Sommer, Phase drei

Der Koch Wenn das Steinobst reift, werde ich zum Kind. Gerade ist Aprikosenkernspuckzeit
Ausgabe 31/2018
Kirschkerne sind gut fürs Training. Aprikosenkerne aber sind die perfekten Spuckobjekte
Kirschkerne sind gut fürs Training. Aprikosenkerne aber sind die perfekten Spuckobjekte

Foto: Xinhua/Imago

Man kann den Hochsommer in drei Phasen einteilen. Erst kommt das Kirschkernspucken, dann das Aprikosenkernspucken, und schließlich, schon im Übergang zum Spätsommer, das Pflaumenkernspucken. Ganz genau: das Weitspucken. Für mich gehört das zum Sommer mindestens genauso wie Eiscreme oder der schwimmbadliche Chlorgeschmack in der Nase.

Und so werde ich, wenn das Steinobst reif wird, manchmal wieder zum Kind. Ich gebe zu, es waren die harten Kerne, die mir die süßen, weichen Früchte damals überhaupt eröffneten.

Gerade ist Aprikosenkernspuckzeit. Sie dauert nur etwa drei Wochen, weil das Obst im Vergleich nur eine kurze Saison hat. Früher konnte ich mit Kirschkernen in Massen und lange trainieren, war vorbereitet für die kurze Periode, wenn die Aprikosenkerne von der Frucht befreit auf der Zunge lagen. Es sind die perfekten Spuckobjekte, die Pflaumenkerne danach sind dick und schwer und fliegen nicht weit.

Die Aprikose hat aber noch weit größere Qualitäten. Sie macht aus sich ein großes Geheimnis. Die Frucht reift von innen, und deshalb hilft kein Drücken, um herauszufinden, ob sie nun genau am richtigen Punkt ist. Das Innerste der Aprikose ist immer am weichesten, deshalb hilft nichts, man muss sie aufbrechen, um nachzusehen. Und hat dann vielleicht ein Exemplar vor sich, dem man wünscht, es hätte ein paar Tage länger im Obstkorb verbracht. Es gibt für dieses Problem eine Lösung. Man kauft Aprikosen en gros. Dann kann man sich jeden Tag an den perfekten Reifepunkt heranprobieren. Außerdem hat man Gelegenheit, mit dem Obst zu kochen. Die lasse ich mir nie entgehen.

Aprikosen bringen feine Eleganz in viele Gerichte. Sie haben kaum Säure, dafür aber ein blumiges, leicht würziges Aroma. Das eignet sich für vieles, aber nicht für alles. Getrocknete Aprikosen mit Speck zu umwickeln und im Ofen zu Backen, gehört dazu. Backpflaumen haben der fetten, rauchigen Salzigkeit mehr entgegenzusetzen.

Trotzdem passen Aprikosen zu Schwein. Ein paar Früchte in Würfel geschnitten mit in die Pfanne gegeben, machen aus einem schnöden Kotelett eine aristokratische Angelegenheit. Man kann aus ihnen mit Zwiebeln und Rosmarin auch ein feines Relish kochen, das passt ebenfalls zu Schwein oder Huhn. Noch lieber gebe ich frische Aprikosen, fein gewürfelt, der Farbe und des Geschmacks wegen ins Taboulé, den Couscous-Salat aus der libanesischen Küche. Zusammen mit Minze und Petersilie bekommt das Gericht die Anmutung einer Blumenwiese.

Und natürlich geht nichts über selbst gemachte Konfitüre, die nicht so quietschsüß daherkommt wie so viele aus dem Supermarkt. Ich nehme 3:1-Zucker, und davon eher weniger, als auf der Packung steht, außerdem gebe ich ein paar Fäden Safran in den Topf. Das macht die Konfitüre zu einem für meine Zunge orientalischen Vergnügen. Die Aprikose hat aber noch ein weiteres Geheimnis. Hämmert man den harten Kern auf, gibt er eine Mandel frei. Sie ist der Ausgangsstoff für Persipan, die arme kleine, etwas herbere Schwester des Marzipans: In meinen Augen ist sie das völlig zu Unrecht.

Die Kerne sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, sie können viel giftige Blausäure enthalten. In meiner Küche steht dafür immer ein Glas Aprikosenkernmus, dem vertraue ich. Mit etwas Zitronensaft und Joghurt angerührt entsteht eine Sauce, die auf Ofengemüse passt oder auch einen sommerlichen Salat mit Hühnerstreifen.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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