping-Mechanismen, bei denen eine Tupperware-Dose eine Rolle spielt. Vielleicht ist auf psychologischer Ebene also doch nicht alles verloren.Placeholder infobox-1