Mitleid mit Alleinessern?

Der Koch Immer mehr Menschen speisen im Restaurant alleine. Nun reagiert die Gastronomie darauf - und Robert Redford bekundet sein Mitgefühl
Ausgabe 04/2014
Mitleid mit Alleinessern?

Illustration: Otto

Alleinesser: Das klingt wie Hautwechsler. Als könnte es eines der vielen Völker von Mittelerde sein, des Universums von J.R.R. Tolkien, das nicht nur von Trollen, Elben und Zwergen besiedelt ist, sondern auch von Puckelmännern, Ostlingen und Baumhirten. Sie merken – ich war die vergangenen Tage viel im Kino. Die Hautwechsler, Menschen, die sich von Zeit zu Zeit in furchterregende Bären verwandeln können, sind die einsamste Spezies in der Welt der Hobbits und fast ausgestorben: Höchst bedauernswerte Geschöpfe. Und Alleinesser könnten ihre Verwandten sein.

Wenigstens denkt man das, wenn man hört, dass Robert Redford, der eben als Darsteller eines Alleinseglers von sich reden macht, großes Mitleid mit Alleinessern hat. Zusehen, wie Menschen im Restaurant allein am Tisch sitzen, das „bringt mich um“, hat der Schauspieler einer Hollywood-Illustrierten gesagt und erzählt, dass er auch schon mal einen Alleinesser an seinen Tisch gebeten hat. Das anschließende Gespräch allerdings entwickelte sich zum Desaster.

Sind Alleinesser also eine sonderbare, bedürftige Klasse? Eine, die mit ihrem Schweigen in die geschwätzigen, geselligen Räume der Gastfreundschaft einbricht? Wesen, deren Nonkonformität uns wie ein Zeichen sozialer Inkompetenz erscheint? Oder gar als Affront?

Tatsache ist: Die Alleinesser werden immer mehr. Familien werden kleiner, Single-Haushalte nehmen zu, das soziale Leben wandert ins Netz. Und diese Entwicklung produziert auch mehr einsame Esser. Menschen, die keine natürlichen Tischgenossen haben. Und zwar so viele, dass sie inzwischen schon als eigene gastronomische Zielgruppe identifiziert werden.

Restaurant für einsame Münder

In Amsterdam gibt es seit Kurzem ein Restaurant, das sich nur an Alleinesser wendet. Es heißt „Eenmaal“, und im Gastraum stehen kleine Tische mit jeweils einem Stuhl davor. Hier ist gewollt, was woanders scheele Blicke fängt: das Solo-Dinner. Es ist natürlich mehr ein soziales als ein kulinarisches Experiment. Aber Gäste berichten, sie hätten in dem Lokal nach einer anfänglichen Eingewöhnungsphase einen angenehmen Abend verbracht. Sie spürten, dass auch Einsamkeit Luxus sein kann. Die geteilte Stille habe ihnen geholfen, sich auf die Gerichte zu konzentrieren. Und zu genießen. Vor allem digitale Nomaden – ja, noch so ein komisches neues Volk – sind von dem Konzept begeistert. Es handelt sich dabei meist um junge Geschäftsreisende, die irgendwas mit Medien machen und ihre sozialen Aktivitäten fast ausnahmslos in ihr Smartphone oder Tablet oder beides gepackt haben.

Noch ist das Amsterdamer Lokal mit seinen Einzelplätzen ein Unikum. Gegenläufige Projekte gibt es dafür massenhaft, vor allem in Großstädten. Da sind die Supperclubs – eine Art gastronomisches Blogging – ursprünglich aus dem Wunsch geboren, einmal ein Restaurant zu führen, und wenn es nur an einem Abend in der eigenen Wohnung ist. Und alle möglichen Mitesszentralen nach dem Prinzip, im Internet ein paar freie Plätze am Abendessenstisch zu annoncieren – oder sogar gemeinsam zu kochen. Diese kulinarische Off-Szene existiert vor allem, weil es immer mehr Alleinesser gibt. Hier entstehen Orte mit niedrigeren Hemmschwellen, um mit Fremden ins Gespräch zu kommen.

Eine hochinteressante, wachsende Bewegung. Ich frage mich, was sie über die eingesessene Gastronomie aussagt, deren erster Zweck nie Essen und Trinken allein war, sondern vor allem die Pflege der Gastlichkeit. Hat sie da etwas verpasst? Oder wird es bald auch Restaurants nur für einsame Münder geben, mit langen Tafeln? Und aus dem Inneren schallt lautes Tischgespräch. Es würde wahrscheinlich nicht nur Robert Redford freuen.



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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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