Dim Sum: Die euphorisierende Wirkung einer kantonesischen Tradition

Kolumne Der Koch Kantonesische Kleinstspezialitäten namens Dim Sun sind international authentisch. Johannes J. Arens über ein chinesisches Gericht, das immer glücklich macht – auch ohne Fernreise
Ausgabe 33/2023
Mal ehrlich: Gibt’s was Besseres?
Mal ehrlich: Gibt’s was Besseres?

Foto: picture alliance/dpa/Marcus Brandt

Zwei Dinge lassen sich mit Bestimmtheit über die „chinesische Küche“ sagen: Zum einen ist sie viel zu komplex, um sie mit zwei Worten fassen zu können, zum anderen verfügt sie in der Diaspora, also außerhalb des Mutterlandes, über eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an die kulturellen Gegebenheiten vor Ort.

Als ich zum ersten Mal in einem chinesischen Restaurant in den USA in die Karte schaute, erkannte ich, außer dem in Amerika erfundenen Glückskeks, nichts wieder. Und dafür muss man keine Fernreise machen. Schon in den Niederlanden bedeutet „chinees“ auf dem Teller aufgrund der komplexen Kolonialgeschichte des Landes etwas anderes als bei uns.

Nun ist es mit der Authentizität in der Gastronomie so eine Sache, Esskultur bewegt sich ja immer zwischen den beiden Polen Tradition und Innovation. Das gilt auch für Küchen, die auf mehrere tausend Jahre Geschichte zurückblicken. Und dennoch gibt es Orte, an denen das Angebot vielleicht ein wenig authentischer ist als an anderen. Nach meinen Beobachtungen befinden sich die besten chinesischen Restaurants dort, wo viele Landsleute vorbeikommen. Denn bei aller Neugier und Bereitschaft zum Experiment will man doch vor allem etwas Vernünftiges essen.

Gebraten, gedämpft, frittiert

Vor kurzem war ich mit einem chinesischen Freund in Amsterdam zum Lunch verabredet. Bei der Planung brauchte es nicht viel Worte. „Dim Sum?“, schrieb er per Whatsapp. „Ja“, antwortete ich und legte damit alle weitere Verantwortung in seine Hände. Dim Sum bedeutet „das Herz berühren“. Es handelt sich um eine kantonesische Tradition, die mittlerweile in großen Teilen Ostasiens zu finden ist: Häppchen, die gebraten, gedämpft oder frittiert auf den Tisch kommen und die traditionell zum Frühstück oder am frühen Nachmittag mit Tee gereicht werden.

Wir trafen uns im „Oriental Palace“, einem der authentischeren Orte mitten in der touristengefluteten Innenstadt, um die Ecke von Coffeeshops und den Schaufenstern mit Prostituierten, aber eben auch wenige Gehminuten vom Zeedijk und den umliegenden Straßen mit ihren chinesischen Restaurants, Bäckereien und Apotheken.

Dampfende Kunstwerke in Plastikkörbchen

Die streng blickende Dame am Eingang schickte uns hinauf in den zweiten Stock, wo wir an den für uns reservierten Tisch geführt wurden. Der Kellner hinterließ ein mehrseitiges Faltblatt, auf dem die einzelnen Gerichte mit kleinen Fotos gelistet waren, nebst Erläuterungen in unterschiedlichen Sprachen. Mein Freund notierte die Bestellungen in die dafür vorgesehenen Kästchen neben den Preisen und gab das Papier an die Bedienung zurück. Kurz darauf schon näherte sich der Kellner ein erstes Mal mit seinem Servierwagen, denn Dim Sum werden nicht in einer bestimmten Reihenfolge serviert, sondern exakt dann, wenn sie fertig sind. Er platzierte eine erste Runde kleine Kunstwerke auf dem Tisch, in noch dampfenden gelben Plastikkörbchen, behutsam auf gefaltete Papierchen gesetzt, in Schalen und Tellerchen – darunter knusprige Pasteten mit einer Füllung aus Pilzen und Taro, schlabbrig gedämpfte Teigrollen mit Garnelen und fluffige Brötchen mit einer Füllung aus süßen Bohnen.

Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als einen frühen Nachmittag, an dem appetitliche, kunstvolle, vor allem sehr leckere Häppchen mein Herz berühren. Auch mitten im touristischen Wahnsinn.

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