Das Feigenblatt

Gastronomie Das Bio-Ei wirft einen Schatten auf den Rest des Menüs, findet unser Koch
Ausgabe 34/2019
Vor dem Bio-Ei war das Ei von glücklichen Hühnern. Die Schale bricht bei beiden gleich
Vor dem Bio-Ei war das Ei von glücklichen Hühnern. Die Schale bricht bei beiden gleich

Foto: Adam Berry/Getty Images

Hat die Gastronomie auf breiter Front ein neues Bewusstsein für die Herkunft ihrer Zutaten entwickelt? Könnte man meinen, denn ein neues Gericht schleicht sich in deutsche Speisekarten ein. Das Bioei, ganz simpel, aber gern mit Zusatz: gekocht, Bio-Rührei oder Bioei im Glas. Ich sehe das inzwischen auch öfter, meinen Blick dafür geschärft hat aber der Blogger Jörg Utecht (utecht.wordpress.com). Er ist ein großer Kenner von Restaurants in und um Köln, vor allem mittleren oder leicht gehobenen Niveaus, und ihm ist als erstes dieses neue Speisekartenphänomen aufgefallen. Immer wieder entdeckt er neues sprachliches Eieiei. Die Lokale mögen es, zu unterstreichen, was für eine exquisite Zutat sie da eingekauft haben. Ein schönes Fundstück: „Artischocken-Brot-Salat – Bioeigelb 66 Grad – Miso-Hollandaise und Walnuss“.

Beginnt damit die Revolution in den Speisekammern deutscher Gaststätten? Kommt als nächster Schritt auch Gemüse aus Ökolandbau oder sogar Biofleisch? Nun, bisher ist es so: Bio fängt auf den Karten mit dem Ei an und hört damit auch gleich wieder auf. Es bleibt meist eine Singularität. Und wirft eigentlich ein schlechtes Licht auf alles andere, was im Menü steht. Woraus das zubereitet wird, scheint dem Wirt egal zu sein – um beim obigen Rezeptbeispiel zu bleiben, allemal die Herkunft des Eigelbs in der Sauce Hollandaise.

Was könnte es rechtfertigen, da einen Unterschied zu machen? Der Verdacht ist angebracht: Vielen Lokalen reicht der Anschein. Das Bioei ersetzt das Biosiegel. Speisekarten spiegeln immer auch die allgemeinen Essgewohnheiten. Es handelt sich deswegen nicht nur um einen gastronomischen Fall von „punktuellem Greenwashing“, wie Utecht das Phänomen nennt. Was inzwischen schon einige Tradition hat. Vor dem Bioei war das „Ei von glücklichen Hühnern“ Man könnte aber auch sagen, es handele sich hier um eine Art Schwejksches Verhalten. Denn an Eier und ihre Herkunftsbezeichnung wird in Deutschland zweierlei Maß angelegt. Wandern sie nämlich in verarbeitete Lebensmittel, und das sind rund die Hälfte aller konsumierten Eier (immerhin durchschnittlich 235 pro Kopf), also Nudeln, Mayonnaise oder Kuchen, soll den Kunden nicht kümmern, ob sie bio sind, aus Boden- oder sogar Käfighaltung stammen. Eine Herkunftsbezeichnung steht auf den Packungen – bislang – nicht. Was also soll man tun als braver Bürger? Man fügt sich – und kauft im Supermarkt noch mehr Bioeier mit dem Null-Stempel, ich vermute, die meisten sogar im Wissen, dass sich Ablasskauf nicht mal im Jenseits rentiert.

Das Ei ist ein Lebensmittel, für das wir inzwischen ungefähr den gleichen Geschmack besitzen wie für Milch. Einer, der ohne ein Wort auskommt. Ei schmeckt eben nach Ei. Und höchstens Hühnerhalter oder Köche, die sich konzentriert mit dem Produkt auseinandersetzen, können sagen, dass es doch Unterschiede gibt – und das Ei viel über das Leben und die Henne erzählt. Frühjahrsgefühle spiegeln sich oft in größeren, fetteren Dottern, hat mir mal einer gesagt. Und: Erst ausgewachsene Hühner legen tatsächlich große Eier. Erst war ich überrascht, dann dachte ich: Ja, es handelt sich eben doch um das Produkt eines Lebewesens und nicht aus einer Maschine.

Würde es sich nicht lohnen, wenigstens einmal eine Produzentin der 19.000 Eier, die ich voraussichtlich bis zu meinem Lebensende gegessen haben werde, kennenzulernen? Es wäre ganz sicher besser als die Null auf der Schale oder auf der Restaurantkarte.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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