Einer, der sich stets empört hat

Nachruf Ottmar Schreiner hat die Politik seiner SPD oft hart kritisiert. Aber dennoch ist er ihr immer loyal geblieben.

Der noch junge Abgeordnete Ottmar Schreiner aus Saarlouis empfing den gleichaltrigen Reporter aus Frankfurt vor dem Büro der SPD. „Was Sie für einen Mist über mich schreiben“, sagte er, „ist nicht wichtig. Aber Sie sollen sehen, wie schön dieses Land ist.“ Wagen und Fahrer standen bereit. Es ging los. Dorf nach Dorf, Brennerei nach Brennerei. Schreiner kannte jeden, überall gab es einen Begrüßungsschnaps, zwei bis drei pro Stunde. Am Abend lieferte der Abgeordnete den Reporter im Hotel ab. Es war nicht mehr viel mit ihm los.

Die Sozialdemokratie, erläuterte Schreiner – wie Hermann Scheer einst Zeitsoldat – habe er mit der Muttermilch eingesogen. Sollten damit früh idyllische Vorstellungen vom Leben in der Partei verbunden gewesen sein, so wurden diese enttäuscht. An der Saar triumphierte Oskar Lafontaine, sein Freund. Bei den Jusos hatte er es mit Gerhard Schröder zu tun, der nicht sein Freund wurde. Die Agenda 2010 fand in Schreiner ihren schärfsten Gegner. Von Schröder, Clement oder Müntefering sprach er fortan nur noch mit Abscheu. Dass man sehenden Auges einen Teil der Bevölkerung deklassierte und diese Leute in die Armut schickt, empörte ihn.

Schreiner, unter dem Parteivorsitzenden Lafontaine noch SPD-Geschäfts​-führer, verlor dieses Amt, als Lafontaine hinschmiss. Als Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen konnte er nur Überbrückungsarbeit in Erwartung einer besseren Zeit in der SPD leisten. Warum er nicht wie Lafontaine die Partei verlassen habe, wurde er oft gefragt. In Berlin kursiert die Antwort: weil er nun schon so lange in der SPD sei. Mir hat er zuletzt in Saarbrücken geantwortet. „Über Jahrzehnte haben mir die Sozialdemokraten in Saarlouis das Vertrauen geschenkt. Das will ich nicht enttäuschen.“ Ein Mann fester Überzeugungen, konnte man bei ihm an das altrömische Wort denken: „Lieber mit Platon irren, als mit denen da Recht haben.“ Jetzt ist Ottmar Schreiner mit 67 Jahren gestorben.

Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden