Worauf selbst Belgien sich einigen kann: Die Garnelenkrokette

Der Koch Unser Nachbarland ist bekannt für politische Zerrissenheit und Pralinen. Sonst nichts? Am Strand von Oostende lässt sich das heimliche, aber wahre Nationalgericht genießen
Ausgabe 29/2023
Das ist Preis-Leistung: Zwei daumengroße Nordseegarnelen, in heißem Fett ausgebacken für 19 Euro
Das ist Preis-Leistung: Zwei daumengroße Nordseegarnelen, in heißem Fett ausgebacken für 19 Euro

Foto: Picture Alliance/ImageBroker/ De Meester jr.

„Doch, ich war schon in Frankreich“, erklärt der junge Mann seinem Sitznachbarn, „aber eher in der Aachener Gegend.“ Wir sitzen im Schnellzug Thalys, der jetzt Eurostar heißt, und fahren durch die Wallonie Richtung Paris. Belgien ist für viele Reisende offenbar nur Transitgebiet, da kann man mit dem französischsprachigen Landesteil schon mal durcheinanderkommen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass wir das Nachbarland vor allem mit Pralinen, Fritten, Waffeln und Bier verbinden. Spezialitäten, die uns an Brügge denken lassen, die flämischste aller flämischen Städte.

Belgien ist ein kompliziertes Konstrukt aus wenig kongruenten Verwaltungseinheiten und Sprachgemeinschaften. Die Klammer des 1831 aus Deutschland importierten Königshauses ist brüchig, zu unüberbrückbar sind historisch-kulturelle Gräben vor allem zwischen Flandern und der Wallonie. Da bleibt die staatsweite Liebe zum guten Essen als gesellschaftlicher Kitt.

Will man verstehen, was den Nachbarinnen und Nachbarn wirklich wichtig ist, muss man aber an den touristischen Highlights vorbeifahren und sich an den Rand begeben. Nach Oostende etwa. Die größte Stadt an der 57 km langen Küste des Königreichs könnte peripherer kaum liegen. Schon der Name sagt, dass hier, aus dem Westen kommend, irgendetwas zu Ende ist. Die Gleise reichen fast bis an den Strand, danach kommt viel Wasser und dann Brexitland. Aber hier findet Belgien zusammen: Ans Meer wollen alle.

Metzgereien wie Feinkostläden

Stolz ist man auf den Maler James Ensor, der hier sein ganzes Leben verbrachte und dessen Werke man im Museum betrachten kann (auch wenn die derzeitige Ausstellung über die Impressionistin Anna Boch spektakulärer ist). Stolz war man offensichtlich – zumindest laut Inschrift des Denkmals von 1931 – auch auf die Aufmerksamkeit, mit der Leopold II, einer der brutalsten Kolonialherren, die Stadt bedachte.

Weder ein Museum noch ein Denkmal gibt es hingegen für die Garnelenkrokette. Dabei sagt sie viel über Belgiens Befindlichkeiten. Sie besteht aus kleinen Nordseegarnelen, in heißem Fett ausgebacken. Man begegnet ihr bereits mit den Kuttern, die in der Abendsonne in den flachen Strandgewässern ihre Netze über den Boden ziehen. Am nächsten Morgen kann man die auf den Booten vorgekochten Krustentiere direkt von den Fischern auf dem Markt kaufen. Man sieht sie, noch unfrittiert, aber schon in zylindrische Form gebracht, zu ordentlichen, bleichen Pyramiden gestapelt, in den Auslagen der Metzgereien, die mit ihren appetitlichen Salaten und dick belegten Broten hiesigen Feinkostgeschäften ähneln.

Am frühen Abend dann sitze ich im Restaurant, um mich herum höre ich Niederländisch wie Französisch. „Und dazu?“, fragt mich der Kellner, als ich den Signature Dish bestelle. Er klärt mich auf, dass Brot und Zitronenmayonnaise die üblichen Beilagen seien. Gegen Aufpreis aber natürlich auch mit „frietjes“. Dass die Garnelenkrokette ein geschätztes, wenn auch kein geschütztes, Kulturgut ist, zeigt auch der Preis. Mein Teller mit zwei daumengroßen Exemplaren, einem Schälchen mit Mayonnaise, Zitrone und Salatgarnitur kostet 19 Euro, nicht viel weniger als die 230 Gramm Rindertartar mit Pickles und Fritten. Das ist das ganze Land zu zahlen bereit. Dafür muss man nicht erst nach Paris fahren.

Johannes J. Arens ist Anthropologe und Journalist mit Schwerpunkt Esskultur

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden