Kassenkampf: Klimabilanz von Einkäufen bei Aldi, Rewe und Alnatura im Vergleich
Lebensmittel Regionale Austernpilze, Pinot Noir aus dem Nachbarland – sogar die Kassenbons sind umweltfreundlich, wenn man in wohlhabenden Gegenden einkauft. Aber ernähren sich Menschen mit mehr Geld wirklich „grüner“ als Arme? Eine Spurensuche in Köln
Bio im Discounter ermöglicht inzwischen auch bei knappem Budget einen klimafreundlicheren Einkauf. Theoretisch
Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images
Laut repräsentativer Umfrage des Bundesumweltministeriums befürworteten im vergangenen Jahr 91 Prozent der Bevölkerung den „klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft“. Die Verringerung von Plastik im Meer, die Förderung der Kreislaufwirtschaft und die sichere Entsorgung von Atommüll wurden in diesem Zusammenhang als „besonders dringlich“ benannt.
Aber wie sieht es mit unseren alltäglichen Erledigungen aus? Dafür braucht es weder staatliche Strategien noch statistische Erhebung – der CO₂-Fußabdruck unserer Einkäufe zeigt sich auf jedem einzelnen Kassenzettel. Nicht wenige davon bleiben danach im Einkaufswagen liegen. Eine Spurensuche in drei Kölner Supermärkten: Wie klimafreundlich wird hier eingekauft?
Al
gekauft?Aldi in Köln-KalkAuf der gegenüberliegenden Straßenseite lassen die typisch dunkelgrünen Glaspaneele der Fassade erahnen, dass sich hier einmal ein Kaufhof befand. Der Drogeriemarkt hat gerade große Blumenkübel entlang der Schaufenster platziert, um neue Matratzenlager der Obdachlosen zu verhindern. Bis vor 30 Jahren war Köln-Kalk ein prosperierender Industriestandort. Der Hauptarbeitgeber, die Chemische Fabrik Kalk, beschäftigte zeitweise bis zu 2.400 Mitarbeiter. Dann wurde 1993 wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationsgeschichte ist hoch, viele Fabrikangestellte und ihre Familien sind geblieben. Auf der Straße hört man neben Deutsch vor allem Türkisch, Arabisch und Italienisch.Die Filiale von Aldi Süd befindet sich ein paar Hundert Meter die Hauptstraße hinauf, zwischen einem vietnamesisch-thailändischen Restaurant und einer Spielhalle. Ein Plakat im Schaufenster informiert über die Tierwohlstrategie des Discounters – bis 2030 soll es Frischfleisch nur noch aus den Haltungsstufen „Außenklima“ und „Premium“ geben. In den Einkaufswagen im Vorraum liegen zwei Zettel. Um 13.31 Uhr hat hier jemand für 22,02 Euro eingekauft und bar bezahlt. Abgerechnet wurden, neben einer Tragetasche und Zigarettenpapier, zwei Flaschen Mineralwasser, vier Pakete Katzenfutter, zwei Schoko-Donuts und eine Hähnchen-Ofenschale. Das Huhn stammt aus der Haltungsform 2. „Wie viel Platz Hähnchen und Puten mindestens im Stall haben müssen, wird bei Geflügel nicht pro Tier festgelegt, sondern pro Kilogramm Gewicht“, heißt es auf der Website von Aldi Süd. Für Hähnchen sind das in diesem Fall 35 Kilogramm pro Quadratmeter, bei einem Durchschnittsgewicht von drei Kilogramm leben also zwölf Tiere auf einer Fläche von 100 mal 100 Zentimetern.Dass Tierwohl und Klimafreundlichkeit nur schwer mit den Lebensrealitäten eines sozialen Brennpunkts zu vereinbaren sind, zeigt sich spätestens auf dem Weg zur Kasse. Großpackungen mit 18 Eiern aus Bodenhaltung gibt es hier viele, über dem Band liegt Mini-Geflügel-Salami der Marke „Saletti“. Auf der Verpackung steht groß „mit Palmfett“ geschrieben. So, als wäre das ein Qualitätsmerkmal.Der zweite Bon erzählt eine andere Geschichte. 38,45 Euro um 20.30 Uhr, bezahlt mit Girocard. Gekauft wurden unter anderem Mozzarella, frische und Dosentomaten, Suppengemüse und Rinderhackfleisch. Abgerundet mit ein bisschen Wein und fünf Tafeln Milka. In Sachen Klimafreundlichkeit mag bei Fleisch und Schokolade noch Luft nach oben sein. Bei Tomaten ist das schwieriger. Sie sind ein gutes Beispiel für die Komplexität des Klimathemas: Neben dem eigentlichen Produkt spielen auch Jahreszeit, Transportwege und Verpackung eine Rolle.Das Kilogramm Freilandtomaten aus Spanien ist mit 0,6 Kilo CO₂ klimafreundlicher als jenes aus einem beheizten Gewächshaus in der Region (1,5 Kilo CO₂). Bei Dosentomaten hingegen schlägt die Blechbüchse bei 1,8 Kilo CO₂ deutlich ins Gewicht. Den geringsten Wert mit 0,035 kg haben die Früchte übrigens nur dann, wenn sie aus ökologischem, regionalem und vor allem saisonalem Anbau kommen.Rewe im gutbürgerlichen Köln-BayenthalAuf der anderen Rheinseite liegt das Goltsteinforum im Schatten zweier Wohntürme mit Rheinblick. Ein überschaubares Einkaufszentrum, mit einem kleinen Parkplatz in der Mitte. Es gibt eine familiengeführte Metzgerei, eine „Floristenboutique est. 1979“, außerdem Penny, dm und Alnatura. Und seit der Pandemie auch ein Jacques’ Weindepot. Bayenthal ist die gutbürgerliche Verbindung zwischen der studentisch-alternativ geprägten Südstadt und den luxuriösen Vororten Hahnwald, Marienburg und Rondorf. Einzelne Damen und Herren spazieren mit den ersten Einkäufen des Tages zu ihren Autos, einem Porsche Cayenne, einem Audi A6 und einem VW Tiguan. Auf der anderen Straßenseite laden zwei jüngere Frauen ihre Elektroautos.Während in Kalk laut den statistischen Daten der Stadt Köln 237 Autos pro 1.000 Einwohner*innen gemeldet sind, sind es in Bayenthal 324 und nebenan im Hahnwald gleich 768 Fahrzeuge. Hier entstehen bereits bei der Anfahrt mehr Emissionen als in Kalk. Wird hier dafür wenigstens grüner gegessen? Veganer, regionaler und biologischer? Die örtliche Rewe-Filiale liegt vorne an der Straße, benannt nach Martin Hubert Goltstein, dem Gründer einer Maschinenbaufirma, die es hier früher einmal gab. Es ist ein großes, frei stehendes Ladenlokal, das vor nicht allzu langer Zeit saniert wurde. Vor dem Eingang verkünden Chrysanthemen und Kürbisse, dass jetzt Herbst ist. In den Einkaufswagen daneben finden sich keine Zettel, aber in einem der roten Körbe hinter dem Eingang liegen gleich zwei.Hier werden zunächst alle Klischees bedient. Im Gegensatz zu Aldi wird hier offensichtlich lieber mit Visa oder Mastercard bezahlt. Um 8.57 Uhr hat jemand für 12,78 Euro Schokolade und Sekt gekauft. Klimatechnisch ist der Pinot Noir Rosé mit „Anklängen von roten Johannisbeeren, süßen Himbeeren und etwas Mandarinenzeste“ eher harmlos, auch wenn das Unternehmen Le Grand Chais aus dem Elsass zu einem der größten seiner Branche gehört. In der Zutatenliste der Lindor-Kugeln hingegen sind mit Kokosnuss, Palmkern, Kakaobutter und Butterreinfett nicht nur eine Menge gesättigter Fettsäuren im Spiel, sondern eben auch Inhaltsstoffe, deren Anbau klimatechnisch problematisch ist. Der zweite Zettel stammt vom Vortag, 15.36 Uhr, und beläuft sich auf 24,95 Euro. Mit dabei sind Chiquita-Bananen, Nackenkotelett, grobe Bratwurst, Austernpilze sowie vier Kaki und eine Flasche Mineralwasser. Beim Fleisch lässt der Zusatz „Handeingabe“ darauf schließen, dass es sich um Produkte aus der Fleisch- und Wursttheke im hinteren Teil des Marktes handelt und nicht um fertig abgepackte Ware aus dem Kühlregal.Ein Einkauf in der Metzgerei, rund 200 Meter weiter, wäre noch besser gewesen. Aber immerhin! Die Pilze stammen aus Zuchtbetrieben in Polen. Das Obst hingegen ist so eine Sache: Das Kilo Bananen hat eine CO₂-Bilanz von gerade mal 0,6 Kilo – das ist vergleichsweise wenig für eine exotische Frucht. Die Kakis hingegen mögen zwar gerade Saison haben, sind aber druckempfindlich und somit schwierig zu transportieren. Im Frühjahr und Sommer stammen die Früchte zumeist aus Brasilien, da kann man besser auf den Winter warten, wenn sie in Südeuropa, vor allem in Spanien, saisonal geerntet werden.Alnatura im Belgischen ViertelKurz vor der Kasse ist ein weihnachtlicher Tisch mit veganen Gewürzspekulatius, „Christmas-Tee“ und Brotaufstrich „gebrannte Mandel“ aufgebaut. Alnatura betreibt derzeit acht Geschäfte auf Kölner Stadtgebiet. Unabhängige Bioläden gibt es in der gesamten Stadt nur noch wenige. Die Biosortimente der regulären Supermärkte und Ketten wie Basic oder Denns haben das Feld gründlich neu aufgerollt.Das Belgische Viertel ist, wie alles in Köln, nicht weit vom Dom entfernt. Die Straßen rund um den berüchtigten Brüsseler Platz sind der wohl Instagram-tauglichste Ort der Stadt: kleine Boutiquen, Restaurants, Bars, Cafés und eine für die Stadt ungewöhnlich hohe Dichte von Altbauten. Rechts neben der Alnatura-Filiale gibt es ein Geschäft für Meditationsbedarf, links befindet sich ein eleganter Radladen. Die Ausstellungsstücke im Schaufenster haben sehr klein gedruckte Preisschilder am Lenker. „4.499 Euro“ steht auf einem, aber die Höhe scheint Nebensache zu sein.Direkt hinter dem Eingang zum selbst ernannten „Super Natur Markt“ sind die Einkaufskörbe und -wagen ordentlich gestapelt, alles in Reih und Glied, nirgends ein Papierchen zu entdecken. Der Laden ist auf eine ganz andere Art nachhaltig: Es gibt keine herumfliegenden Kassenzettel! „Brauchen Sie den Bon?“, fragt die jugendlich wirkende Verkäuferin die Kundinnen und Kunden beim Bezahlvorgang. Die meisten schütteln den Kopf, nur ein Mann steckt das blaue, bisphenolfreie Papier präzise gefaltet in sein Portemonnaie. Wenig heimliche Einblicke also, bleibt die direkte Beobachtung.Zwei Frauen, vermutlich Mutter und Tochter, stehen an der Obstauslage und betrachten die Trauben. Mit sehr viel Ausdauer und Achtsamkeit heben sie die Papiersäckchen und inspizieren gemeinsam die rosafarbenen dicken Früchte, um sich schließlich freudvoll für eine Packung zu entscheiden. Dem Klima schaden sie damit nicht: Sowohl die deutschen als auch die aus Italien importierten Trauben kommen während der Saison gerade einmal auf 0,3 Kilo CO₂-Äquivalente. Ein älterer Mann kauft einen Kräuterseitling, den er vorsichtig auf einer Papiertüte auf das Band legt. Auch der hat eine ziemlich gute Umweltbilanz: Bei der Produktion von einem Kilo des Zuchtpilzes entsteht nur ein Kilo CO₂.Dass man sich klimagerechte Lebensmittel leisten können muss, ist deutlich. Bio im Discounter ermöglicht aber inzwischen theoretisch auch bei knappem Budget einen entsprechenden Einkauf. Theoretisch. Denn das Problem liegt eben nicht nur im Preis. Bewusste Entscheidungen benötigen ein Bewusstsein, und auch das muss man sich leisten können. Laut „Trendreport Ernährung 2023“ des Bundeszentrums für Ernährung ist 13 Prozent der dort Befragten das Thema „Achtsamkeit“ wichtig. Unter der Überschrift „Wie wir mit achtsamer Ernährung die eigenen Ressourcen schützen“ heißt es: „Zutaten sorgfältig auswählen, Gerichte liebevoll zubereiten, sich für das Essen Zeit nehmen, in den eigenen Körper hineinhorchen …“Wer aber 18 Eier aus Bodenhaltung aufs Band legt, hat vermutlich eine große Familie zu ernähren – und daher weniger Ressourcen, um vor dem Einkauf in sich hineinzuhorchen. Das geht mit einem einzelnen Kräuterseitling deutlich besser.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.