Das Buch Bleibefreiheit der Philosophin Eva von Redecker erfordert Durchhaltewillen – sozusagen den Willen zum Dran-Bleiben. Der Verlag verspricht auf der Webseite zum Buch einen „radikal neuen Freiheitsbegriff“ – da will man natürlich wissen, was es damit auf sich hat. Zum Bleiben soll der Mensch sich befreien, nicht mehr zum Aufbruch, nicht mehr zum Reisen, nicht zum Ressourcenverbrauch. Das klingt einerseits sehr ökologisch und antikapitalistisch, andererseits aber auch anachronistisch: Ist nicht gerade jetzt viel Aufbruch und Veränderung nötig, damit es überhaupt noch Plätze zum Bleiben geben kann? Und wird nicht gerade von vielen gefordert, nicht da zu bleiben, wo sie sind, nicht in ihren Einfamilienhäusern, nicht in ihren Aut
Autos, mit denen sie sich nur im kleinsten Radius bewegen?Von Redecker hat natürlich andere Beispiele fürs Bleiben und fürs Verreisen, die besser zu ihrer Idee einer notwendigen Bleibefreiheit passen. Dennoch merkt sie schon auf den ersten Seiten ihres Buchs, dass ihr Begriff paradox ist, denn das Bleiben ist nur Ausdruck der Freiheit, wenn man auch gehen könnte, und der Moment, in dem der Autorin zum ersten Mal das Wort „Bleibefreiheit“ in den Sinn kam, war gerade kein Freiheitserlebnis, denn eigentlich wollte sie in die USA fliegen, wurde aber wegen Corona daran gehindert.Mit schönen metaphorischen Begriffen ist es eben oft so: Sie klingen zunächst verlockend, bringen auf eine Spur, aber dann haben sie irgendwann ihren Zweck erfüllt, und man merkt, dass sie eigentlich nicht wirklich für das taugen, was man sagen will. Nun mag es sein, dass so ein scheinbar paradoxes Wort wie „Bleibefreiheit“ sich auf dem Cover eines Buchs in der Aufmerksamkeitsökonomie gut eignet, um den Titel bekannt zu machen, also mag man sich davon nicht trennen. Das tut der Sache, der Idee, die von Redecker entwickeln will, aber nicht gut, denn man meint bis zum Ende, dass es doch etwas mit Freiheit und mit dem Bleiben zu tun haben muss, was da als neue Lebensmaxime entwickelt werden soll.Denn eigentlich geht es nicht darum, an einem Ort zu bleiben. Die Philosophin behauptet nämlich, dass der Freiheitsbegriff überhaupt vom Ort, von der räumlichen Dimension getrennt werden müsse, dass es auf ein zeitliches Freiheitsverständnis ankomme. Bisher, so sagt sie, sei Freiheit immer räumlich verstanden worden, sie müsse aber in ihrer Zeitlichkeit gesehen werden. Aber hat freies Handeln nicht immer sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Dimension? Ist Freiheitserleben nicht schon immer an Zeiten gebunden, in denen man sich als frei empfindet? Ist es nicht immer die Frei-Zeit, in der man sich einen Frei-Raum schafft?Die Zyklen der WiederkehrAber es stellt sich heraus, dass es auf die Zeitlichkeit, sozusagen auf die Dauer oder den Zeitraum, in dem man frei ist, doch nicht ankommt. Ein Zeitstrahl-Denken, das Abschnitte der Freiheit zu verlängern sucht, ist nicht die Freiheit, die die Philosophin sucht. Und endlich gelangt man, wenn man viele Seitenwege, die sich im Nichts verlaufen, mitgegangen ist, zu dem Konzept, auf das man so lange gewartet hat und das tatsächlich das Zeug zu einem neuen, nachhaltigen Weltverstehen und Weltumgang hat: die Gezeiten, die verschiedenen ineinander verschlungenen Zyklen der Wiederkehr (auch etwas, was weder auf Zeit noch auf Raum verzichten kann) und der Regeneration, in denen auch der Mensch immer wieder einen neuen Anfang finden kann, in die er sich immer wieder neu integrieren kann und mit denen wir behutsamer, vorsichtiger umgehen sollten, als wir es bisher tun.Das klingt, als sei es nicht viel, und man würde sich tatsächlich wünschen, dass die Autorin diesen Gedanken für das Ökonomische, das Politische, das Gesellschaftliche und das Zwischenmenschliche konkreter ausformuliert, anstatt sich am Ende im Mystisch-Metaphorischen zu verlieren. Was das Ganze zuletzt noch mit Freiheit zu tun hat, bleibt offen – aber gerade darauf wäre es angekommen.