Wochenlang hat der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) die Republik in Rage versetzt. Ihr Vorsitzender Claus Weselsky musste sich „Egomane“, „meistgehasster Deutscher“ und „sächsischer Wüterich“ heißen lassen – von Journalisten, die es meist nicht mal für nötig hielten, ihrem Publikum mitzuteilen, worum es bei diesem Konflikt überhaupt ging. Twitter-User wollten Weselsky wahlweise „teeren und federn“ oder zur Transsibirischen Eisenbahn versetzen. DB-Manager, die sich während der Corona-Pandemie selbst eine zehnprozentige Erhöhung der Bezüge genehmigen wollten, glaubten tatsächlich, sie könnten den Konflikt mit Scheinangeboten, „friendly fire“ eines Großteils der Medien und Flankenschutz durch eine zahme Hausgewerkschaft aussitzen.
Sie haben sich alle geirrt. Die GDL hat auf ganzer Linie gesiegt. „Die Rente ist sicher“, zitiert ein gutgelaunter Claus Weselsky einen früheren Arbeitsminister. Denn die von der Bahn angestrebte Kürzung der Betriebsrenten war der zentrale Streitpunkt dieser Tarifauseinandersetzung, auch wenn das in der Berichterstattung eher unterging. Diese Kürzung ist komplett vom Tisch – und zwar für alle Beschäftigten der Deutschen Bahn. Dazu kommen Corona-Beihilfen, verbesserte Erschwerniszulagen für das Wartungspersonal und eine jedenfalls kaum „überzogen“ zu nennende Entgelterhöhung.
Die lammfromme Konkurrenz der GDL, die EVG, die schon vor Monaten zu Rentenkürzungen und Reallohnsenkungen Ja gesagt hatte, wird alles, was die GDL dem Bahn-Vorstand in einem der härtesten Arbeitskämpfe seit Jahren abgetrotzt hat, in den nächsten Wochen geschenkt bekommen. Um einen berechenbaren und auf Co-Management gepolten Sozialpartner zu stützen.
Die GDL hat bewiesen, dass Gewerkschaft auch anders geht. Vor nicht allzu langer Zeit noch eine berufsständische Vereinigung verbeamteter Lokführer, hat sie sich zu einer kämpferischen und erfolgreichen Eisenbahngewerkschaft entwickelt. Und: Die Haltung und Charakterstärke ihres Vorsitzenden Weselsky ist eine Ausnahmeerscheinung in der politischen Kultur. Sollte aus den Wahlen am Sonntag eine progressive Reformregierung hervorgehen, kann man ihr nur wünschen, dass sie ein wenig von seinen Steherqualitäten haben möge.
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