Es ist merkwürdig: Niemand will auf den Begriff der Freiheit verzichten. Alle, die politische Ziele verfolgen, tun dies im Namen der echten, wahren und langfristigen Freiheit. Selbst in der DDR wurde das Wort groß im Munde geführt, immerhin ging es um die Befreiung der Arbeiterklasse. Eine jährliche Rundfunksendung hieß Dem Frieden die Freiheit.
Nur versteht jeder, entsprechend seinen Zielen, etwas anderes darunter. Es gibt die Reisefreiheit, die positive und die negative Freiheit, die Wahlfreiheit, und nun formulierte die Philosophin Eva von Redecker einen „radikal neuen Freiheitsbegriff“ – die „Bleibefreiheit“. „Freiheit ist das Einzige, was zählt“, sang Westernhagen ausgerechnet, als die Mauer fiel, und Konstantin We
220;. „Freiheit ist das Einzige, was zählt“, sang Westernhagen ausgerechnet, als die Mauer fiel, und Konstantin Wecker ließ seinen Willy rufen: „Freiheit, das heißt, keine Angst haben. Vor nix und niemandem.“Kollektiv oder SportwagenWie kann es sein, dass alle von Freiheit reden und wahre Freiheit versprechen, auch wenn sie ganz verschiedene, oft entgegengesetzte Programme haben? Warum sagt niemand: „Freiheit, das ist eigentlich eine Nebensache“?Es muss das Gefühl von Freiheit sein, das wir manchmal empfinden und das uns glücklich und zufrieden macht, was diesem Wort so einen großen Wert verleiht. Wir müssen also zunächst mal nicht einfach fragen, was Freiheit ist und wie sie garantiert wird, sondern, wie sie sich anfühlt. Wie ist es, frei zu sein? Ein Vorschlag wäre: Freiheit ist das Gefühl, dass mein Leben gerade jetzt genau so ist, wie ich es mir wünsche, verbunden mit der Gewissheit, dass ich selbst es bin, der diese Situation in der Hand hat, der, bei allen Grenzen, die mir gesetzt sind, diesen Moment herbeigeführt und nun unter Kontrolle hat.Ein solches Gefühl kann für verschiedene Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen eintreten. Die eine mag es empfinden, wenn sie in einem Kollektiv an einem großen politischen Ziel arbeitet, der andere, wenn er in einem Sportwagen mit 200 Kilometern pro Stunde über die Autobahn rast. Ist es also völlig beliebig, was wir als Freiheit empfinden? Keineswegs.Im Kapitalistismus sind wir selten freiEinerseits wird das Gefühl von Freiheit bei den meisten Menschen durch das Gewissen beschränkt. Wenn mein Freiheitshandeln mit meinem Gewissen in Konflikt gerät, wird der Genuss getrübt. Zudem, und vielleicht noch gravierender, kann das Freiheitsgefühl entwertet werden, wenn es sich als Täuschung erweist: Wenn ich merke, dass ich mir nur eingebildet habe, etwas gewollt zu haben. Oder wenn ich mich gar darüber täuschte, wie die Situation, die ich so grandios fand, wirklich war – dann ist der große Genuss ein für alle Mal verflogen.Wer meint, aus eigenem Antrieb für eine gute Sache zu kämpfen, dann aber merkt, dass alles auf Lügen und Betrug basierte, wird nie wieder sagen, dass er in jenem Kampf ein freier Mensch war. Und wer bemerkt, dass der wunderbare Rausch, der Kick des Konsums, nur Ergebnis einer langfristigen Manipulation von Begierden und Wünschen war, wird die rasende Fahrt nicht mehr den Inbegriff von Freiheit nennen können. Das Gefühl der Freiheit muss sich also der kritischen Reflexion stellen.Der Traum vom AussteigerlebenIn der kapitalistischen Gesellschaft sind wir deshalb selten frei, weil die meisten unserer großen Träume von Freiheit am Ende nur Produkte ständiger Bedürfnismanipulation und -erzeugung sind. Wir sind so sehr darin gefangen, dass wir uns kaum Alternativen vorstellen können. Sogar der Traum vom Aussteigerleben entpuppt sich als medial längst vorstrukturiertes Märchen. Die Reflexion über diese Verstricktheit kann in die Empfindung einer Leere führen, die man scheut – und die man rasch wieder mit Konsum oder leicht zu habender Aktion füllt.Freiheitsdrang heißt also: die Vortäuschungen von Freiheit erkennen und sich dagegen zur Wehr setzen, ob es sich nun um ideologische Märchen, politischen Schwindel oder um die permanenten und penetranten Suggestionen der Konsumgesellschaft handelt – und zugleich nach Möglichkeiten für freies Handeln suchen, die ein späteres Ich nicht bereuen wird. Das bleibt natürlich ungewiss, zuverlässig kann man Freiheit nicht erreichen. Wer sie zu besitzen meint, ist vielleicht am weitesten von wirklicher Freiheit entfernt. Wer sie immer wieder sucht, bekommt wenigstens ein Gefühl davon, wie es ist, frei zu sein.