Helmut Donat: Ein Verleger aus Bremen kämpft für Frieden und gegen Militarismus
Pazifismus Vor 40 Jahren erschien erstmals das Handlexikon „Die Friedensbewegung“. Hinter ihm steht unter anderem der Bremer Verleger Helmut Donat. Dessen Arbeit verdient über jenes Werk hinaus Würdigung und Beachtung
Für Frieden gingen die Menschen auch in den 80ern auf die Straße
Foto: Imago / Sommer
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitungschrieb vor Kurzem, „es gibt ,kleine‘ Verleger, die große Dinge tun“. Die anerkennenden Worte galten dem heute 76-jährigen Bremer Verleger Helmut Donat. Gleichwohl diese Verlage „große Dinge“ tun, entspricht die mediale Wahrnehmung kaum der schöpferischen Produktion des Verlags – im Ein-Mann-Betrieb, phasenweise mit Mitarbeiterinnen, umgeben von tausenden Büchern, zahlreichen Nachlässen und Originalquellen. Dispute des Verlegers mit gewichtigen Autoren gehören dazu, steigern die Qualität sorgfältig und künstlerisch entworfener Einbände.
Die Geschichtsphilosophie seines Verlags, vor allem des kenntnismächtigen Verlegers, gründet auf Methoden k
Geschichtsphilosophie seines Verlags, vor allem des kenntnismächtigen Verlegers, gründet auf Methoden kritischer Wissenschaften. Nur damit seien Realität und Geschichte wirklichkeitsnah zu erfassen.Träger des Carl-von-Ossietzky-PreisesDer schon im Jahr 1996 für seine „herausragende verlegerische Leistung“ mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnete Verleger Helmut Donat hat mit seinem Verlag mehr als 520 Bücher veröffentlicht, unter anderem zur Geschichte der Deutschen seit der Kraft- und Machtentwicklung des Preußentums, die bis in die Gegenwart wirkt. Auch eigenständige Reihen wie „Geschichte & Frieden“, zum verdrängten Völkermord des armenischen Volkes, oder Kinderbücher, wie das soeben neu erschienene von Sigmar Schollak, Das Mädchen aus Harrys Straße, das angesichts eines grassierenden Rassismus und Antisemitismus dem Schulunterricht nahezulegen ist. Wieder- und sorgfältig edierte Kunst- und Ausstellungskataloge, zum Beispiel über die Künstlerkolonie Worpswede, Besonderheiten im Blick, wie das kreative Wirken des politischen Künstlers, Malers und Revolutionärs (1917/1918) Heinrich Vogeler, der sich für die Sowjetrepublik begeisterte, mit futuristischen Entwürfen, später mit dem „sozialistischen Realismus“. Donat zitiert bevorzugt aus dem Friedensbrief Vogelers an den Kaiser (Januar 1918). Aber auch Belletristik und Reisebeschreibungen.Der lektorierende und schreibende Verleger besitzt die Gabe des Hin- und Herwägens, bis die geeigneten Begriffen gefunden sind, ist ständig auf der Suche nach den Worten, bis sie das Gemeinte treffen, kurz: eine „donatische“ („er gibt“) Rhetorik mit energetischem Überschuss. Präzision und Schärfe sind Instrumente der Aufklärung gegen die herrschende Propaganda, sie reiften in ihm mit seinem Heranwachsen im Nachkrieg. Die Eltern geflüchtet aus Ostpreußen in ein kleines niedersächsisches Dorf, wo er am 7. April 1947 geboren wurde, streng-protestantisch erzogenes Flüchtlingskind. Wohl sammelte es in diesem zurückhaltend-misstrauischen Umfeld Energie, Tatkraft und Leidenschaft für sein späteres Leben.Als er dann nach Bremen kam, in studenten- und streikbewegten Zeiten sozialliberaler Reformpolitik, an der 1971 neu gründeten Universität studierte und lehrte, entdeckte der spätere Verleger in einem Antiquariat Ende der 1970er Jahre Schriften des Antimilitaristen und Zivilisationskritikers Hans Paasche. Diese Entdeckung trieb ihn zur (Wieder-) Veröffentlichung derselben unter dem Titel Auf der Flucht erschossen.Die Verklärung der für 1981 geplanten „Preußen-Ausstellung“ in Berlin bewog ihn, zusammen mit Arno Klönne historische Fakten richtigzustellen, die von einem Mainstream heute wieder bestrittene oder verschwiegene These von der Kontinuität des preußischen Militarismus nach 1871, Erstem und Zweitem Weltkrieg, wie von den Alliierten im Potsdamer Abkommen 1945 hervorgehoben. Deshalb erschien die Schrift Preußen. Die Gefahr Europas des sozialdemokratischen Pazifisten August Siemsen 1981 als Reprint. Der Reichstagsabgeordnete der SPD, der dann von 1931 bis 1933 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) zählte, der auch Willy Brandt angehört hat, emigrierte nach Hitlers Machtantritt über die Schweiz nach Argentinien, wo er 1937 dieses mit glänzenden Kritiken bedachte Buch zum preußischen Militarismus veröffentlicht hatte.August Siemsen und Hans PaascheDie Schriften von Siemsen und des längst vergessenen Kolonialoffiziers Hans Paasche faszinierten ihn, den immer zu aktuellen Zeitgeistesentwicklungen angeregt, fachten seine Neugier an, ließen suchen, die Handlungen der Mächtigen und ihrer Vollstrecker offenzulegen, die zerstören, jedenfalls nicht Frieden und wirkliche Demokratie im Sinne haben. Es ist ihm bis heute wichtig, pädagogisch zu wirken, wie all jene, die der Öffentlichkeit von Politik und Medien verschwiegen werden, in Schulbüchern nicht vorkommen. Weil sie so etwas Gefährliches wollen wie den Frieden.Verlag und Verleger verstehen sich als ideelle Heimstatt der Verfolgten und Bedrohten, zu denen der in Hannover geborene und 1933 von den Nazis ermordete Schriftsteller Theodor Lessing gehörte. Um ihn zu ehren, ist der Verleger in der Stadt aktiv geworden. Etwa ein Jahrzehnt reiste er mit der schwedischen Schauspielerin und Menschenrechtlerin Sonja Sonnefeld, die unter dem Eindruck der Reichspogromnacht nach Stockholm emigriert war, durch norddeutsche Schulen. Sie lebte zeitweilig mit ihm im Verlag, bis sie mit fast 98 Jahren in ihrem „Offenen Haus“ in Stockholm starb.Für ein anderes DeutschlandHistorische Zeitgenossen und Pazifisten wie etwa der Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, der sich kritisch mit der deutschen Kriegspolitik des Ersten Weltkriegs auseinandersetzte, offenbarten eine enorme Willenskraft, wehrten sich geduldig-pazifistisch gegen Anfeindungen. Sie wollten Das andere Deutschland, wie die im Jahr 1925 von Fritz Küster herausgegebene Zeitung für entschiedene demokratische Politik nannte, die aus der Zeitschrift Der Pazifist (gegründet 1921) hervorgegangen war. Ihr Name war Programm für die Schaffung einer Republik, die Würde des Menschen und der Natur zum höchsten Gut nicht nur zu erheben, sondern diese Ordnung zu praktizieren und zu pflegen.Es ist ein anderes Deutschland, das sich dem Verleger Helmut Donat in vielen, von ihm neu- oder wiederentdeckten Biografien, in den Autorinnen und Autoren, bedeutenden und weniger bedeutenden, in jedem Falle in erhellenden, faszinierenden Ideen, künstlerischen Begabungen und zeitlosen Anregungen spiegelte: Hans Paasche kann als Symbolfigur gelten für die Gesamtproduktion des späteren, im Jahr 1987 gegründeten Verlags, den er aus der Geschichte zum heutigen Vorbild erhob. Von diesen Figuren gibt es nicht wenige, die beschwiegen, in Schulbüchern und in der Wissenschaft nicht erwähnt oder gar unbekannt geblieben sind. Wer war dieser Paasche?Gegen den KriegSchon im Jahr 1908 reichte er aufgrund seiner Erlebnisse bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes in Deutsch-Ostafrika (1905) seinen Abschied aus der kaiserlichen Marine ein. Der Sohn des nationalliberalen Reichstagsvizepräsidenten Hermann Paasche engagierte sich für die Friedensbewegung gegen die imperialistisch-kolonialistischen Bestrebungen des deutschen Kaiserreichs. Zunächst von der Unschuld Deutschlands an der Entfesselung des Weltkriegs überzeugt, kehrte er zu den Waffen zurück, aufgrund seiner pazifistisch-ethischen Überzeugung entließ ihn die Armee 1916 aus ihren Diensten. Fortan verbreitete er verbotene, die Schuld des kaiserlichen Regimes am Weltkrieg offenlegende Schriften. Vergeblich setzte er sich nach der Novemberrevolution 1918 im Arbeiter- und Vollzugsrat für die Verurteilung der Schuldigen ein. Paasche sympathisierte mit dem linken Flügel der USPD, trat für eine geistig-politische Überwindung des preußischen Militarismus ein und für eine Aussöhnungspolitik mit Frankreich. Ohne dass ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, wegen angeblicher Vorbereitungen eines kommunistischen Aufstands, erschossen ihn Freikorpstruppen „auf der Flucht“.„Die Befürchtungen der Pazifisten, der Friedliebenden“ seien später immer eingetroffen“ bemerkte der Schriftsteller und Sozialdemokrat Dieter Lattmann im Jahr 1983 zum Erscheinen des Handlexikons Die Friedensbewegung: „Kriege wüten zu jeder Zeit und nicht nur an einer Stelle“ (jedenfalls seit dem Ersten Weltkrieg). Dass die Pazifisten jedes Mal nach den Verheerungen mit neuen Wiederaufrüstungen in die Position von Randgruppen geraten, sollte schwer zu denken geben. „Heute wie früher“, so Lattmann 1983 (!) „steht die Mehrheit der Menschen der Rüstung, Kriegsvorbereitung und Kriegführung machtlos gegenüber“. Das standardsetzende Handlexikon, das den organisierten Pazifismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz prägnant erfasst hat, versammelte Fundstücke, Kenntnisse und Erfahrungen für ein breites Publikum. Aufrüstung und Nachrüstungen, ein neuer Wettlauf von Militarismus und ihn rechtfertigenden Anschauungen galt es zu verhindern. In diesem Handlexikon finden sich einige Zeitgenossen wie eben jene Vertreter des anderen Deutschlands, die sich in Abkehr der von Bismarck geprägten „Macht-vor-Recht-Politik“ für eine Politik des Rechtes und der Gerechtigkeit“ einsetzen. Nicht zu verwechseln mit der heutigen Ideologie „regelbasierter Ordnung“ oder „westlicher Werten“. Namen wie Heinrich Stöbel, Friedrich Seger, Paul Freiherr von Schoenaich und Oskar Stillich, von Gerlach oder Grelling werden totgeschwiegen. Donat hob und hebt Schätze kritischer Geschichtsschreiber und Zeitgenossen. Stillich, der 1918 schon über zwei Jahrzehnte der Deutschen Friedensgesellschaft angehörte, promovierter Volkswirt, warf ein anderes Licht auf das Versailler Vertragswerk von 1919 als noch heute gemeinhin eingestuft. Er führte den Ruin der deutschen Wirtschaft nicht auf die Wiedergutmachungsleistungen zurück, sondern auf die wilhelminische Kriegswirtschaft. Der Verlag begann mit der Veröffentlichung „Ausgewählter Schriften“, eines auf zehn Bände angelegten Projekts, von denen Versailles – Ein Racheakt der Sieger? (Band 1), Die Militarisierung der Sprache und des Volkes (Band 2) und Begriff und Wesen des Völkischen (Band 3) im Jahr 2022 erschienen sind. Bezüge zur Gegenwart sind nicht zufällig.