Die üblichen Verdächtigen

Tschetschenen Wenn nichts mehr geht, greift man in Russland gerne auf altbewährte Handlungsmuster zurück
Ausgabe 11/2015
Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde in Moskau auf offener Straße erschossen
Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde in Moskau auf offener Straße erschossen

Foto: Dmitry Sereryakov/AFP/Getty Images

Am Ende des Films Casablanca, nachdem der widerliche SS-Offizier vom Helden erschossen worden ist, sagt der französische Polizeikommandant zu seinen Bullen: „Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.“ Dieser Satz ist in Deutschland ebenso sprichwörtlich geworden, wie das darauf folgende „Dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“.

Sprichwörter helfen, die Welt zu verstehen. Wie kann das möglich sein, fragt sich in diesen Tagen der arglose Mitteleuropäer, dass in Russland der Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow binnen einer Woche aufgeklärt ist und die Mörder schon angeklagt sind? In Deutschland dauern die Ermittlungen wohl unterschiedlich lang, aber nur eine Reihe glücklicher Zufälle kann dazu führen, dass ein Straftäter so kurz nach der Tat gefasst wird. Ist er gefasst, dauert es bis zur Anklageerhebung mindestens ein halbes Jahr, oft länger. Kommt es zum Prozess, können die Richter dessen Länge für ihr Berufsleben als eine veritable Epoche eintragen. Bei Uli Hoeneß und Sebastian Edathy war es, was den letzten Punkt angeht, deutlich anders. Aber die hatten ja auch nie so schnöde zu den üblichen Verdächtigen gehört.

Die üblichen Verdächtigen gibt es ja nicht überall wie Steine am Wegesrand. Aber es gibt Länder, da existieren sie gleichsam institutionell. Zum Beispiel im Russland Putins. Wenn hier ein übles Verbrechen von öffentlicher Relevanz begangen wird, weiß man sofort: das waren Tschetschenen, allgemeiner gesagt: Leute aus dem Nordkaukasus, respektive aus der Unruherepublik im Nordkaukasus. In den westlichen Nachrichtensendungen sagt man das gern, damit man nicht immer Tschetschenen sagen muss. Wer will das schon? Aber gemeint sind sie trotzdem.

Im russischen Fernsehen, das seine Bildern mit Freude in die ganze Welt sandte, wurde gezeigt, wie die üblichen Verdächtigen vorgeführt wurden: gefesselt und im Polizeigriff gebeugt, das Gesicht tief nach unten. Einen filmte man im Käfig. Er lief dort auf und ab und sagte immer wieder, er liebe den Propheten Mohammed. Es mag sein, dass diese Männer wirklich die Mörder Nemzows sind. Auch die vom Rechtsstaat gebotene Unschuldsvermutung darf die nicht beliebigem Argwohn aussetzen, die aus Gründen mit einer starken Schuldvermutung tätig werden.

Aber der Eindruck, man habe es hier mit den „üblichen Verdächtigen“ zu tun, wirkt doch misslich, zumal Putin zur selben Zeit stolz verkündet, dass er seinerzeit die Weltöffentlichkeit bei der Eroberung der Krim belogen habe. Nun, wer einmal lügt, kann ein anders Mal trotzdem die Wahrheit sagen. Kann.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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