Essen von hinten

Der Koch Unser Kolumnist fragt sich, wie eine moderne Küche aussehen könnte
Ausgabe 38/2018
Das war einmal
Das war einmal

Foto: Imago/United Archives

Es fand in einer großen Wohnküche statt. Der Arbeitsbereich an einer Wandseite, davor stand ein Küchenblock von den Ausmaßen einer Tischtennisplatte, mit allem Pipapo: Induktionsherd, eingelassene Abzugslöcher, ein großer Spülbereich mit ausziehbarer Dusche und dazu ein Ofen mit Sous-vide-Funktion. In der Ecke stand ein zweiflügeliger Kühlschrank, der Crushed Ice und auch Eiswürfel ausspuckte.

Und das war nur das Ergebnis einer schnellen Inspektion. Ich kannte Silvia und Klaus, die Gastgeber, bisher nur lose und verbot mir, gleich an die Schränke zu gehen, die selbsteinziehenden Schubladen zu inspizieren oder einen Blick in den Ofen zu werfen.Leider geht mir inzwischen ein kleiner Ruf voraus, wenn ich zum Essen eingeladen bin. Ich will das nicht noch unterstützen, indem ich kontrollierend in die Töpfe schaue. Aber hier war ich in Versuchung.

An die Küche schlossen sich Essbereich und Sofalandschaft an. Wie in einer Einrichtungszeitschrift. Den Aperitif in der Hand, warf ich aus sicherer Entfernung neidische Blicke. Aber ich hätte es wissen müssen: Der ganze Raum roch klinisch steril, nicht einmal ein Kräutertöpfchen stand auf der glänzenden Arbeitsplatte aus Guss-Stein.

Dann erschien Silvia in einer Tür, auf dem Tablett kleine Terrinen mit Kürbissuppe. Das Essen begann, und auch für den Hauptgang verschwand sie wieder hinter der Tür und nahm das Geschirr gleich mit. „Wo wird denn hier gekocht?“, fragte ein anderer Gast. „Wir haben noch die alte Küche hinten im ehemaligen Hauswirtschaftsraum“, sagte Klaus. „Silvia kommt mit der hier nicht zurecht.“

Ich war kurz vor den Tränen. Kann das wirklich sein, dass sich Menschen Küchen im Wert eines Oberklasse-Autos leisten, dann aber mit ihnen umgehen wie mit einem Ferrari, der bis auf ein paar Tage im Jahr in der Garage steht?

Nach dem Nachtisch besuchte ich Silvia in ihrer heimeligen, gut gealterten Einbauküche an drei Wänden, Schränke bis zur Decke, so gehalten, dass man beim Kochen alles griffbereit hat. Mehr als ein, zwei Ausfallschritte sind nicht nötig. Die klassische Frankfurter Küche, wie sie in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entworfen wurde. Ein Designklassiker der Hausfrauenzeit.

Die Gastgeberin erzählte, in der anderen Küche all die vielen Flächen wieder sauber zu machen, die Utensilien in unübersichtlich viele Fächer einzuordnen und sich dabei ständig um den Küchenblock bewegen zu müssen, das sei doch alles viel zu umständlich. Und dann noch die Gerüche im Wohnzimmer … Aber nein, sie wolle auf die zweite Küche nicht verzichten, sie sei so schön ordentlich anzuschauen.

Ich dachte: Das kommt davon, wenn Küchen in Katalogen und Einrichtungszeitschriften als chrom-, glas- und lackblitzende Stillleben inszeniert werden. Als völlig unsinnliche Konjunktive ihrer selbst. Gibt es Menschen, die eigentlich nur die Möglichkeitsform dafür in ihren vier Wänden haben wollen, Essen selbst zuzubereiten? Die dafür dann aber viermal so viel Geld ausgeben wie für eine handhabbare Einrichtung, quasi als Ablass? Was für eine traurige Vorstellung.

Wie könnte dagegen eine moderne Küche aussehen, in der nicht nur einer aus der Familie, vorzugsweise die Mutter, kocht, sondern alle, gemeinsam oder auch jeder nach seinen Ernährungsvorlieben? Meine erste Idee ist eine Ansiedlung von Kochinseln: mehrere Würfel mit integriertem Herd und Spüle.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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