Die trojanische List

Griechenland Was Odysseus uns über die modernen Polit-Helden lehrt
Ausgabe 09/2015

Gibt es einen berühmteren Europäer als Odysseus? „Nenne mir, Muse, den Mann, den vielverschlagenen ...“, heißt es bei Homer. Jahrhunderte hindurch mussten Schüler diese ersten Worte der Odyssee auswendig lernen. Auf Griechisch natürlich. Und noch in unserer Zeit verballhornten Gymnasiasten in Westfalen den Eingangsvers: andra moi ennepe Ruhrkreis – Ruhrkreis statt Muse, auch ein Beitrag zur Entzauberung der Welt.

Odysseus ist der eigentliche Held der Griechen. Auf keinen Fall Achill, das schmollende Muttersöhnchen. Auch nicht Herakles, der Sohn des Zeus. Nicht Theseus, der seine Ariadne auf einer einsamen Insel zurücklässt, wo sie Bacchus anheim fällt, dem Gott des Weines, was vielleicht, vergessen wir Nietzsche und Hofmannsthal, nichts anderes bedeutete, als dass sie sich dem Trunk ergab. Also diese alle nicht.

Aber Odysseus. Auch im Stammbaum seiner Familie gibt es einen Gott: Hermes, den Gott der Kaufleute und der Diebe. Das schlug bei dem Großvater des Helden voll durch: Autolykos, da tönt schon im Namen das Wölfische seines Charakters heraus. Er war ein großer Gauner und Erzdieb, von ihm sind nur Untaten bekannt. Odysseus’ Vater Laertes gehörte zu den Argonauten, die das Goldene Vlies stahlen. Weil aber diese Geschichte bekannter wegen der unseligen Liaison Jasons mit Medea wurde, ist das in den Hintergrund getreten.

Odysseus hat das wieder wettgemacht. Es gibt im weiten Kreis der Kombattanten des Trojanischen Krieges keinen, der so oft durch üble Taten auffällt. Schon vor Beginn der Kampfhandlungen, noch in Phthia, durchkreuzt er die Vorkehrungen, mit denen Achills Mutter Thetis ihren Sohn zu Hause behalten will. Nach Achills Tod bringt er dessen Rüstung an sich und treibt Ajax in den Wahnsinn. Am Unglück des Philoktet ist er mit schuldig, daraus haben früh Sophokles und zuletzt Heiner Müller Stücke gemacht, in denen Odysseus nicht als Held imponiert. Nach seiner Rückkehr – zehn Jahre Krieg, zehn Jahre Irrfahrt – nach Ithaka, seinem kleinen Inselkönigreich, nimmt er grausam Rache nicht nur an den Freiern, die seine Frau bedrängten, sondern auch an den Mägden, die ihnen zu Willen waren. Das hat zuletzt Botho Strauß mit ungeheurer Brutalität auf die Bühne gebracht.

Vor allem aber, und das ist sprichwörtlich geworden, war es Odysseus, der die Idee mit dem hölzernen Pferd hatte, in dessen Bauch ein Stoßtrupp Platz fand, den die nichts ahnenden Trojaner in ihre Stadt holten, weil sie glaubten, das Heer der Achäer sei abgezogen. Um das Ungetüm hereinzubekommen, hatten sie auch die Stadtmauer eingerissen. Das war ihr Untergang. In aktuellen Debatten über die Griechen und den Euro – wie kamen sie dazu? Wie wollen sie ihn behalten? – ist gern vom Trojanischen Pferd die Rede. Aber zu welcher List sie auch greifen: Ein hölzernes Pferd wird es nicht sein.

Also nur Bedenkliches zu Odysseus? Ganz und gar nicht. Dieser Odysseus ist der Liebling der Göttin Athene. Immer wieder kommt sie ihm zu Hilfe. Und Athene ist die Lieblingsgöttin der Deutschen. Seit mehr als zweihundert Jahren träumen sie sich nach dem Griechenland der Antike. „Das Land der Griechen mit der Seele suchen“, gab Goethe die Losung aus. Die englische Philologin Eliza M. Butler schrieb hundert Jahre nach Goethe ein Buch über den „Deutschen Geist in der Sklaverei der Griechen“. Davon allerdings kann heute nicht mehr die Rede sein. Heute gibt es in Deutschland sogar Philosophieprofessoren, die kein Griechisch mehr können.

Das wird der Bewunderung für Odysseus und der Liebe zu Athene keinen Abbruch tun. Wir haben ja noch Schwabs Sagen des klassischen Altertums, das muss reichen. Und reicht auch zur Vorsicht in Brüssel.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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