Nimm mich, Miso, verwöhne mein mürbes Fleisch

Der Koch Unser Kolumnist entwickelt zu manchen Zutaten ein pathologisches Verhältnis
Ausgabe 07/2019
Sieht von Nahem kaum besser aus als Schimmel, ist streng genommen auch nichts Anderes: Miso
Sieht von Nahem kaum besser aus als Schimmel, ist streng genommen auch nichts Anderes: Miso

Foto: Sinhyu/Getty Images

Es gibt eine Kategorie namens notorische Zutaten. Wenn ich zurückdenke, dann gehören dazu Kapern, Rauchpaprika, Knoblauch, Ketchup und Sahne. Es gibt Phasen, da hält man ein Gericht, fast egal welches, für nicht komplett, wenn es nicht auch noch diese Zutat enthält. In Desserts heißt die Chefnotorikerin übrigens Vanille.

Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Kategorie. Die Stadien unserer Beziehung sind immer dieselben: erst heiße Liebe, darauf folgt ein langes Abhängigkeitsverhältnis, eine regelrechte Binge-Nutzung, die ganz unappetitliche Folgen haben kann. Man versucht sich die große Prise Rauchpaprika auf dem Apfelmus zu den Reibekuchen schönzureden oder die Kapern, die, wenn man ehrlich ist, vor allem in der Menge nicht in das indische Süßkartoffel-Curry passen. Irgendwann realisiere ich dann, dass ich mich entwöhnen muss. Was mich erst einmal auf die Suche nach einer Ersatzdroge gehen lässt. Dabei macht beim Essen ja eigentlich doch den eigentlichen Rausch der multiple Substanzgebrauch, der Mischkonsum.

Dass es mir mit Miso auch einmal so gehen würde, hätte ich nie erwartet.

Aber es passierte dann doch. Jahrelang hatte ich die Tüten mit der Sojapaste im Kühlschrank, nur immer mal wieder brauchte ich einen Löffel davon, für Miso-Suppe oder Miso-Butter, die ich an grünem Spargel liebe. Oder auch, um einen Streifen davon auf einen Teller zu streichen, als Unterlage für ein Steak. So habe ich das vor ein paar Jahren mal bei Tim Raue gegessen und ziehe das jeder Kräuterbutter vor.

Jetzt waren die Tüten aber lange abgelaufen, ich wollte sie eigentlich schon wegwerfen, entschied aber dann, mir ein Rezept zu überlegen, mit dem ich die Reste mit einem Mal aufbrauchen konnte. Ich besorgte ein großes Stück Rinderbrust, schnitt ein paar Zwiebeln klein und briet die Zutaten in einem Schmortopf an. Dann verdünnte ich das Miso mit etwas Wasser, löschte damit den Bratensatz ab und stellte den Topf zum Schmoren bei kleiner Hitze, etwa 120 Grad, in den Ofen. Kein Wein, kein weiteres Gemüse, keine Kräuter, noch ein paar Körner Szechuanpfeffer gab ich dazu, ganz simpel.

Vielleicht war das Problem, dass ich wegen der großen Menge Miso auch über zwei Kilo Fleisch gekauft hatte. Als ich den Topf öffnete, hatte sich die Rinderbrust in einer herrlich mürbes Stück Fleisch verwandelt, es zerfiel fast und lag in einer dunkelbraunen, glänzenden Sauce. Der Duft war betörend und der Geschmack trotz der Begrenztheit der Zutaten überraschend vielschichtig. Ich servierte mein Miso-Rind mit Reis und einem japanisch inspirierten Gurkensalat und war glücklich, dass der Topf trotzdem noch voll war. Am nächsten Tag legte ich Rosinen in Apfelessig ein und gab es zu einem Teil der Sauce. Auf dem Teller lag eine neue Dimension von Sauerbraten. Als Nächstes füllte ich Ravioli, und immer noch war ein Rest im Topf. Mit Rauchpaprika und Sauerkraut verwandelte der sich noch zu einem Szegediner Gulasch.

Kein Wunder, dass das so köstlich ist, sagen Sie? Stimmt. Für Miso werden Sojabohnen und Getreide, meist Reis und Gerste, miteinander vergoren, ähnlich wie bei der Sojasaucenherstellung. Die Paste ist eine natürliche Glutamatbombe, wie Maggi, schmeckt fleischig-herzhaft, obwohl vegetarisch. Ich habe mir Miso nachgekauft, aber erst einmal auf das sehr gelobte Buch Miso von Claudia Zaltenbach verzichtet (Hädecke Verlag). Wahrscheinlich verwendet sie Miso auch für die Nachspeise.

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Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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