Neulich kam ich in ein Restaurant und sah, ich muss sofort wieder gehen. Die Tische waren leer, leichte Musik hallte unter der Decke. Nur am Tresen standen, fast wie auf dem berühmten Gemälde von Edward Hopper, drei junge Männer und hatten ihre würfelförmigen Rucksäcke auf den Barhockern geparkt.
Wussten Sie eigentlich, dass Edward Hopper auf seinen Gemälden oft Restaurantszenen abgebildet hat, nicht nur in Nighthawks von 1942, dabei aber ganz selten ein Teller zu sehen ist, geschweige denn etwas darauf? Beim Verlassen des Lokals befiel mich eine grauenhafte Vision. Die drei Männer waren Fahrradboten für zwei neuartige Restaurantlieferdienste. Bisher musste man ja meist selbst das Haus verlassen, um sich um die Ecke eine Pizza zu holen. Oder es kam der Sohn des Wirts, wenn man beim Inder bestellte. Die Idee von Deliveroo und Foodora ist, das Liefergeschäft abzukoppeln, mit so viel Restaurants wie möglich zusammenzuarbeiten, eine megalomane Speisekarte im Internet oder besser als Smartphone-App anzubieten und so praktisch jedes Gericht auf den heimischen Esstisch liefern zu können.
Premium Takeaway, so nennen sie das Konzept, und sie haben damit so viel Startkapital eingesammelt, dass die ganze Stadt, in meinem Fall Berlin, mit Werbeplakaten gepflastert ist. So ein Lieferdienst hat große Vorteile, zum Beispiel, wenn ein Paar oder eine Familie sich nicht darauf einigen kann, wohin man am Abend ausgeht. Dann bestellt Papa im Steak-Restaurant, Mama beim Italiener, die Tochter vegan und der Sohn beim Tex-Mex-Laden, Nachos extra. In meiner Vision sah ich Männer mit isolierten Würfelrucksäcken in sonst leeren Restaurants Schlange stehen und der Reihe nach an Haustüren klingeln. Und ich fragte mich: Wo zum Teufel soll ich in Zukunft essen? Muss ich mich doch in leere Restaurants setzen?
Restaurants sind schließlich nicht zum Essen da, vielleicht sogar am wenigsten. Aber das Essen ist es, was die verschiedensten Menschen zusammenführt, zum Reden bringt, ein kleines vorübergehendes Soziotop formt, das Erlebnis schafft, weil man etwas teilt: einen Tisch, einen Raum, die Bedienung, vielleicht sogar dasselbe Gericht. Für mich gehört das Miteinander so zum Genuss wie ein Wirt, der mit Leidenschaft erzählt, warum seine Fettuccine die besten der Welt sind. Darauf soll ich verzichten?
Neulich kam ich in ein anderes Restaurant, da waren die Lichter wie Spots nur auf den Tisch gerichtet. Die Gesichter der Gäste lagen im Dunkeln. Und die Bedienung konnte ich nur nach der Stimme orten. Man sollte nur das Essen sehen. Auch da kam mir der Gedanke: Werden Restaurants irgendwann mal nur noch Showrooms ihrer Speisekarte sein, so wie der Apple-Store? Halt. So weit ist es längst nicht. Es gibt ja noch ganz andere Bestell-Apps, nämlich für Restauranttische. Auch ich marschiere inzwischen nicht einfach mehr in ein Lokal, sondern mache auf Quandoo oder Opentable oft kurzfristig einen Tisch klar. In einer Großstadt wie Berlin ist das nötig, vor allem ums Wochenende herum. Die Reservierungswut ist immens, man kann jederzeit kostenlos stornieren.
Doch es gibt auch Wirte, die sich inzwischen beklagen, auf wie vielen reservierten Tischen sie sitzen bleiben. Was macht die Appisierung mit der Restaurantwelt? Mir werden Lokale immer lieber, die Reservierungen ablehnen und auch nicht außer Haus liefern. Ich hoffe, sie sind die Zukunft.
Kommentare 1
Sehr wohlgelungen gekocht, Jörn Kabisch. So locker und leicht, so gut geschrieben.
Nicht mehr lange und mit Hilfe von Biosensoren und deren Anregung, wird Ihnen und mir, -es sei denn, wir gehen mit vielen anderen LeidensgenossInnen in den Untergrund-, das Essen, nach Willen und Wahl, als komplette Vorstellung in die Rübe transponiert. - Bei Fahrenheit 451 kann eher gebruzzelt und gebraten, statt entflammt werden.
Wir sind dann gechippt, wir sehen es nicht, und unser vermeintlich freiheitlicher Voluntarismus, selbst bei den Grundbedürfnissen, produziert zu jeder Zeit einen Gedanken, der befriedigt und dann von unserem digitalen Konto abgebucht wird, sofern wir über Data-Coins verfügen.
Wir müssen nicht einmal mehr kauen und schauen, nicht mehr richen und schmecken, alles kommt vom "Überdienstleister" der Einbildung:
"Freund, Freundin, wir war dein Geschmackserlebnis? - Frag´ nicht so, ich bin doch in Reichweite deiner Hochfrequenzen. -Mach mich nicht an, ich verdaue gerade den Gedanken an dieses grauenhafte Risotto. Es liegt mir schwer im Hirn und mein Magen meldet, er wolle sich nicht mehr an die elektrochemischen Vorgaben des Zentralorgans halten. - Ach Liebster, ich weiß es doch. Komm lass´ uns gehen. - Gehen? Wie soll das noch gehen?"
Die Kalorien und wesentlichen Nahrungsstoffe kommen natürlich auch noch zu uns, in praktischen und unpraktischen Formen. Wann es dann dereinst mit dem materielosen Essen klappt und ob das nicht gegen die Grundprinzipien der Physik verstößt, klärt die Wissensredaktion.
Fest steht, dass wir mittlerweile von Dienstleistern für unsere eigenen und eigenartigen Gedanken zur Zahlung aufgefordert werden.
Gerade meldet sich mein Dienstleister und erklärt, ich hätte nicht ausreichend und köstlich genug, an die Ergänzung meines Flüssigkeitsbedarfs gedacht. Dafür gebe es nun eine zusätzliche Abbuchung und zudem sei ein Ordnungsgeld von der Behörde, wegen Gedankenkonsumverweigerung, nach Maßgabe meiner Möglichkeiten, fällig. Auch dieses müsste, ich spüre es, von meiner Zentraleinheit registriert worden sein.
Beste Grüße und nur weiter
Christoph Leusch