Gespensterstunde

Medien Auf der App Snapchat gibt es jetzt auch aktuelle Nachrichten. Aber findet sich dort mehr als frisch geborenen Baby-Elefanten? Ein Alltagstest
Ausgabe 18/2017

Technik ist cool, wenn ich sie nur cool nutze? Google Snapchat zum Beispiel gilt als cool, kenne ich noch nicht, soll sich jetzt ändern. Und los geht es. Das kleine Gespenst, das Logo, mag ich schon mal. Ich weiß, dass es um kleine Filmchen und Bilder geht, die sich nach ein paar Sekunden selbst löschen. Ansonsten weiß ich nicht viel, nur dass Snapchat schon länger ziemlich hip ist. Bei Amazon gibt es mit dem Suchwort „Snapchat“ Ratgeber zu Social Media Marketing, gefolgt von Erziehungsratgebern: Hilfe, mein Kind ist den ganzen Tag online!

Muss also was dran sein an dem Ding, jedenfalls für die Jüngeren. Angeblich interessieren sich vor allem die sogenannten Millenials für Snapchat: die, die zwischen 1985 und 2000 geboren worden sind, auch Generation Y genannt. Auch ich gehöre trotz meiner bisher wenig ausgeprägten Social-Media-Affinität zu dieser Generation. Ein Smartphone besitze ich seit 2012, ich benutze fünf verschiedene Chat-Kanäle, auf Kakao-Talk kann ich zum Beispiel mit verstellter Stimme telefonieren! Auf Facebook bin ich, dickköpfig, dagegen nicht. Dass Snapchat, geboren 2011, sich nicht von Facebook hat aufkaufen lassen und anders als Snapchats größte Konkurrenz Instagram von Facebook unabhängig ist, ist mir sympathisch. Zeit für den Download.

Mein Appstore zeigt mir die Vorschau der App an. Auf der einen Seite „Snap“: ein blondes Mädchen mit Hundegesicht. „Tippe, um mit lustigen Filtern, Spezialeffekten und mehr einen Snap zu machen.“ Auf der anderen Seite „Chat“: „Witzige und unkomplizierte Gespräche – jederzeit und überall“. Ich tippe auf „Laden“. Ich schicke kleine Filmchen an mich selbst und probiere Selfies mit allen möglichen Filtern aus. Mein Lieblingsfilter ist einer, mit dem du, wenn zwei Gesichter auf einem Foto sind, Gesichter tauschst. Das sieht sehr gruselig aus. Kann ich empfehlen. Auf Snapchat ist alles neu. Fotos und Videos verschickst du direkt. Die Ästhetik der App ist niedlich, kindlich. Mein zwei Jahre jüngerer Bruder ist auf Snapchat. Wer wohl noch? Ich finde die Mutter (Alter: Mitte vierzig) meines Exfreunds, oje. Mein Freundeskreis ist auf Snapchat nicht besonders aktiv, wem schicke ich jetzt meine ersten Fotos, wie ich Regenbögen kotze? Sehr schade.

Der CEO des Unternehmens Evan Spiegel schrieb 2012: „We’re building a photo app that doesn’t conform to unrealistic notions of beauty or perfection but rather creates a space to be funny, honest or whatever else you might feel like at the moment you take and share a Snap.“ Mit anderen Worten: Snapchat ist „ehrlich“. Snapchat gehört euch und euren Gefühlen.

Das war die erste Idee. In der Rubrik „Discover“ gibt es inzwischen auch redaktionelle Inhalte. Das ist die Zukunft der Nachrichten, wurde gemunkelt. Die Inhalte werden nach 24 Stunden gelöscht und durch neue ersetzt. Seit dieser Woche sind auch vier große deutsche Medienhäuser auf Snapchat: Bild, Vice, Sky Sport und Spiegel Online. Ich swipe mich durch die Inhalte. Bild zeigt mir einen frisch geborenen Baby-Elefanten in einer Anleitung zum Glücklichsein, süß! Bei Spiegel Online finde ich auch politische Themen zwischen witzigen Animationen. Snapchat eignet sich für aktuelle Nachrichten, tiefer Gehendes passt nicht in die App. Die Spielverderberin in mir meldet sich zu Wort: bäh, diese Entwicklung zur Oberflächlichkeit! Die Spielverderberin ist beleidigt: Wann schreibt mir endlich jemand zurück? Ups, kurz mal die Coolness vergessen.

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