Brief an Magda“Ost- West- Trotz!“. Ressource der „Unregierbaren"

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Brief an Magda“Ost- , West- Trotz!“. eine Ressource der „Unregierbaren.

„Ost- wie West- Trotz!“. ist eine nachhaltige gesellschaftspolitische Ressource der „Unregierbaren“ in Zeiten rabiaten Durchregierens.

Liebe Magda,

angerührt und angeregt von Deinem Beitrag :
www.freitag.de/community/blogs/magda/ostdeutscher-selbsthass-nein-ostdeutscher-furor

begründe ich hiermit ein neues Freitags- Community- Format:
“Den Freitag Brief von Blog- Beitrag zu Blog- Beitrag“.

Los geht es:

Liebe Magda,

Hans-Ulrich Wehlers DDR-Sicht finde ich, wie Du, wenig hilfreich, Debatten über die jüngere Geschichte umsichtig wie generationsübergreifend anzustossen.
Debatten brauchen Adressaten, wr diese sich weigert zu benennen, offenbart welch verkümmerten Geistes Kind er bis auf Weiteres zu bleiben gedenkt.

Deutsche Gedanken- und Erinnerungslandschaften in Familien, Dörfern, Stadtteilen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden, Unternehmen, Stiftungen sind mir eine Blackbox mit sieben Siegeln.

So ist in dem Buch von Willy Brandt „Erinnerungen“, Propyläen, 1989/90 für mich bisher nicht erklärbar, kein Hinweis auf dessen langjährigen politischen wie privaten Gefährten und Mitstreiter in der Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition Günter Gaus zu finden.

Jakob Augstein hat sich in einem Gespräch mit Alexander Kluge, das Du in Deinem Beitrag erwähnst, cool bei der Frage nach dem „ostdeutschen Furor“ heruntergedimmt, fast wie ein Fuchs in Dauerlauer totgestellt, als wollte er den deutsch- deutsch engagierten, historisch bewanderten wie versierten Alexander Kluge technisch unterlaufend signalisieren:
“Das ist doch alles schön, aber leider, leider von Gestern!“.

Streitbare Geister klingen anders, neigen mehr zu raumgreifenden Gesten, auch wenn Jakob Augstein, sich ganz senen Ahnen zugewandt, als „Sreithahn“ bekennt.

Es blieb zwischen beiden Geprächspartnern im Sender Sat 1 für Momente still und roch doch nach Schnappatmung, weil Jakob Augstein leger „gemittet“ den Denker in sich verschattet vielsagend andeutete, ohne sein Gegenüber an seinen Gedanken teilhaben zu lassen.

Was will ich Dir mit meiner kleinen Erzählung sagen?

Ich will Dir sagen, es geht eher um Personen, ihre Beziehungen, Netzwerke, fern von gesellschaflichen Systemen, egal wo diese Personen leben, gelebt haben, ob in Ost, West, Nord, Süd in deutschen Landen.

Diese Erfahrung habe ich selber zu meinem anfänglich überraschten Erstaunen mit Gefühlen der Enttäuschungen wie mühselig lernender Niedergeschlagenheit nach dem Mauerfall von Berlin am 09. November 89 zur Jahreswende 89/90 gemacht.

Plötzlich war ich, wie viele liebe und weniger liebe Menschen auf mich zurückgeworfen, weil der alte System- Ärger, an dem ich mich alltäglich munter aufzurichten wußte, scheinbar in Wohlgefallen der Mauerfall Ereignisse verflogen, ohne für mich das eigentlich dazugehörig robuste Gefühl von Wohlbehagen bereitzuhalten.

Die Ost- Westblöcke waren 1989/90 im NU, wie kalter Kaffee passe und weg. Es blieb mir ein Phantomschmerz, vereinigt zum neuen „Reichsdeutschen“ wollte ich aber, bundesdeutsch aufgewachsen, trotzdem nicht sein.

Im September 1989 hörte ich einen Polen auf einer Podiumsdiskussion mit Konrad Weiss in einer Pankower Kirche sagen:

“Wir haben nichts gegen eine deutsche Einheit, nicht weil wir die Deutchen lieben, sondern weil wir eine Grenze mit der EU haben wollen und nicht mit der DDR!“
Der Gast aus Polen sagte das,
ohne auch nur ein Wort über die ausstehende Anerkennung der Oder- Neisse Grenze durch die CDU/CSU zu verlieren.

Ich war perplex und fühlte mich selbst, in der mir vertrauten Gegenwart meiner Freundin in Pankow, vorübergehend von allen guten Friedens- Geistern verlassen, zutiefst in mentalen Unschärfen versunken, allein.

Plötzlich merkte ich mehr und mehr, dass ich ganz persönliche Probleme im Umgang, der Wahrnehmung meiner Wirklichkeit hatte und habe, wie andere Menschen auch, diese nicht mehr in Symptomen auf gesellschaftliche Systeme, ihre Bekämpung, wie den Kampf für bessere Verhältnisse verschieben konnte und kann.

Ich war nach dem November 89 fundamental gegroundet, entschleunigt, gleichzeitig auf der Bremse, wie auf dem Gas- Pedal stehend und darin in bemerkenswerter Weise mehr Ossi denn Wesssi als meine intelligent sortierte, wie schöne Pankower Freundin.

Irgendetwas war mit mir und meiner Welt in mir und außen nicht stimmig.

Gibt es so etwas wie Phantomschmerz im privaten wie gesellschaftlichen Lebenslagen?, wenn man/frau Bilder von Wirklichkeiten in und über die der DDR, wie in und über die BRD für die Wirklichket gehalten hat? diese Bilder sich vor der Zeit rasend unsichtbar, unauffindbar, unerhaltbar in ihre Bestandteile auflösen?

Ist es dieser Phantomschmerz, der als Krücke taugt , die einen in Blüten der Ostalgie wie Westalgie treibt und andere in Gefühlen der Ohnmacht und Ratlosigkeit in deren rigide Bekämpfung verharren läßt?

Phantomschmerz als Krücke, die in haltlosen Wirklichkeiten noch Halt bietet wie der Pfahl der sagenumwobenen Freitags- Rotlicht- Laterne?

Ist es immer noch für viele Menschen, in Ost, West, Nord, Süd leichter, von vermeintlichen und wirklichen Konfliktgedrängen, Gemengelagen in politischen Landschaften kenntnisreich wie frei von Kenntnissen zu schwadronieren, als die Menschen in ihrem Ringen im Alltag, ihrer Not, wie ihrer Freude, ihrem Glück, wie Unglück, Erfolg, wie Misserfolg, ihren Wahrheiten, wie Irrtümern wahrnehmend zu ertragen?

In der DDR habe ich vor 1989 nicht selten auf Reisen erlebt, in was für „besseren“ Verhältnissen Bürger/innen der DDR lebten als ich es je erfahren, erhoffen wollte noch konnte, ohne dass diese liebenswerten DDR- Bürger/innen davon auch nur eine Vorstellung hatten, außer einer „Exotischen“ des „So als ob arm dran sein zu wollen“.

Damals dachte ich gewogen:
“Ach!, die haben es sich aber auch nett eingerichtet, sei es z. B. gemäß hochpreisiger IKEA Intershop, Excquisite Gestattungsproduktion“,

während ich noch in Studenten/innen WGs in edlem Sperrmüll, samt Java- Orangen- Kisten als Bücherborden hauste.

Später nach der Wende spürte ich erst, dass mich von diesem „Schöner Wohnen, Schöner Leben- Wollen“, in den neuen Bundesländern ohne Vorwürfe Welten im Streben & Trachten trennten, die ich aus der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren eher beiläufig, denn bekennend ohnhin gemieden hatte.

Wenn von Ost.- wie West- Trotz nach zwanzig Jahren deutsche Einheit die Rede ist, werde ich hellhörig.
Ost.- wie West- Trotz klingt immer noch nach der verlässlichen Angebots- Palette:
„Geh doch nach drüben!“ oder
„Warte nur bis der Genosse ABV kommt!“
Du frecher Rotz mit deinem Ost- wie West- Trotz!“.

Dabei denke ich der „Ost- wie West- Trotz!“. ist eine nachhaltige gesellschaftspolitische wie private Ressource der „Unregierbaren“ in Zeiten brachialer Kampagnen des Durchregierens.

Der „Ost- wie West- Trotz!“ ist wie das gemeinsam gesamtdeutsche, europäische, globale Standby- Gefühl der 67er, 68er , 89er und ihrer nachwachsenden Anhänger/innen, die blockübergreifend, grenzüberschreitend per:

Glasnost, Perestroika „Yes!, we can!“ das Eis des Kalten Krieges zum Schmelzen gebracht.

Der „Ost- wie West- Trotz!“ ist insofern als Grundsee deutscher wie europäischer Tugenden zu identifizieren, dessen Umdeutungsversuche ins marginal Kindische uns solidarisch in Ost wie West, Nord wie Süd gelassen vorfinden sollte:
„Die Hunde bellen, die Karawane des „Ost- wie West- Trotz!“ zieht „Lach Fragen herbei!“ einfach unaufhaltsam weiter.

Hat Selbsthass nicht Erfahrungen von Gewalt, Übergriffen, Unterlassungen, anklagenden, abwertenden Gedanken, Meinungen in Familien, Parteien, Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften, Stiftungen, Vereinen, Bundeswehr, Betrieben, Kitas, Schulen, Hochschulen, Gesellschaften zur Vorraussetzung?

Das ist ein weites Feld, das ich ein anderes Mal versucht bin, zu beackern.

tschüss
JP
-furor

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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